Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
Der
Antinomie der reinen Vernunft
Achter Abschnitt.
Regulatives Princip der reinen Vernunft

in Ansehung der cosmologischen Ideen.

Da durch den cosmologischen Grundsatz der Totalität
kein Maximum der Reihe von Bedingungen in einer
Sinnenwelt, als einem Dinge an sich selbst, gegeben wird,
sondern blos im Regressus derselben aufgegeben werden
kan, so behält der gedachte Grundsatz der reinen Vernunft,
in seiner dergestalt berichtigten Bedeutung, annoch seine
gute Gültigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalität im
Obiect als wirklich zu denken, sondern als ein Problem
vor den Verstand, also vor das Subiect, um, der Voll-
ständigkeit in der Idee gemäß, den Regressus in der Rei-
he der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an-
zustellen und fortzusetzen. Denn in der Sinnlichkeit, d. i.
im Raume und der Zeit, ist iede Bedingung, zu der wir
in der Exposition gegebener Erscheinungen gelangen kön-
nen, wiederum bedingt; weil diese keine Gegenstände an
sich selbst sind, an denen allenfalls das Schlechthinunbeding-
te statt finden könte, sondern blos empirische Vorstellun-
gen, die iederzeit in der Anschauung ihre Bedingung fin-
den müssen, welche sie dem Raume oder der Zeit nach be-
stimt. Der Grundsatz der Vernunft also ist eigentlich nur
eine Regel, welche in der Reihe der Bedingungen gegebe-

ner
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
Der
Antinomie der reinen Vernunft
Achter Abſchnitt.
Regulatives Princip der reinen Vernunft

in Anſehung der cosmologiſchen Ideen.

Da durch den cosmologiſchen Grundſatz der Totalitaͤt
kein Maximum der Reihe von Bedingungen in einer
Sinnenwelt, als einem Dinge an ſich ſelbſt, gegeben wird,
ſondern blos im Regreſſus derſelben aufgegeben werden
kan, ſo behaͤlt der gedachte Grundſatz der reinen Vernunft,
in ſeiner dergeſtalt berichtigten Bedeutung, annoch ſeine
gute Guͤltigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalitaͤt im
Obiect als wirklich zu denken, ſondern als ein Problem
vor den Verſtand, alſo vor das Subiect, um, der Voll-
ſtaͤndigkeit in der Idee gemaͤß, den Regreſſus in der Rei-
he der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an-
zuſtellen und fortzuſetzen. Denn in der Sinnlichkeit, d. i.
im Raume und der Zeit, iſt iede Bedingung, zu der wir
in der Expoſition gegebener Erſcheinungen gelangen koͤn-
nen, wiederum bedingt; weil dieſe keine Gegenſtaͤnde an
ſich ſelbſt ſind, an denen allenfalls das Schlechthinunbeding-
te ſtatt finden koͤnte, ſondern blos empiriſche Vorſtellun-
gen, die iederzeit in der Anſchauung ihre Bedingung fin-
den muͤſſen, welche ſie dem Raume oder der Zeit nach be-
ſtimt. Der Grundſatz der Vernunft alſo iſt eigentlich nur
eine Regel, welche in der Reihe der Bedingungen gegebe-

ner
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0538" n="508"/>
                    <fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">II.</hi> Buch. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
                    <div n="8">
                      <head><hi rendition="#g">Der</hi><lb/><hi rendition="#b">Antinomie der reinen Vernunft<lb/>
Achter Ab&#x017F;chnitt.<lb/>
Regulatives Princip der reinen Vernunft</hi><lb/>
in An&#x017F;ehung der cosmologi&#x017F;chen Ideen.</head><lb/>
                      <p><hi rendition="#in">D</hi>a durch den cosmologi&#x017F;chen Grund&#x017F;atz der Totalita&#x0364;t<lb/>
kein Maximum der Reihe von Bedingungen in einer<lb/>
Sinnenwelt, als einem Dinge an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, gegeben wird,<lb/>
&#x017F;ondern blos im Regre&#x017F;&#x017F;us der&#x017F;elben <hi rendition="#fr">aufgegeben</hi> werden<lb/>
kan, &#x017F;o beha&#x0364;lt der gedachte Grund&#x017F;atz der reinen Vernunft,<lb/>
in &#x017F;einer derge&#x017F;talt berichtigten Bedeutung, annoch &#x017F;eine<lb/>
gute Gu&#x0364;ltigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalita&#x0364;t im<lb/>
Obiect als wirklich zu denken, &#x017F;ondern als ein Problem<lb/>
vor den Ver&#x017F;tand, al&#x017F;o vor das Subiect, um, der Voll-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit in der Idee gema&#x0364;ß, den Regre&#x017F;&#x017F;us in der Rei-<lb/>
he der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an-<lb/>
zu&#x017F;tellen und fortzu&#x017F;etzen. Denn in der Sinnlichkeit, d. i.<lb/>
im Raume und der Zeit, i&#x017F;t iede Bedingung, zu der wir<lb/>
in der Expo&#x017F;ition gegebener Er&#x017F;cheinungen gelangen ko&#x0364;n-<lb/>
nen, wiederum bedingt; weil die&#x017F;e keine Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde an<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind, an denen allenfalls das Schlechthinunbeding-<lb/>
te &#x017F;tatt finden ko&#x0364;nte, &#x017F;ondern blos empiri&#x017F;che Vor&#x017F;tellun-<lb/>
gen, die iederzeit in der An&#x017F;chauung ihre Bedingung fin-<lb/>
den mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, welche &#x017F;ie dem Raume oder der Zeit nach be-<lb/>
&#x017F;timt. Der Grund&#x017F;atz der Vernunft al&#x017F;o i&#x017F;t eigentlich nur<lb/>
eine <hi rendition="#fr">Regel</hi>, welche in der Reihe der Bedingungen gegebe-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ner</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[508/0538] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Der Antinomie der reinen Vernunft Achter Abſchnitt. Regulatives Princip der reinen Vernunft in Anſehung der cosmologiſchen Ideen. Da durch den cosmologiſchen Grundſatz der Totalitaͤt kein Maximum der Reihe von Bedingungen in einer Sinnenwelt, als einem Dinge an ſich ſelbſt, gegeben wird, ſondern blos im Regreſſus derſelben aufgegeben werden kan, ſo behaͤlt der gedachte Grundſatz der reinen Vernunft, in ſeiner dergeſtalt berichtigten Bedeutung, annoch ſeine gute Guͤltigkeit, zwar nicht als Axiom, die Totalitaͤt im Obiect als wirklich zu denken, ſondern als ein Problem vor den Verſtand, alſo vor das Subiect, um, der Voll- ſtaͤndigkeit in der Idee gemaͤß, den Regreſſus in der Rei- he der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten an- zuſtellen und fortzuſetzen. Denn in der Sinnlichkeit, d. i. im Raume und der Zeit, iſt iede Bedingung, zu der wir in der Expoſition gegebener Erſcheinungen gelangen koͤn- nen, wiederum bedingt; weil dieſe keine Gegenſtaͤnde an ſich ſelbſt ſind, an denen allenfalls das Schlechthinunbeding- te ſtatt finden koͤnte, ſondern blos empiriſche Vorſtellun- gen, die iederzeit in der Anſchauung ihre Bedingung fin- den muͤſſen, welche ſie dem Raume oder der Zeit nach be- ſtimt. Der Grundſatz der Vernunft alſo iſt eigentlich nur eine Regel, welche in der Reihe der Bedingungen gegebe- ner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/538
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/538>, abgerufen am 22.11.2024.