alle Fragen unserer reinen Vernunft auf das, was ausser- halb diesem Horizonte, oder allenfalls auch in seiner Gränzlinie liegen möge.
Der berühmte David Hume war einer dieser Geo- graphen der menschlichen Vernunft, welcher iene Fragen insgesamt dadurch hinreichend abgefertigt zu haben vermein- te, daß er sie ausserhalb den Horizont derselben verwies, den er doch nicht bestimmen konte. Er hielte sich vornemlich bey dem Grundsatze der Caussalität auf und bemerkte von ihm ganz richtig: daß man seine Wahrheit (ia nicht ein- mal die obiective Gültigkeit des Begriffs einer wirkenden Ursache überhaupt) auf gar keine Einsicht, d. i. Erkent- niß a priori fusse, daß daher auch nicht im mindesten die Nothwendigkeit dieses Gesetzes, sondern eine blosse allge- meine Brauchbarkeit desselben in dem Laufe der Erfahrung und eine daher entspringende subiective Nothwendigkeit, die er Gewohnheit nent, sein ganzes Ansehen ausmache. Aus dem Unvermögen unserer Vernunft nun, von diesem Grundsatze einen über alle Erfahrung hinausgehenden Ge- brauch zu machen, schloß er die Nichtigkeit aller Anmassun- gen der Vernunft überhaupt über das Empirische hinaus zu gehen.
Man kan ein Verfahren dieser Art, die Facta der Vernunft der Prüfung und, nach Befinden, dem Tadel zu unterwerfen, die Censur der Vernunft nennen. Es ist ausser Zweifel: daß diese Censur unausbleiblich auf Zwei- fel gegen allen transscendenten Gebrauch der Grundsätze
führe.
Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch.
alle Fragen unſerer reinen Vernunft auf das, was auſſer- halb dieſem Horizonte, oder allenfalls auch in ſeiner Graͤnzlinie liegen moͤge.
Der beruͤhmte David Hume war einer dieſer Geo- graphen der menſchlichen Vernunft, welcher iene Fragen insgeſamt dadurch hinreichend abgefertigt zu haben vermein- te, daß er ſie auſſerhalb den Horizont derſelben verwies, den er doch nicht beſtimmen konte. Er hielte ſich vornemlich bey dem Grundſatze der Cauſſalitaͤt auf und bemerkte von ihm ganz richtig: daß man ſeine Wahrheit (ia nicht ein- mal die obiective Guͤltigkeit des Begriffs einer wirkenden Urſache uͤberhaupt) auf gar keine Einſicht, d. i. Erkent- niß a priori fuſſe, daß daher auch nicht im mindeſten die Nothwendigkeit dieſes Geſetzes, ſondern eine bloſſe allge- meine Brauchbarkeit deſſelben in dem Laufe der Erfahrung und eine daher entſpringende ſubiective Nothwendigkeit, die er Gewohnheit nent, ſein ganzes Anſehen ausmache. Aus dem Unvermoͤgen unſerer Vernunft nun, von dieſem Grundſatze einen uͤber alle Erfahrung hinausgehenden Ge- brauch zu machen, ſchloß er die Nichtigkeit aller Anmaſſun- gen der Vernunft uͤberhaupt uͤber das Empiriſche hinaus zu gehen.
Man kan ein Verfahren dieſer Art, die Facta der Vernunft der Pruͤfung und, nach Befinden, dem Tadel zu unterwerfen, die Cenſur der Vernunft nennen. Es iſt auſſer Zweifel: daß dieſe Cenſur unausbleiblich auf Zwei- fel gegen allen transſcendenten Gebrauch der Grundſaͤtze
fuͤhre.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0790"n="760"/><fwplace="top"type="header">Methodenlehre <hirendition="#aq">I.</hi> Hauptſt. <hirendition="#aq">II.</hi> Abſch.</fw><lb/>
alle Fragen unſerer reinen Vernunft auf das, was auſſer-<lb/>
halb dieſem Horizonte, oder allenfalls auch in ſeiner<lb/>
Graͤnzlinie liegen moͤge.</p><lb/><p>Der beruͤhmte David Hume war einer dieſer Geo-<lb/>
graphen der menſchlichen Vernunft, welcher iene Fragen<lb/>
insgeſamt dadurch hinreichend abgefertigt zu haben vermein-<lb/>
te, daß er ſie auſſerhalb den Horizont derſelben verwies, den<lb/>
er doch nicht beſtimmen konte. Er hielte ſich vornemlich<lb/>
bey dem Grundſatze der Cauſſalitaͤt auf und bemerkte von<lb/>
ihm ganz richtig: daß man ſeine Wahrheit (ia nicht ein-<lb/>
mal die obiective Guͤltigkeit des Begriffs einer wirkenden<lb/>
Urſache uͤberhaupt) auf gar keine Einſicht, d. i. Erkent-<lb/>
niß <hirendition="#aq">a priori</hi> fuſſe, daß daher auch nicht im mindeſten die<lb/>
Nothwendigkeit dieſes Geſetzes, ſondern eine bloſſe allge-<lb/>
meine Brauchbarkeit deſſelben in dem Laufe der Erfahrung<lb/>
und eine daher entſpringende ſubiective Nothwendigkeit,<lb/>
die er Gewohnheit nent, ſein ganzes Anſehen ausmache.<lb/>
Aus dem Unvermoͤgen unſerer Vernunft nun, von dieſem<lb/>
Grundſatze einen uͤber alle Erfahrung hinausgehenden Ge-<lb/>
brauch zu machen, ſchloß er die Nichtigkeit aller Anmaſſun-<lb/>
gen der Vernunft uͤberhaupt uͤber das Empiriſche hinaus<lb/>
zu gehen.</p><lb/><p>Man kan ein Verfahren dieſer Art, die <hirendition="#aq">Facta</hi> der<lb/>
Vernunft der Pruͤfung und, nach Befinden, dem Tadel<lb/>
zu unterwerfen, die <hirendition="#fr">Cenſur</hi> der Vernunft nennen. Es iſt<lb/>
auſſer Zweifel: daß dieſe Cenſur unausbleiblich auf <hirendition="#fr">Zwei-<lb/>
fel</hi> gegen allen transſcendenten Gebrauch der Grundſaͤtze<lb/><fwplace="bottom"type="catch">fuͤhre.</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[760/0790]
Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch.
alle Fragen unſerer reinen Vernunft auf das, was auſſer-
halb dieſem Horizonte, oder allenfalls auch in ſeiner
Graͤnzlinie liegen moͤge.
Der beruͤhmte David Hume war einer dieſer Geo-
graphen der menſchlichen Vernunft, welcher iene Fragen
insgeſamt dadurch hinreichend abgefertigt zu haben vermein-
te, daß er ſie auſſerhalb den Horizont derſelben verwies, den
er doch nicht beſtimmen konte. Er hielte ſich vornemlich
bey dem Grundſatze der Cauſſalitaͤt auf und bemerkte von
ihm ganz richtig: daß man ſeine Wahrheit (ia nicht ein-
mal die obiective Guͤltigkeit des Begriffs einer wirkenden
Urſache uͤberhaupt) auf gar keine Einſicht, d. i. Erkent-
niß a priori fuſſe, daß daher auch nicht im mindeſten die
Nothwendigkeit dieſes Geſetzes, ſondern eine bloſſe allge-
meine Brauchbarkeit deſſelben in dem Laufe der Erfahrung
und eine daher entſpringende ſubiective Nothwendigkeit,
die er Gewohnheit nent, ſein ganzes Anſehen ausmache.
Aus dem Unvermoͤgen unſerer Vernunft nun, von dieſem
Grundſatze einen uͤber alle Erfahrung hinausgehenden Ge-
brauch zu machen, ſchloß er die Nichtigkeit aller Anmaſſun-
gen der Vernunft uͤberhaupt uͤber das Empiriſche hinaus
zu gehen.
Man kan ein Verfahren dieſer Art, die Facta der
Vernunft der Pruͤfung und, nach Befinden, dem Tadel
zu unterwerfen, die Cenſur der Vernunft nennen. Es iſt
auſſer Zweifel: daß dieſe Cenſur unausbleiblich auf Zwei-
fel gegen allen transſcendenten Gebrauch der Grundſaͤtze
fuͤhre.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 760. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/790>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.