Es geschieht also hier, was überhaupt in dem Wi- derstreit einer sich über die Gränzen möglicher Erfahrung hinauswagenden Vernunft angetroffen wird, daß die Auf- gebe eigentlich nicht physiologisch, sondern transscendental ist. Daher die Frage von der Möglichkeit der Freiheit die Psychologie zwar anficht, aber, da sie auf dialectischen Argumenten der blos reinen Vernunft beruht, samt ihrer Auflösung lediglich die Transscendentalphilosophie beschäf- tigen muß. Um nun diese, welche eine befriedigende Ant- wort hierüber nicht ablehnen kan, dazu in Stand zu se- tzen, muß ich zuvörderst ihr Verfahren bey dieser Aufgabe durch eine Bemerkung näher zu bestimmen suchen.
Wenn Erscheinungen Dinge an sich selbst wären, mithin Raum und Zeit Formen des Daseyns der Dinge an sich selbst: so würden die Bedingungen mit dem Be- dingten iederzeit als Glieder zu einer und derselben Reihe gehören und daraus auch in gegenwärtigem Falle die An- tinomie entspringen, die allen transscendentalen Ideen ge- mein ist: daß diese Reihe unvermeidlich vor den Verstand zu groß, oder zu klein ausfallen müßte. Die dynamische Vernunftbegriffe aber, mit denen wir uns in dieser und der folgenden Nummer beschäftigen, haben dieses beson- dere: daß, da sie es nicht mit einem Gegenstande, als Grösse betrachtet, sondern nur mit seinem Daseyn zu thun ha- ben, man auch von der Grösse der Reihe der Bedingun- gen abstrahiren kan, und es bey ihnen blos auf das dy-
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IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche desregul. ꝛc.
Es geſchieht alſo hier, was uͤberhaupt in dem Wi- derſtreit einer ſich uͤber die Graͤnzen moͤglicher Erfahrung hinauswagenden Vernunft angetroffen wird, daß die Auf- gebe eigentlich nicht phyſiologiſch, ſondern transſcendental iſt. Daher die Frage von der Moͤglichkeit der Freiheit die Pſychologie zwar anficht, aber, da ſie auf dialectiſchen Argumenten der blos reinen Vernunft beruht, ſamt ihrer Aufloͤſung lediglich die Transſcendentalphiloſophie beſchaͤf- tigen muß. Um nun dieſe, welche eine befriedigende Ant- wort hieruͤber nicht ablehnen kan, dazu in Stand zu ſe- tzen, muß ich zuvoͤrderſt ihr Verfahren bey dieſer Aufgabe durch eine Bemerkung naͤher zu beſtimmen ſuchen.
Wenn Erſcheinungen Dinge an ſich ſelbſt waͤren, mithin Raum und Zeit Formen des Daſeyns der Dinge an ſich ſelbſt: ſo wuͤrden die Bedingungen mit dem Be- dingten iederzeit als Glieder zu einer und derſelben Reihe gehoͤren und daraus auch in gegenwaͤrtigem Falle die An- tinomie entſpringen, die allen transſcendentalen Ideen ge- mein iſt: daß dieſe Reihe unvermeidlich vor den Verſtand zu groß, oder zu klein ausfallen muͤßte. Die dynamiſche Vernunftbegriffe aber, mit denen wir uns in dieſer und der folgenden Nummer beſchaͤftigen, haben dieſes beſon- dere: daß, da ſie es nicht mit einem Gegenſtande, als Groͤſſe betrachtet, ſondern nur mit ſeinem Daſeyn zu thun ha- ben, man auch von der Groͤſſe der Reihe der Bedingun- gen abſtrahiren kan, und es bey ihnen blos auf das dy-
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IX. Abſch. Vom empir. Gebrauche desregul. ꝛc.
Es geſchieht alſo hier, was uͤberhaupt in dem Wi-
derſtreit einer ſich uͤber die Graͤnzen moͤglicher Erfahrung
hinauswagenden Vernunft angetroffen wird, daß die Auf-
gebe eigentlich nicht phyſiologiſch, ſondern transſcendental
iſt. Daher die Frage von der Moͤglichkeit der Freiheit
die Pſychologie zwar anficht, aber, da ſie auf dialectiſchen
Argumenten der blos reinen Vernunft beruht, ſamt ihrer
Aufloͤſung lediglich die Transſcendentalphiloſophie beſchaͤf-
tigen muß. Um nun dieſe, welche eine befriedigende Ant-
wort hieruͤber nicht ablehnen kan, dazu in Stand zu ſe-
tzen, muß ich zuvoͤrderſt ihr Verfahren bey dieſer Aufgabe
durch eine Bemerkung naͤher zu beſtimmen ſuchen.
Wenn Erſcheinungen Dinge an ſich ſelbſt waͤren,
mithin Raum und Zeit Formen des Daſeyns der Dinge
an ſich ſelbſt: ſo wuͤrden die Bedingungen mit dem Be-
dingten iederzeit als Glieder zu einer und derſelben Reihe
gehoͤren und daraus auch in gegenwaͤrtigem Falle die An-
tinomie entſpringen, die allen transſcendentalen Ideen ge-
mein iſt: daß dieſe Reihe unvermeidlich vor den Verſtand
zu groß, oder zu klein ausfallen muͤßte. Die dynamiſche
Vernunftbegriffe aber, mit denen wir uns in dieſer und
der folgenden Nummer beſchaͤftigen, haben dieſes beſon-
dere: daß, da ſie es nicht mit einem Gegenſtande, als Groͤſſe
betrachtet, ſondern nur mit ſeinem Daſeyn zu thun ha-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/565>, abgerufen am 22.11.2024.
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