an der sehr verschiedenen Denkungsart der Naturforscher, deren einige (die vorzüglich speculativ sind), der Ungleich- artigkeit gleichsam feind, immer auf die Einheit der Gat- tung hinaussehen, die andere (vorzüglich empirische Köpfe) die Natur unaufhörlich in so viel Mannigfaltigkeit zu spalten suchen, daß man beinahe die Hoffnung aufge- ben müßte, ihre Erscheinungen nach allgemeinen Prin- cipien zu beurtheilen.
Dieser lezteren Denkungsart liegt offenbar auch ein logisches Princip zum Grunde, welches die systematische Vollständigkeit aller Erkentnisse zur Absicht hat, wenn ich, von der Gattung anhebend, zu dem Mannigfaltigen, das darunter enthalten seyn mag, herabsteige, und auf solche Weise dem System Ausbreitung, wie im ersteren Falle, da ich zur Gattung aufsteige, Einfalt zu verschaffen suche. Denn aus der Sphäre des Begriffs, der eine Gattung be- zeichnet, ist eben so wenig, wie aus dem Raume, den Materie einnehmen kan, zu ersehen, wie weit die Theilung derselben gehen könne. Daher iede Gattung verschiedene Arten, diese aber verschiedene Unterarten erfodert und, da keine der lezteren statt findet, die nicht immer wieder- um eine Sphäre (Umfang als conceptus communis) hätte, so verlangt die Vernunft in ihrer ganzen Erweite- rung, daß keine Art als die unterste an sich selbst angese- hen werde, weil, da sie doch immer ein Begriff ist, der nur das, was verschiedenen Dingen gemein ist, in sich ent- hält, dieser nicht durchgängig bestimt, mithin auch nicht
zu-
VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
an der ſehr verſchiedenen Denkungsart der Naturforſcher, deren einige (die vorzuͤglich ſpeculativ ſind), der Ungleich- artigkeit gleichſam feind, immer auf die Einheit der Gat- tung hinausſehen, die andere (vorzuͤglich empiriſche Koͤpfe) die Natur unaufhoͤrlich in ſo viel Mannigfaltigkeit zu ſpalten ſuchen, daß man beinahe die Hoffnung aufge- ben muͤßte, ihre Erſcheinungen nach allgemeinen Prin- cipien zu beurtheilen.
Dieſer lezteren Denkungsart liegt offenbar auch ein logiſches Princip zum Grunde, welches die ſyſtematiſche Vollſtaͤndigkeit aller Erkentniſſe zur Abſicht hat, wenn ich, von der Gattung anhebend, zu dem Mannigfaltigen, das darunter enthalten ſeyn mag, herabſteige, und auf ſolche Weiſe dem Syſtem Ausbreitung, wie im erſteren Falle, da ich zur Gattung aufſteige, Einfalt zu verſchaffen ſuche. Denn aus der Sphaͤre des Begriffs, der eine Gattung be- zeichnet, iſt eben ſo wenig, wie aus dem Raume, den Materie einnehmen kan, zu erſehen, wie weit die Theilung derſelben gehen koͤnne. Daher iede Gattung verſchiedene Arten, dieſe aber verſchiedene Unterarten erfodert und, da keine der lezteren ſtatt findet, die nicht immer wieder- um eine Sphaͤre (Umfang als conceptus communis) haͤtte, ſo verlangt die Vernunft in ihrer ganzen Erweite- rung, daß keine Art als die unterſte an ſich ſelbſt angeſe- hen werde, weil, da ſie doch immer ein Begriff iſt, der nur das, was verſchiedenen Dingen gemein iſt, in ſich ent- haͤlt, dieſer nicht durchgaͤngig beſtimt, mithin auch nicht
zu-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><divn="9"><p><pbfacs="#f0685"n="655"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">VII.</hi> Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.</fw><lb/>
an der ſehr verſchiedenen Denkungsart der Naturforſcher,<lb/>
deren einige (die vorzuͤglich ſpeculativ ſind), der Ungleich-<lb/>
artigkeit gleichſam feind, immer auf die Einheit der Gat-<lb/>
tung hinausſehen, die andere (vorzuͤglich empiriſche Koͤpfe)<lb/>
die Natur unaufhoͤrlich in ſo viel Mannigfaltigkeit zu<lb/>ſpalten ſuchen, daß man beinahe die Hoffnung aufge-<lb/>
ben muͤßte, ihre Erſcheinungen nach allgemeinen Prin-<lb/>
cipien zu beurtheilen.</p><lb/><p>Dieſer lezteren Denkungsart liegt offenbar auch ein<lb/>
logiſches Princip zum Grunde, welches die ſyſtematiſche<lb/>
Vollſtaͤndigkeit aller Erkentniſſe zur Abſicht hat, wenn ich,<lb/>
von der Gattung anhebend, zu dem Mannigfaltigen, das<lb/>
darunter enthalten ſeyn mag, herabſteige, und auf ſolche<lb/>
Weiſe dem Syſtem Ausbreitung, wie im erſteren Falle,<lb/>
da ich zur Gattung aufſteige, Einfalt zu verſchaffen ſuche.<lb/>
Denn aus der Sphaͤre des Begriffs, der eine Gattung be-<lb/>
zeichnet, iſt eben ſo wenig, wie aus dem Raume, den<lb/>
Materie einnehmen kan, zu erſehen, wie weit die Theilung<lb/>
derſelben gehen koͤnne. Daher iede <hirendition="#fr">Gattung</hi> verſchiedene<lb/><hirendition="#fr">Arten</hi>, dieſe aber verſchiedene <hirendition="#fr">Unterarten</hi> erfodert und,<lb/>
da keine der lezteren ſtatt findet, die nicht immer wieder-<lb/>
um eine Sphaͤre (Umfang als <hirendition="#aq">conceptus communis)</hi><lb/>
haͤtte, ſo verlangt die Vernunft in ihrer ganzen Erweite-<lb/>
rung, daß keine Art als die unterſte an ſich ſelbſt angeſe-<lb/>
hen werde, weil, da ſie doch immer ein Begriff iſt, der<lb/>
nur das, was verſchiedenen Dingen gemein iſt, in ſich ent-<lb/>
haͤlt, dieſer nicht durchgaͤngig beſtimt, mithin auch nicht<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zu-</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[655/0685]
VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
an der ſehr verſchiedenen Denkungsart der Naturforſcher,
deren einige (die vorzuͤglich ſpeculativ ſind), der Ungleich-
artigkeit gleichſam feind, immer auf die Einheit der Gat-
tung hinausſehen, die andere (vorzuͤglich empiriſche Koͤpfe)
die Natur unaufhoͤrlich in ſo viel Mannigfaltigkeit zu
ſpalten ſuchen, daß man beinahe die Hoffnung aufge-
ben muͤßte, ihre Erſcheinungen nach allgemeinen Prin-
cipien zu beurtheilen.
Dieſer lezteren Denkungsart liegt offenbar auch ein
logiſches Princip zum Grunde, welches die ſyſtematiſche
Vollſtaͤndigkeit aller Erkentniſſe zur Abſicht hat, wenn ich,
von der Gattung anhebend, zu dem Mannigfaltigen, das
darunter enthalten ſeyn mag, herabſteige, und auf ſolche
Weiſe dem Syſtem Ausbreitung, wie im erſteren Falle,
da ich zur Gattung aufſteige, Einfalt zu verſchaffen ſuche.
Denn aus der Sphaͤre des Begriffs, der eine Gattung be-
zeichnet, iſt eben ſo wenig, wie aus dem Raume, den
Materie einnehmen kan, zu erſehen, wie weit die Theilung
derſelben gehen koͤnne. Daher iede Gattung verſchiedene
Arten, dieſe aber verſchiedene Unterarten erfodert und,
da keine der lezteren ſtatt findet, die nicht immer wieder-
um eine Sphaͤre (Umfang als conceptus communis)
haͤtte, ſo verlangt die Vernunft in ihrer ganzen Erweite-
rung, daß keine Art als die unterſte an ſich ſelbſt angeſe-
hen werde, weil, da ſie doch immer ein Begriff iſt, der
nur das, was verſchiedenen Dingen gemein iſt, in ſich ent-
haͤlt, dieſer nicht durchgaͤngig beſtimt, mithin auch nicht
zu-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 655. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/685>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.