derselben glaubt sein Urtheil aus der Einsicht des Obiects zu haben und gründet es doch lediglich auf der grösseren oder kleineren Anhänglichkeit an einen von beiden Grund- sätzen, deren keine auf obiectiven Gründen beruht, sondern nur auf dem Vernunftinteresse, und die daher besser Maxi- men als Principien genant werden könten. Wenn ich einsehende Männer mit einander wegen der Characteristik der Menschen, der Thiere oder Pflanzen, ia selbst der Cörper des Mineralreichs im Streite sehe, da die einen z. B. besondere und in der Abstammung gegründete Volks- charactere, oder auch entschiedene und erbliche Unterschie- de der Familien, Racen u. s. w. annehmen, andere dage- gen ihren Sinn darauf setzen, daß die Natur in diesem Stücke ganz und gar einerley Anlagen gemacht habe und aller Unterschied nur auf äusseren Zufälligkeiten beruhe, so darf ich nur die Beschaffenheit des Gegenstandes in Betrachtung ziehen, um zu begreifen, daß er vor beide viel zu tief verborgen liege, als daß sie aus Einsicht in die Natur des Obiects sprechen könten. Es ist nichts an- deres, als das zwiefache Interesse der Vernunft, davon dieser Theil das eine, iener das andere zu Herzen nimt, oder auch affectirt, mithin die Verschiedenheit der Maxi- men der Naturmannigfaltigkeit, oder der Natureinheit, welche sich gar wol vereinigen lassen, aber so lange sie vor obiective Einsichten gehalten werden, nicht allein Streit, sondern auch Hindernisse veranlassen, welche die Wahr- heit lange aufhalten, bis ein Mittel gefunden wird, das
strit-
VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
derſelben glaubt ſein Urtheil aus der Einſicht des Obiects zu haben und gruͤndet es doch lediglich auf der groͤſſeren oder kleineren Anhaͤnglichkeit an einen von beiden Grund- ſaͤtzen, deren keine auf obiectiven Gruͤnden beruht, ſondern nur auf dem Vernunftintereſſe, und die daher beſſer Maxi- men als Principien genant werden koͤnten. Wenn ich einſehende Maͤnner mit einander wegen der Characteriſtik der Menſchen, der Thiere oder Pflanzen, ia ſelbſt der Coͤrper des Mineralreichs im Streite ſehe, da die einen z. B. beſondere und in der Abſtammung gegruͤndete Volks- charactere, oder auch entſchiedene und erbliche Unterſchie- de der Familien, Racen u. ſ. w. annehmen, andere dage- gen ihren Sinn darauf ſetzen, daß die Natur in dieſem Stuͤcke ganz und gar einerley Anlagen gemacht habe und aller Unterſchied nur auf aͤuſſeren Zufaͤlligkeiten beruhe, ſo darf ich nur die Beſchaffenheit des Gegenſtandes in Betrachtung ziehen, um zu begreifen, daß er vor beide viel zu tief verborgen liege, als daß ſie aus Einſicht in die Natur des Obiects ſprechen koͤnten. Es iſt nichts an- deres, als das zwiefache Intereſſe der Vernunft, davon dieſer Theil das eine, iener das andere zu Herzen nimt, oder auch affectirt, mithin die Verſchiedenheit der Maxi- men der Naturmannigfaltigkeit, oder der Natureinheit, welche ſich gar wol vereinigen laſſen, aber ſo lange ſie vor obiective Einſichten gehalten werden, nicht allein Streit, ſondern auch Hinderniſſe veranlaſſen, welche die Wahr- heit lange aufhalten, bis ein Mittel gefunden wird, das
ſtrit-
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VII. Abſch. Critik aller ſpeculativen Theologie.
derſelben glaubt ſein Urtheil aus der Einſicht des Obiects
zu haben und gruͤndet es doch lediglich auf der groͤſſeren
oder kleineren Anhaͤnglichkeit an einen von beiden Grund-
ſaͤtzen, deren keine auf obiectiven Gruͤnden beruht, ſondern
nur auf dem Vernunftintereſſe, und die daher beſſer Maxi-
men als Principien genant werden koͤnten. Wenn ich
einſehende Maͤnner mit einander wegen der Characteriſtik
der Menſchen, der Thiere oder Pflanzen, ia ſelbſt der
Coͤrper des Mineralreichs im Streite ſehe, da die einen
z. B. beſondere und in der Abſtammung gegruͤndete Volks-
charactere, oder auch entſchiedene und erbliche Unterſchie-
de der Familien, Racen u. ſ. w. annehmen, andere dage-
gen ihren Sinn darauf ſetzen, daß die Natur in dieſem
Stuͤcke ganz und gar einerley Anlagen gemacht habe und
aller Unterſchied nur auf aͤuſſeren Zufaͤlligkeiten beruhe,
ſo darf ich nur die Beſchaffenheit des Gegenſtandes in
Betrachtung ziehen, um zu begreifen, daß er vor beide
viel zu tief verborgen liege, als daß ſie aus Einſicht in
die Natur des Obiects ſprechen koͤnten. Es iſt nichts an-
deres, als das zwiefache Intereſſe der Vernunft, davon
dieſer Theil das eine, iener das andere zu Herzen nimt,
oder auch affectirt, mithin die Verſchiedenheit der Maxi-
men der Naturmannigfaltigkeit, oder der Natureinheit,
welche ſich gar wol vereinigen laſſen, aber ſo lange ſie vor
obiective Einſichten gehalten werden, nicht allein Streit,
ſondern auch Hinderniſſe veranlaſſen, welche die Wahr-
heit lange aufhalten, bis ein Mittel gefunden wird, das
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/697>, abgerufen am 22.11.2024.
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