man nicht sagen kan, wie weit der Schluß aus selbiger reichen möge. Wenn ich mir die Erdfläche (dem sinnli- chen Scheine gemäß), als einen Teller vorstelle, so kan ich nicht wissen, wie weit sie sich erstrecke. Aber das lehrt mich die Erfahrung: daß, wohin ich nur komme, ich im- mer einen Raum um mich sehe, dahin ich weiter fortge- hen könte, mithin erkenne ich Schranken meiner iedes- mal wirklichen Erdkunde, aber nicht die Gränzen aller möglichen Erdbeschreibung. Bin ich aber doch soweit ge- kommen, zu wissen: daß die Erde eine Kugel und ihre Fläche eine Kugelfläche sey, so kan ich auch aus einem kleinen Theil derselben, z. B. der Grösse eines Grades, den Durchmesser und, durch diesen, die völlige Begrän- zung der Erde, d. i. ihre Oberfläche bestimt und, nach Principien a priori erkennen und, ob ich gleich in Anse- hung der Gegenstände, die diese Fläche enthalten mag, unwissend bin, so bin ich es doch nicht in Ansehung des Umfanges, der sie enthält, der Grösse und Schranken derselben.
Der Inbegriff aller möglichen Gegenstände vor un- sere Erkentniß scheint uns eine ebene Fläche zu seyn, die ihren scheinbaren Horizont hat, nemlich das, was den ganzen Umfang derselben befasset und von uns der Ver- nunftbegriff der unbedingten Totalität genant worden. Empirisch denselben zu erreichen, ist unmöglich, und nach einem gewissen Princip ihn a priori zu bestimmen, dazu sind alle Versuche vergeblich gewesen. Indessen gehen doch
alle
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Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc.
man nicht ſagen kan, wie weit der Schluß aus ſelbiger reichen moͤge. Wenn ich mir die Erdflaͤche (dem ſinnli- chen Scheine gemaͤß), als einen Teller vorſtelle, ſo kan ich nicht wiſſen, wie weit ſie ſich erſtrecke. Aber das lehrt mich die Erfahrung: daß, wohin ich nur komme, ich im- mer einen Raum um mich ſehe, dahin ich weiter fortge- hen koͤnte, mithin erkenne ich Schranken meiner iedes- mal wirklichen Erdkunde, aber nicht die Graͤnzen aller moͤglichen Erdbeſchreibung. Bin ich aber doch ſoweit ge- kommen, zu wiſſen: daß die Erde eine Kugel und ihre Flaͤche eine Kugelflaͤche ſey, ſo kan ich auch aus einem kleinen Theil derſelben, z. B. der Groͤſſe eines Grades, den Durchmeſſer und, durch dieſen, die voͤllige Begraͤn- zung der Erde, d. i. ihre Oberflaͤche beſtimt und, nach Principien a priori erkennen und, ob ich gleich in Anſe- hung der Gegenſtaͤnde, die dieſe Flaͤche enthalten mag, unwiſſend bin, ſo bin ich es doch nicht in Anſehung des Umfanges, der ſie enthaͤlt, der Groͤſſe und Schranken derſelben.
Der Inbegriff aller moͤglichen Gegenſtaͤnde vor un- ſere Erkentniß ſcheint uns eine ebene Flaͤche zu ſeyn, die ihren ſcheinbaren Horizont hat, nemlich das, was den ganzen Umfang derſelben befaſſet und von uns der Ver- nunftbegriff der unbedingten Totalitaͤt genant worden. Empiriſch denſelben zu erreichen, iſt unmoͤglich, und nach einem gewiſſen Princip ihn a priori zu beſtimmen, dazu ſind alle Verſuche vergeblich geweſen. Indeſſen gehen doch
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Die Diſciplin der reinen Vernunft im polem. ꝛc.
man nicht ſagen kan, wie weit der Schluß aus ſelbiger
reichen moͤge. Wenn ich mir die Erdflaͤche (dem ſinnli-
chen Scheine gemaͤß), als einen Teller vorſtelle, ſo kan ich
nicht wiſſen, wie weit ſie ſich erſtrecke. Aber das lehrt
mich die Erfahrung: daß, wohin ich nur komme, ich im-
mer einen Raum um mich ſehe, dahin ich weiter fortge-
hen koͤnte, mithin erkenne ich Schranken meiner iedes-
mal wirklichen Erdkunde, aber nicht die Graͤnzen aller
moͤglichen Erdbeſchreibung. Bin ich aber doch ſoweit ge-
kommen, zu wiſſen: daß die Erde eine Kugel und ihre
Flaͤche eine Kugelflaͤche ſey, ſo kan ich auch aus einem
kleinen Theil derſelben, z. B. der Groͤſſe eines Grades,
den Durchmeſſer und, durch dieſen, die voͤllige Begraͤn-
zung der Erde, d. i. ihre Oberflaͤche beſtimt und, nach
Principien a priori erkennen und, ob ich gleich in Anſe-
hung der Gegenſtaͤnde, die dieſe Flaͤche enthalten mag,
unwiſſend bin, ſo bin ich es doch nicht in Anſehung des
Umfanges, der ſie enthaͤlt, der Groͤſſe und Schranken
derſelben.
Der Inbegriff aller moͤglichen Gegenſtaͤnde vor un-
ſere Erkentniß ſcheint uns eine ebene Flaͤche zu ſeyn, die
ihren ſcheinbaren Horizont hat, nemlich das, was den
ganzen Umfang derſelben befaſſet und von uns der Ver-
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 759. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/789>, abgerufen am 22.11.2024.
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