stimmte Form, unter der die Anschauung ihres innern Zustandes allein möglich ist, so, daß alles, was zu den innern Bestimmungen gehört, in Verhältnissen der Zeit vorgestellt wird. Aeusserlich kan die Zeit nicht angeschaut werden, so wenig wie der Raum, als etwas in uns. Was sind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Wesen? Sind es zwar nur Bestimmungen, oder auch Verhältnisse der Dinge, aber doch solche, welche ihnen auch an sich zukommen würden, wenn sie auch nicht angeschaut wür- den, oder sind sie solche, die nur an der Form der An- schauung allein haften, und mithin an der subiectiven Be- schaffenheit unseres Gemüths, ohne welche diese Prädicate gar keinem Dinge beygeleget werden können? Um uns hierüber zu belehren, wollen wir zuerst den Raum be- trachten.
1) der Raum ist kein empirischer Begriff, der von äusseren Erfahrungen abgezogen worden. Denn damit ge- wisse Empfindungen auf etwas ausser mich bezogen wer- den, (d. i. auf etwas in einem andern Orte des Raumes,) als darinnen ich mich befinde,) imgleichen damit ich sie als ausser einander, mithin nicht blos verschieden, sondern als in verschiedenen Orten vorstellen könne, dazu muß die Vorstellung des Raumes schon zum Grunde liegen. Dem- nach kan die Vorstellung des Raumes nicht aus den Ver- hältnissen der äussern Erscheinung durch Erfahrung er- borgt seyn, sondern diese äussere Erfahrung ist selbst nur durch gedachte Vorstellung allererst möglich.
2) Der
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I. Abſchnitt. Von dem Raume.
ſtimmte Form, unter der die Anſchauung ihres innern Zuſtandes allein moͤglich iſt, ſo, daß alles, was zu den innern Beſtimmungen gehoͤrt, in Verhaͤltniſſen der Zeit vorgeſtellt wird. Aeuſſerlich kan die Zeit nicht angeſchaut werden, ſo wenig wie der Raum, als etwas in uns. Was ſind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Weſen? Sind es zwar nur Beſtimmungen, oder auch Verhaͤltniſſe der Dinge, aber doch ſolche, welche ihnen auch an ſich zukommen wuͤrden, wenn ſie auch nicht angeſchaut wuͤr- den, oder ſind ſie ſolche, die nur an der Form der An- ſchauung allein haften, und mithin an der ſubiectiven Be- ſchaffenheit unſeres Gemuͤths, ohne welche dieſe Praͤdicate gar keinem Dinge beygeleget werden koͤnnen? Um uns hieruͤber zu belehren, wollen wir zuerſt den Raum be- trachten.
1) der Raum iſt kein empiriſcher Begriff, der von aͤuſſeren Erfahrungen abgezogen worden. Denn damit ge- wiſſe Empfindungen auf etwas auſſer mich bezogen wer- den, (d. i. auf etwas in einem andern Orte des Raumes,) als darinnen ich mich befinde,) imgleichen damit ich ſie als auſſer einander, mithin nicht blos verſchieden, ſondern als in verſchiedenen Orten vorſtellen koͤnne, dazu muß die Vorſtellung des Raumes ſchon zum Grunde liegen. Dem- nach kan die Vorſtellung des Raumes nicht aus den Ver- haͤltniſſen der aͤuſſern Erſcheinung durch Erfahrung er- borgt ſeyn, ſondern dieſe aͤuſſere Erfahrung iſt ſelbſt nur durch gedachte Vorſtellung allererſt moͤglich.
2) Der
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I. Abſchnitt. Von dem Raume.
ſtimmte Form, unter der die Anſchauung ihres innern
Zuſtandes allein moͤglich iſt, ſo, daß alles, was zu den
innern Beſtimmungen gehoͤrt, in Verhaͤltniſſen der Zeit
vorgeſtellt wird. Aeuſſerlich kan die Zeit nicht angeſchaut
werden, ſo wenig wie der Raum, als etwas in uns. Was
ſind nun Raum und Zeit? Sind es wirkliche Weſen?
Sind es zwar nur Beſtimmungen, oder auch Verhaͤltniſſe
der Dinge, aber doch ſolche, welche ihnen auch an ſich
zukommen wuͤrden, wenn ſie auch nicht angeſchaut wuͤr-
den, oder ſind ſie ſolche, die nur an der Form der An-
ſchauung allein haften, und mithin an der ſubiectiven Be-
ſchaffenheit unſeres Gemuͤths, ohne welche dieſe Praͤdicate
gar keinem Dinge beygeleget werden koͤnnen? Um uns
hieruͤber zu belehren, wollen wir zuerſt den Raum be-
trachten.
1) der Raum iſt kein empiriſcher Begriff, der von
aͤuſſeren Erfahrungen abgezogen worden. Denn damit ge-
wiſſe Empfindungen auf etwas auſſer mich bezogen wer-
den, (d. i. auf etwas in einem andern Orte des Raumes,)
als darinnen ich mich befinde,) imgleichen damit ich ſie als
auſſer einander, mithin nicht blos verſchieden, ſondern
als in verſchiedenen Orten vorſtellen koͤnne, dazu muß die
Vorſtellung des Raumes ſchon zum Grunde liegen. Dem-
nach kan die Vorſtellung des Raumes nicht aus den Ver-
haͤltniſſen der aͤuſſern Erſcheinung durch Erfahrung er-
borgt ſeyn, ſondern dieſe aͤuſſere Erfahrung iſt ſelbſt nur
durch gedachte Vorſtellung allererſt moͤglich.
2) Der
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/53>, abgerufen am 23.11.2024.
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