Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

VIII. Absch. Regulatives Princip d. r. Vernunft etc.
ner Erscheinungen einen Regressus gebietet, dem es nie-
mals erlaubt ist, bey einem Schlechthinunbedingten stehen
zu bleiben. Er ist also kein Principium der Möglichkeit
der Erfahrung und der empirischen Erkentniß der Gegen-
stände der Sinne, mithin kein Grundsatz des Verstandes;
denn iede Erfahrung ist in ihren Gränzen (der gegebenen
Anschauung gemäß) eingeschlossen, auch kein constitutives
Princip der Vernunft, den Begriff der Sinnenwelt über
alle mögliche Erfahrung zu erweitern, sondern ein Grund-
satz der größtmöglichen Fortsetzung und Erweiterung der
Erfahrung, nach welchem keine empirische Gränze vor ab-
solute Gränze gelten muß, also ein Principium der Ver-
nunft, welches, als Regel, postulirt, was von uns im
Regressus geschehen soll, und nicht anticipirt, was im
Obiecte vor allem Regressus an sich gegeben ist. Daher
nenne ich es ein regulatives Princip der Vernunft, da hin-
gegen der Grundsatz der absoluten Totalität der Reihe der
Bedingungen, als im Obiecte (den Erscheinungen) an
sich selbst gegeben, ein constitutives cosmologisches Prin-
cip seyn würde, dessen Nichtigkeit ich eben durch diese
Unterscheidung habe anzeigen und dadurch verhindern wol-
len: daß man nicht, wie sonst unvermeidlich geschieht,
(durch transscendentale Subreption) einer Idee, welche
blos zur Regel dient, obiective Realität beymesse.

Um nun den Sinn dieser Regel der reinen Vernunft
gehörig zu bestimmen, so ist zuvörderst zu bemerken: daß

sie

VIII. Abſch. Regulatives Princip d. r. Vernunft ꝛc.
ner Erſcheinungen einen Regreſſus gebietet, dem es nie-
mals erlaubt iſt, bey einem Schlechthinunbedingten ſtehen
zu bleiben. Er iſt alſo kein Principium der Moͤglichkeit
der Erfahrung und der empiriſchen Erkentniß der Gegen-
ſtaͤnde der Sinne, mithin kein Grundſatz des Verſtandes;
denn iede Erfahrung iſt in ihren Graͤnzen (der gegebenen
Anſchauung gemaͤß) eingeſchloſſen, auch kein conſtitutives
Princip der Vernunft, den Begriff der Sinnenwelt uͤber
alle moͤgliche Erfahrung zu erweitern, ſondern ein Grund-
ſatz der groͤßtmoͤglichen Fortſetzung und Erweiterung der
Erfahrung, nach welchem keine empiriſche Graͤnze vor ab-
ſolute Graͤnze gelten muß, alſo ein Principium der Ver-
nunft, welches, als Regel, poſtulirt, was von uns im
Regreſſus geſchehen ſoll, und nicht anticipirt, was im
Obiecte vor allem Regreſſus an ſich gegeben iſt. Daher
nenne ich es ein regulatives Princip der Vernunft, da hin-
gegen der Grundſatz der abſoluten Totalitaͤt der Reihe der
Bedingungen, als im Obiecte (den Erſcheinungen) an
ſich ſelbſt gegeben, ein conſtitutives cosmologiſches Prin-
cip ſeyn wuͤrde, deſſen Nichtigkeit ich eben durch dieſe
Unterſcheidung habe anzeigen und dadurch verhindern wol-
len: daß man nicht, wie ſonſt unvermeidlich geſchieht,
(durch transſcendentale Subreption) einer Idee, welche
blos zur Regel dient, obiective Realitaͤt beymeſſe.

Um nun den Sinn dieſer Regel der reinen Vernunft
gehoͤrig zu beſtimmen, ſo iſt zuvoͤrderſt zu bemerken: daß

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0539" n="509"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Ab&#x017F;ch. Regulatives Princip d. r. Vernunft &#xA75B;c.</fw><lb/>
ner Er&#x017F;cheinungen einen Regre&#x017F;&#x017F;us gebietet, dem es nie-<lb/>
mals erlaubt i&#x017F;t, bey einem Schlechthinunbedingten &#x017F;tehen<lb/>
zu bleiben. Er i&#x017F;t al&#x017F;o kein Principium der Mo&#x0364;glichkeit<lb/>
der Erfahrung und der empiri&#x017F;chen Erkentniß der Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde der Sinne, mithin kein Grund&#x017F;atz des Ver&#x017F;tandes;<lb/>
denn iede Erfahrung i&#x017F;t in ihren Gra&#x0364;nzen (der gegebenen<lb/>
An&#x017F;chauung gema&#x0364;ß) einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, auch kein con&#x017F;titutives<lb/>
Princip der Vernunft, den Begriff der Sinnenwelt u&#x0364;ber<lb/>
alle mo&#x0364;gliche Erfahrung zu erweitern, &#x017F;ondern ein Grund-<lb/>
&#x017F;atz der gro&#x0364;ßtmo&#x0364;glichen Fort&#x017F;etzung und Erweiterung der<lb/>
Erfahrung, nach welchem keine empiri&#x017F;che Gra&#x0364;nze vor ab-<lb/>
&#x017F;olute Gra&#x0364;nze gelten muß, al&#x017F;o ein Principium der Ver-<lb/>
nunft, welches, als <hi rendition="#fr">Regel</hi>, po&#x017F;tulirt, was von uns im<lb/>
Regre&#x017F;&#x017F;us ge&#x017F;chehen &#x017F;oll, und nicht anticipirt, was im<lb/>
Obiecte vor allem Regre&#x017F;&#x017F;us an &#x017F;ich gegeben i&#x017F;t. Daher<lb/>
nenne ich es ein regulatives Princip der Vernunft, da hin-<lb/>
gegen der Grund&#x017F;atz der ab&#x017F;oluten Totalita&#x0364;t der Reihe der<lb/>
Bedingungen, als im Obiecte (den Er&#x017F;cheinungen) an<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gegeben, ein con&#x017F;titutives cosmologi&#x017F;ches Prin-<lb/>
cip &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, de&#x017F;&#x017F;en Nichtigkeit ich eben durch die&#x017F;e<lb/>
Unter&#x017F;cheidung habe anzeigen und dadurch verhindern wol-<lb/>
len: daß man nicht, wie &#x017F;on&#x017F;t unvermeidlich ge&#x017F;chieht,<lb/>
(durch trans&#x017F;cendentale Subreption) einer Idee, welche<lb/>
blos zur Regel dient, obiective Realita&#x0364;t beyme&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
                      <p>Um nun den Sinn die&#x017F;er Regel der reinen Vernunft<lb/>
geho&#x0364;rig zu be&#x017F;timmen, &#x017F;o i&#x017F;t zuvo&#x0364;rder&#x017F;t zu bemerken: daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[509/0539] VIII. Abſch. Regulatives Princip d. r. Vernunft ꝛc. ner Erſcheinungen einen Regreſſus gebietet, dem es nie- mals erlaubt iſt, bey einem Schlechthinunbedingten ſtehen zu bleiben. Er iſt alſo kein Principium der Moͤglichkeit der Erfahrung und der empiriſchen Erkentniß der Gegen- ſtaͤnde der Sinne, mithin kein Grundſatz des Verſtandes; denn iede Erfahrung iſt in ihren Graͤnzen (der gegebenen Anſchauung gemaͤß) eingeſchloſſen, auch kein conſtitutives Princip der Vernunft, den Begriff der Sinnenwelt uͤber alle moͤgliche Erfahrung zu erweitern, ſondern ein Grund- ſatz der groͤßtmoͤglichen Fortſetzung und Erweiterung der Erfahrung, nach welchem keine empiriſche Graͤnze vor ab- ſolute Graͤnze gelten muß, alſo ein Principium der Ver- nunft, welches, als Regel, poſtulirt, was von uns im Regreſſus geſchehen ſoll, und nicht anticipirt, was im Obiecte vor allem Regreſſus an ſich gegeben iſt. Daher nenne ich es ein regulatives Princip der Vernunft, da hin- gegen der Grundſatz der abſoluten Totalitaͤt der Reihe der Bedingungen, als im Obiecte (den Erſcheinungen) an ſich ſelbſt gegeben, ein conſtitutives cosmologiſches Prin- cip ſeyn wuͤrde, deſſen Nichtigkeit ich eben durch dieſe Unterſcheidung habe anzeigen und dadurch verhindern wol- len: daß man nicht, wie ſonſt unvermeidlich geſchieht, (durch transſcendentale Subreption) einer Idee, welche blos zur Regel dient, obiective Realitaͤt beymeſſe. Um nun den Sinn dieſer Regel der reinen Vernunft gehoͤrig zu beſtimmen, ſo iſt zuvoͤrderſt zu bemerken: daß ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/539
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/539>, abgerufen am 22.11.2024.