Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
Vollständigkeit, zu welcher keine mögliche empirische Er-
kentniß zulangt, und die Vernunft hat dabey nur eine
systematische Einheit im Sinne, welcher sie die empirisch-
mögliche Einheit zu nähern sucht, ohne sie iemals völlig
zu erreichen.

Aber noch weiter, als die Idee, scheint dasienige
von der obiectiven Realität entfernt zu seyn, was ich
das Ideal nenne, und worunter ich die Idee, nicht blos
in concreto, sondern in indiuiduo, d. i. als ein einzel-
nes, durch die Idee allein bestimbares, oder gar bestim-
tes Ding, verstehe.

Die Menschheit in ihrer ganzen Vollkommenheit,
enthält nicht allein die Erweiterung aller zu dieser Natur
gehörigen wesentlichen Eigenschaften, welche unseren Be-
griff von derselben ausmachen, bis zur vollständigen Con-
gruenz mit ihren Zwecken, welches unsere Idee der voll-
kommenen Menschheit seyn würde, sondern auch alles,
was ausser diesem Begriffe zu der durchgängigen Bestim-
mung der Idee gehöret; denn von allen entgegengesezten
Prädicaten kan sich doch nur ein einziges zu der Idee
des vollkommensten Menschen schicken. Was uns ein
Ideal ist, war dem Plato eine Idee des göttlichen Ver-
standes,
ein einzelner Gegenstand in der reinen Anschau-
ung desselben, das Vollkommenste einer ieden Art mögli-
cher Wesen und der Urgrund aller Nachbilder in der Er-
scheinung.


Ohne

Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
Vollſtaͤndigkeit, zu welcher keine moͤgliche empiriſche Er-
kentniß zulangt, und die Vernunft hat dabey nur eine
ſyſtematiſche Einheit im Sinne, welcher ſie die empiriſch-
moͤgliche Einheit zu naͤhern ſucht, ohne ſie iemals voͤllig
zu erreichen.

Aber noch weiter, als die Idee, ſcheint dasienige
von der obiectiven Realitaͤt entfernt zu ſeyn, was ich
das Ideal nenne, und worunter ich die Idee, nicht blos
in concreto, ſondern in indiuiduo, d. i. als ein einzel-
nes, durch die Idee allein beſtimbares, oder gar beſtim-
tes Ding, verſtehe.

Die Menſchheit in ihrer ganzen Vollkommenheit,
enthaͤlt nicht allein die Erweiterung aller zu dieſer Natur
gehoͤrigen weſentlichen Eigenſchaften, welche unſeren Be-
griff von derſelben ausmachen, bis zur vollſtaͤndigen Con-
gruenz mit ihren Zwecken, welches unſere Idee der voll-
kommenen Menſchheit ſeyn wuͤrde, ſondern auch alles,
was auſſer dieſem Begriffe zu der durchgaͤngigen Beſtim-
mung der Idee gehoͤret; denn von allen entgegengeſezten
Praͤdicaten kan ſich doch nur ein einziges zu der Idee
des vollkommenſten Menſchen ſchicken. Was uns ein
Ideal iſt, war dem Plato eine Idee des goͤttlichen Ver-
ſtandes,
ein einzelner Gegenſtand in der reinen Anſchau-
ung deſſelben, das Vollkommenſte einer ieden Art moͤgli-
cher Weſen und der Urgrund aller Nachbilder in der Er-
ſcheinung.


Ohne
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0598" n="568"/><fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">II.</hi> Buch. <hi rendition="#aq">III.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
Voll&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit, zu welcher keine mo&#x0364;gliche empiri&#x017F;che Er-<lb/>
kentniß zulangt, und die Vernunft hat dabey nur eine<lb/>
&#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che Einheit im Sinne, welcher &#x017F;ie die empiri&#x017F;ch-<lb/>
mo&#x0364;gliche Einheit zu na&#x0364;hern &#x017F;ucht, ohne &#x017F;ie iemals vo&#x0364;llig<lb/>
zu erreichen.</p><lb/>
                      <p>Aber noch weiter, als die Idee, &#x017F;cheint dasienige<lb/>
von der obiectiven Realita&#x0364;t entfernt zu &#x017F;eyn, was ich<lb/>
das <hi rendition="#fr">Ideal</hi> nenne, und worunter ich die Idee, nicht blos<lb/><hi rendition="#aq">in concreto,</hi> &#x017F;ondern <hi rendition="#aq">in indiuiduo,</hi> d. i. als ein einzel-<lb/>
nes, durch die Idee allein be&#x017F;timbares, oder gar be&#x017F;tim-<lb/>
tes Ding, ver&#x017F;tehe.</p><lb/>
                      <p>Die Men&#x017F;chheit in ihrer ganzen Vollkommenheit,<lb/>
entha&#x0364;lt nicht allein die Erweiterung aller zu die&#x017F;er Natur<lb/>
geho&#x0364;rigen we&#x017F;entlichen Eigen&#x017F;chaften, welche un&#x017F;eren Be-<lb/>
griff von der&#x017F;elben ausmachen, bis zur voll&#x017F;ta&#x0364;ndigen Con-<lb/>
gruenz mit ihren Zwecken, welches un&#x017F;ere Idee der voll-<lb/>
kommenen Men&#x017F;chheit &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, &#x017F;ondern auch alles,<lb/>
was au&#x017F;&#x017F;er die&#x017F;em Begriffe zu der durchga&#x0364;ngigen Be&#x017F;tim-<lb/>
mung der Idee geho&#x0364;ret; denn von allen entgegenge&#x017F;ezten<lb/>
Pra&#x0364;dicaten kan &#x017F;ich doch nur ein einziges zu der Idee<lb/>
des vollkommen&#x017F;ten Men&#x017F;chen &#x017F;chicken. Was uns ein<lb/>
Ideal i&#x017F;t, war dem <hi rendition="#fr">Plato</hi> eine <hi rendition="#fr">Idee</hi> des go&#x0364;ttlichen <hi rendition="#fr">Ver-<lb/>
&#x017F;tandes,</hi> ein einzelner Gegen&#x017F;tand in der reinen An&#x017F;chau-<lb/>
ung de&#x017F;&#x017F;elben, das Vollkommen&#x017F;te einer ieden Art mo&#x0364;gli-<lb/>
cher We&#x017F;en und der Urgrund aller Nachbilder in der Er-<lb/>
&#x017F;cheinung.</p><lb/>
                      <fw place="bottom" type="catch">Ohne</fw><lb/>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[568/0598] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt. Vollſtaͤndigkeit, zu welcher keine moͤgliche empiriſche Er- kentniß zulangt, und die Vernunft hat dabey nur eine ſyſtematiſche Einheit im Sinne, welcher ſie die empiriſch- moͤgliche Einheit zu naͤhern ſucht, ohne ſie iemals voͤllig zu erreichen. Aber noch weiter, als die Idee, ſcheint dasienige von der obiectiven Realitaͤt entfernt zu ſeyn, was ich das Ideal nenne, und worunter ich die Idee, nicht blos in concreto, ſondern in indiuiduo, d. i. als ein einzel- nes, durch die Idee allein beſtimbares, oder gar beſtim- tes Ding, verſtehe. Die Menſchheit in ihrer ganzen Vollkommenheit, enthaͤlt nicht allein die Erweiterung aller zu dieſer Natur gehoͤrigen weſentlichen Eigenſchaften, welche unſeren Be- griff von derſelben ausmachen, bis zur vollſtaͤndigen Con- gruenz mit ihren Zwecken, welches unſere Idee der voll- kommenen Menſchheit ſeyn wuͤrde, ſondern auch alles, was auſſer dieſem Begriffe zu der durchgaͤngigen Beſtim- mung der Idee gehoͤret; denn von allen entgegengeſezten Praͤdicaten kan ſich doch nur ein einziges zu der Idee des vollkommenſten Menſchen ſchicken. Was uns ein Ideal iſt, war dem Plato eine Idee des goͤttlichen Ver- ſtandes, ein einzelner Gegenſtand in der reinen Anſchau- ung deſſelben, das Vollkommenſte einer ieden Art moͤgli- cher Weſen und der Urgrund aller Nachbilder in der Er- ſcheinung. Ohne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/598
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/598>, abgerufen am 22.11.2024.