Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Methodenlehre I. Hauptst. I. Absch.
wol zwar durch ihn synthetisch und a priori urtheilen,
aber nur discursiv, nach Begriffen, niemals aber intui-
tiv durch die Construction des Begriffes.

Nun ist von aller Anschauung keine a priori gege-
ben, als die blosse Form der Erscheinungen, Raum und
Zeit und ein Begriff von diesen, als Quantis, läßt sich ent-
weder zugleich mit der Qualität derselben (ihre Gestalt),
oder auch blos ihre Quantität (die blosse Synthesis des
Gleichartigmannigfaltigen) durch Zahl a priori in der An-
schauung darstellen, d. i. construiren. Die Materie aber
der Erscheinungen, wodurch uns Dinge im Raume und
der Zeit gegeben werden, kan nur in der Wahrnehmung,
mithin a posteriori vorgestellet werden. Der einzige Be-
griff, der a priori diesen empirischen Gehalt der Erschei-
nungen vorstellt, ist der Begriff des Dinges überhaupt,
und die synthetische Erkentniß von demselben a priori kan
nichts weiter, als die blosse Regel der Synthesis desieni-
gen, was die Wahrnehmung a posteriori geben mag, nie-
mals aber die Anschauung des realen Gegenstandes a priori
liefern, weil diese nothwendig empirisch seyn muß.

Synthetische Sätze, die auf Dinge überhaupt, de-
ren Anschauung sich a priori gar nicht geben läßt, gehen,
sind transscendental. Demnach lassen sich transscenden-
tale Sätze niemals durch Construction der Begriffe, son-
dern nur nach Begriffen a priori geben. Sie enthalten
blos die Regel, nach der eine gewisse synthetische Einheit
desienigen, was nicht a priori anschaulich vorgestellt wer-

den

Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch.
wol zwar durch ihn ſynthetiſch und a priori urtheilen,
aber nur discurſiv, nach Begriffen, niemals aber intui-
tiv durch die Conſtruction des Begriffes.

Nun iſt von aller Anſchauung keine a priori gege-
ben, als die bloſſe Form der Erſcheinungen, Raum und
Zeit und ein Begriff von dieſen, als Quantis, laͤßt ſich ent-
weder zugleich mit der Qualitaͤt derſelben (ihre Geſtalt),
oder auch blos ihre Quantitaͤt (die bloſſe Syntheſis des
Gleichartigmannigfaltigen) durch Zahl a priori in der An-
ſchauung darſtellen, d. i. conſtruiren. Die Materie aber
der Erſcheinungen, wodurch uns Dinge im Raume und
der Zeit gegeben werden, kan nur in der Wahrnehmung,
mithin a poſteriori vorgeſtellet werden. Der einzige Be-
griff, der a priori dieſen empiriſchen Gehalt der Erſchei-
nungen vorſtellt, iſt der Begriff des Dinges uͤberhaupt,
und die ſynthetiſche Erkentniß von demſelben a priori kan
nichts weiter, als die bloſſe Regel der Syntheſis desieni-
gen, was die Wahrnehmung a poſteriori geben mag, nie-
mals aber die Anſchauung des realen Gegenſtandes a priori
liefern, weil dieſe nothwendig empiriſch ſeyn muß.

Synthetiſche Saͤtze, die auf Dinge uͤberhaupt, de-
ren Anſchauung ſich a priori gar nicht geben laͤßt, gehen,
ſind transſcendental. Demnach laſſen ſich transſcenden-
tale Saͤtze niemals durch Conſtruction der Begriffe, ſon-
dern nur nach Begriffen a priori geben. Sie enthalten
blos die Regel, nach der eine gewiſſe ſynthetiſche Einheit
desienigen, was nicht a priori anſchaulich vorgeſtellt wer-

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0750" n="720"/><fw place="top" type="header">Methodenlehre <hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;t. <hi rendition="#aq">I.</hi> Ab&#x017F;ch.</fw><lb/>
wol zwar durch ihn &#x017F;yntheti&#x017F;ch und <hi rendition="#aq">a priori</hi> urtheilen,<lb/>
aber nur discur&#x017F;iv, nach Begriffen, niemals aber intui-<lb/>
tiv durch die Con&#x017F;truction des Begriffes.</p><lb/>
            <p>Nun i&#x017F;t von aller An&#x017F;chauung keine <hi rendition="#aq">a priori</hi> gege-<lb/>
ben, als die blo&#x017F;&#x017F;e Form der Er&#x017F;cheinungen, Raum und<lb/>
Zeit und ein Begriff von die&#x017F;en, als <hi rendition="#aq">Quantis,</hi> la&#x0364;ßt &#x017F;ich ent-<lb/>
weder zugleich mit der Qualita&#x0364;t der&#x017F;elben (ihre Ge&#x017F;talt),<lb/>
oder auch blos ihre Quantita&#x0364;t (die blo&#x017F;&#x017F;e Synthe&#x017F;is des<lb/>
Gleichartigmannigfaltigen) durch Zahl <hi rendition="#aq">a priori</hi> in der An-<lb/>
&#x017F;chauung dar&#x017F;tellen, d. i. con&#x017F;truiren. Die Materie aber<lb/>
der Er&#x017F;cheinungen, wodurch uns <hi rendition="#fr">Dinge</hi> im Raume und<lb/>
der Zeit gegeben werden, kan nur in der Wahrnehmung,<lb/>
mithin <hi rendition="#aq">a po&#x017F;teriori</hi> vorge&#x017F;tellet werden. Der einzige Be-<lb/>
griff, der <hi rendition="#aq">a priori</hi> die&#x017F;en empiri&#x017F;chen Gehalt der Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen vor&#x017F;tellt, i&#x017F;t der Begriff des <hi rendition="#fr">Dinges</hi> u&#x0364;berhaupt,<lb/>
und die &#x017F;yntheti&#x017F;che Erkentniß von dem&#x017F;elben <hi rendition="#aq">a priori</hi> kan<lb/>
nichts weiter, als die blo&#x017F;&#x017F;e Regel der Synthe&#x017F;is desieni-<lb/>
gen, was die Wahrnehmung <hi rendition="#aq">a po&#x017F;teriori</hi> geben mag, nie-<lb/>
mals aber die An&#x017F;chauung des realen Gegen&#x017F;tandes <hi rendition="#aq">a priori</hi><lb/>
liefern, weil die&#x017F;e nothwendig empiri&#x017F;ch &#x017F;eyn muß.</p><lb/>
            <p>Syntheti&#x017F;che Sa&#x0364;tze, die auf <hi rendition="#fr">Dinge</hi> u&#x0364;berhaupt, de-<lb/>
ren An&#x017F;chauung &#x017F;ich <hi rendition="#aq">a priori</hi> gar nicht geben la&#x0364;ßt, gehen,<lb/>
&#x017F;ind trans&#x017F;cendental. Demnach la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich trans&#x017F;cenden-<lb/>
tale Sa&#x0364;tze niemals durch Con&#x017F;truction der Begriffe, &#x017F;on-<lb/>
dern nur nach Begriffen <hi rendition="#aq">a priori</hi> geben. Sie enthalten<lb/>
blos die Regel, nach der eine gewi&#x017F;&#x017F;e &#x017F;yntheti&#x017F;che Einheit<lb/>
desienigen, was nicht <hi rendition="#aq">a priori</hi> an&#x017F;chaulich vorge&#x017F;tellt wer-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[720/0750] Methodenlehre I. Hauptſt. I. Abſch. wol zwar durch ihn ſynthetiſch und a priori urtheilen, aber nur discurſiv, nach Begriffen, niemals aber intui- tiv durch die Conſtruction des Begriffes. Nun iſt von aller Anſchauung keine a priori gege- ben, als die bloſſe Form der Erſcheinungen, Raum und Zeit und ein Begriff von dieſen, als Quantis, laͤßt ſich ent- weder zugleich mit der Qualitaͤt derſelben (ihre Geſtalt), oder auch blos ihre Quantitaͤt (die bloſſe Syntheſis des Gleichartigmannigfaltigen) durch Zahl a priori in der An- ſchauung darſtellen, d. i. conſtruiren. Die Materie aber der Erſcheinungen, wodurch uns Dinge im Raume und der Zeit gegeben werden, kan nur in der Wahrnehmung, mithin a poſteriori vorgeſtellet werden. Der einzige Be- griff, der a priori dieſen empiriſchen Gehalt der Erſchei- nungen vorſtellt, iſt der Begriff des Dinges uͤberhaupt, und die ſynthetiſche Erkentniß von demſelben a priori kan nichts weiter, als die bloſſe Regel der Syntheſis desieni- gen, was die Wahrnehmung a poſteriori geben mag, nie- mals aber die Anſchauung des realen Gegenſtandes a priori liefern, weil dieſe nothwendig empiriſch ſeyn muß. Synthetiſche Saͤtze, die auf Dinge uͤberhaupt, de- ren Anſchauung ſich a priori gar nicht geben laͤßt, gehen, ſind transſcendental. Demnach laſſen ſich transſcenden- tale Saͤtze niemals durch Conſtruction der Begriffe, ſon- dern nur nach Begriffen a priori geben. Sie enthalten blos die Regel, nach der eine gewiſſe ſynthetiſche Einheit desienigen, was nicht a priori anſchaulich vorgeſtellt wer- den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/750
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/750>, abgerufen am 22.11.2024.