Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst.
Des dritten Hauptstücks Vierter Abschnitt. Von der Unmöglichkeit eines ontologischen Beweises vom Daseyn Gottes.
Man siehet aus dem bisherigen leicht: daß der Begriff eines absolutnothwendigen Wesens ein reiner Ver- nunftbegriff, d. i. eine blosse Idee sey, deren obiective Realität dadurch, daß die Vernunft ihrer bedarf, noch lange nicht bewiesen ist, welche auch nur auf eine gewisse, obzwar unerreichbare Vollständigkeit Anweisung giebt und eigentlich mehr dazu dient, den Verstand zu begränzen, als ihn auf neue Gegenstände zu erweitern. Es findet sich hier nun das Befremdliche und Widersinnische, daß der Schluß, von einem gegebenen Daseyn überhaupt auf ir- gend ein schlechthinnothwendiges Daseyn, dringend und richtig zu seyn scheint und wir gleichwol alle Bedingungen des Verstandes, sich einen Begriff von einer solchen Noth- wendigkeit zu machen, gänzlich wider uns haben.
Man hat zu aller Zeit von dem absolutnothwendi- gen Wesen geredet und sich nicht so wol Mühe gegeben, zu verstehen: ob und wie man sich ein Ding von dieser Art auch nur denken könne, als vielmehr dessen Daseyn zu be- weisen. Nun ist zwar eine Nahmenerklärung von diesem Begriffe ganz leicht, daß es nemlich so etwas sey, dessen Nichtseyn unmöglich ist, aber man wird hiedurch um nichts
klüger,
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
Des dritten Hauptſtuͤcks Vierter Abſchnitt. Von der Unmoͤglichkeit eines ontologiſchen Beweiſes vom Daſeyn Gottes.
Man ſiehet aus dem bisherigen leicht: daß der Begriff eines abſolutnothwendigen Weſens ein reiner Ver- nunftbegriff, d. i. eine bloſſe Idee ſey, deren obiective Realitaͤt dadurch, daß die Vernunft ihrer bedarf, noch lange nicht bewieſen iſt, welche auch nur auf eine gewiſſe, obzwar unerreichbare Vollſtaͤndigkeit Anweiſung giebt und eigentlich mehr dazu dient, den Verſtand zu begraͤnzen, als ihn auf neue Gegenſtaͤnde zu erweitern. Es findet ſich hier nun das Befremdliche und Widerſinniſche, daß der Schluß, von einem gegebenen Daſeyn uͤberhaupt auf ir- gend ein ſchlechthinnothwendiges Daſeyn, dringend und richtig zu ſeyn ſcheint und wir gleichwol alle Bedingungen des Verſtandes, ſich einen Begriff von einer ſolchen Noth- wendigkeit zu machen, gaͤnzlich wider uns haben.
Man hat zu aller Zeit von dem abſolutnothwendi- gen Weſen geredet und ſich nicht ſo wol Muͤhe gegeben, zu verſtehen: ob und wie man ſich ein Ding von dieſer Art auch nur denken koͤnne, als vielmehr deſſen Daſeyn zu be- weiſen. Nun iſt zwar eine Nahmenerklaͤrung von dieſem Begriffe ganz leicht, daß es nemlich ſo etwas ſey, deſſen Nichtſeyn unmoͤglich iſt, aber man wird hiedurch um nichts
kluͤger,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><pbfacs="#f0622"n="592"/><fwplace="top"type="header">Elementarl. <hirendition="#aq">II.</hi> Th. <hirendition="#aq">II.</hi> Abth. <hirendition="#aq">II.</hi> Buch. <hirendition="#aq">III.</hi> Hauptſt.</fw><lb/><divn="8"><head><hirendition="#b"><hirendition="#g">Des dritten Hauptſtuͤcks</hi><lb/>
Vierter Abſchnitt.</hi><lb/><hirendition="#g">Von der</hi><lb/><hirendition="#b">Unmoͤglichkeit eines ontologiſchen Beweiſes</hi><lb/>
vom Daſeyn Gottes.</head><lb/><p><hirendition="#in">M</hi>an ſiehet aus dem bisherigen leicht: daß der Begriff<lb/>
eines abſolutnothwendigen Weſens ein reiner Ver-<lb/>
nunftbegriff, d. i. eine bloſſe Idee ſey, deren obiective<lb/>
Realitaͤt dadurch, daß die Vernunft ihrer bedarf, noch<lb/>
lange nicht bewieſen iſt, welche auch nur auf eine gewiſſe,<lb/>
obzwar unerreichbare Vollſtaͤndigkeit Anweiſung giebt und<lb/>
eigentlich mehr dazu dient, den Verſtand zu begraͤnzen,<lb/>
als ihn auf neue Gegenſtaͤnde zu erweitern. Es findet ſich<lb/>
hier nun das Befremdliche und Widerſinniſche, daß der<lb/>
Schluß, von einem gegebenen Daſeyn uͤberhaupt auf ir-<lb/>
gend ein ſchlechthinnothwendiges Daſeyn, dringend und<lb/>
richtig zu ſeyn ſcheint und wir gleichwol alle Bedingungen<lb/>
des Verſtandes, ſich einen Begriff von einer ſolchen Noth-<lb/>
wendigkeit zu machen, gaͤnzlich wider uns haben.</p><lb/><p>Man hat zu aller Zeit von dem <hirendition="#fr">abſolutnothwendi-<lb/>
gen</hi> Weſen geredet und ſich nicht ſo wol Muͤhe gegeben, zu<lb/>
verſtehen: ob und wie man ſich ein Ding von dieſer Art<lb/>
auch nur denken koͤnne, als vielmehr deſſen Daſeyn zu be-<lb/>
weiſen. Nun iſt zwar eine Nahmenerklaͤrung von dieſem<lb/>
Begriffe ganz leicht, daß es nemlich ſo etwas ſey, deſſen<lb/>
Nichtſeyn unmoͤglich iſt, aber man wird hiedurch um nichts<lb/><fwplace="bottom"type="catch">kluͤger,</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[592/0622]
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptſt.
Des dritten Hauptſtuͤcks
Vierter Abſchnitt.
Von der
Unmoͤglichkeit eines ontologiſchen Beweiſes
vom Daſeyn Gottes.
Man ſiehet aus dem bisherigen leicht: daß der Begriff
eines abſolutnothwendigen Weſens ein reiner Ver-
nunftbegriff, d. i. eine bloſſe Idee ſey, deren obiective
Realitaͤt dadurch, daß die Vernunft ihrer bedarf, noch
lange nicht bewieſen iſt, welche auch nur auf eine gewiſſe,
obzwar unerreichbare Vollſtaͤndigkeit Anweiſung giebt und
eigentlich mehr dazu dient, den Verſtand zu begraͤnzen,
als ihn auf neue Gegenſtaͤnde zu erweitern. Es findet ſich
hier nun das Befremdliche und Widerſinniſche, daß der
Schluß, von einem gegebenen Daſeyn uͤberhaupt auf ir-
gend ein ſchlechthinnothwendiges Daſeyn, dringend und
richtig zu ſeyn ſcheint und wir gleichwol alle Bedingungen
des Verſtandes, ſich einen Begriff von einer ſolchen Noth-
wendigkeit zu machen, gaͤnzlich wider uns haben.
Man hat zu aller Zeit von dem abſolutnothwendi-
gen Weſen geredet und ſich nicht ſo wol Muͤhe gegeben, zu
verſtehen: ob und wie man ſich ein Ding von dieſer Art
auch nur denken koͤnne, als vielmehr deſſen Daſeyn zu be-
weiſen. Nun iſt zwar eine Nahmenerklaͤrung von dieſem
Begriffe ganz leicht, daß es nemlich ſo etwas ſey, deſſen
Nichtſeyn unmoͤglich iſt, aber man wird hiedurch um nichts
kluͤger,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/622>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.