Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch.
alle Fragen unserer reinen Vernunft auf das, was ausser-
halb diesem Horizonte, oder allenfalls auch in seiner
Gränzlinie liegen möge.

Der berühmte David Hume war einer dieser Geo-
graphen der menschlichen Vernunft, welcher iene Fragen
insgesamt dadurch hinreichend abgefertigt zu haben vermein-
te, daß er sie ausserhalb den Horizont derselben verwies, den
er doch nicht bestimmen konte. Er hielte sich vornemlich
bey dem Grundsatze der Caussalität auf und bemerkte von
ihm ganz richtig: daß man seine Wahrheit (ia nicht ein-
mal die obiective Gültigkeit des Begriffs einer wirkenden
Ursache überhaupt) auf gar keine Einsicht, d. i. Erkent-
niß a priori fusse, daß daher auch nicht im mindesten die
Nothwendigkeit dieses Gesetzes, sondern eine blosse allge-
meine Brauchbarkeit desselben in dem Laufe der Erfahrung
und eine daher entspringende subiective Nothwendigkeit,
die er Gewohnheit nent, sein ganzes Ansehen ausmache.
Aus dem Unvermögen unserer Vernunft nun, von diesem
Grundsatze einen über alle Erfahrung hinausgehenden Ge-
brauch zu machen, schloß er die Nichtigkeit aller Anmassun-
gen der Vernunft überhaupt über das Empirische hinaus
zu gehen.

Man kan ein Verfahren dieser Art, die Facta der
Vernunft der Prüfung und, nach Befinden, dem Tadel
zu unterwerfen, die Censur der Vernunft nennen. Es ist
ausser Zweifel: daß diese Censur unausbleiblich auf Zwei-
fel
gegen allen transscendenten Gebrauch der Grundsätze

führe.

Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch.
alle Fragen unſerer reinen Vernunft auf das, was auſſer-
halb dieſem Horizonte, oder allenfalls auch in ſeiner
Graͤnzlinie liegen moͤge.

Der beruͤhmte David Hume war einer dieſer Geo-
graphen der menſchlichen Vernunft, welcher iene Fragen
insgeſamt dadurch hinreichend abgefertigt zu haben vermein-
te, daß er ſie auſſerhalb den Horizont derſelben verwies, den
er doch nicht beſtimmen konte. Er hielte ſich vornemlich
bey dem Grundſatze der Cauſſalitaͤt auf und bemerkte von
ihm ganz richtig: daß man ſeine Wahrheit (ia nicht ein-
mal die obiective Guͤltigkeit des Begriffs einer wirkenden
Urſache uͤberhaupt) auf gar keine Einſicht, d. i. Erkent-
niß a priori fuſſe, daß daher auch nicht im mindeſten die
Nothwendigkeit dieſes Geſetzes, ſondern eine bloſſe allge-
meine Brauchbarkeit deſſelben in dem Laufe der Erfahrung
und eine daher entſpringende ſubiective Nothwendigkeit,
die er Gewohnheit nent, ſein ganzes Anſehen ausmache.
Aus dem Unvermoͤgen unſerer Vernunft nun, von dieſem
Grundſatze einen uͤber alle Erfahrung hinausgehenden Ge-
brauch zu machen, ſchloß er die Nichtigkeit aller Anmaſſun-
gen der Vernunft uͤberhaupt uͤber das Empiriſche hinaus
zu gehen.

Man kan ein Verfahren dieſer Art, die Facta der
Vernunft der Pruͤfung und, nach Befinden, dem Tadel
zu unterwerfen, die Cenſur der Vernunft nennen. Es iſt
auſſer Zweifel: daß dieſe Cenſur unausbleiblich auf Zwei-
fel
gegen allen transſcendenten Gebrauch der Grundſaͤtze

fuͤhre.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0790" n="760"/><fw place="top" type="header">Methodenlehre <hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;t. <hi rendition="#aq">II.</hi> Ab&#x017F;ch.</fw><lb/>
alle Fragen un&#x017F;erer reinen Vernunft auf das, was au&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
halb die&#x017F;em Horizonte, oder allenfalls auch in &#x017F;einer<lb/>
Gra&#x0364;nzlinie liegen mo&#x0364;ge.</p><lb/>
              <p>Der beru&#x0364;hmte David Hume war einer die&#x017F;er Geo-<lb/>
graphen der men&#x017F;chlichen Vernunft, welcher iene Fragen<lb/>
insge&#x017F;amt dadurch hinreichend abgefertigt zu haben vermein-<lb/>
te, daß er &#x017F;ie au&#x017F;&#x017F;erhalb den Horizont der&#x017F;elben verwies, den<lb/>
er doch nicht be&#x017F;timmen konte. Er hielte &#x017F;ich vornemlich<lb/>
bey dem Grund&#x017F;atze der Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t auf und bemerkte von<lb/>
ihm ganz richtig: daß man &#x017F;eine Wahrheit (ia nicht ein-<lb/>
mal die obiective Gu&#x0364;ltigkeit des Begriffs einer wirkenden<lb/>
Ur&#x017F;ache u&#x0364;berhaupt) auf gar keine Ein&#x017F;icht, d. i. Erkent-<lb/>
niß <hi rendition="#aq">a priori</hi> fu&#x017F;&#x017F;e, daß daher auch nicht im minde&#x017F;ten die<lb/>
Nothwendigkeit die&#x017F;es Ge&#x017F;etzes, &#x017F;ondern eine blo&#x017F;&#x017F;e allge-<lb/>
meine Brauchbarkeit de&#x017F;&#x017F;elben in dem Laufe der Erfahrung<lb/>
und eine daher ent&#x017F;pringende &#x017F;ubiective Nothwendigkeit,<lb/>
die er Gewohnheit nent, &#x017F;ein ganzes An&#x017F;ehen ausmache.<lb/>
Aus dem Unvermo&#x0364;gen un&#x017F;erer Vernunft nun, von die&#x017F;em<lb/>
Grund&#x017F;atze einen u&#x0364;ber alle Erfahrung hinausgehenden Ge-<lb/>
brauch zu machen, &#x017F;chloß er die Nichtigkeit aller Anma&#x017F;&#x017F;un-<lb/>
gen der Vernunft u&#x0364;berhaupt u&#x0364;ber das Empiri&#x017F;che hinaus<lb/>
zu gehen.</p><lb/>
              <p>Man kan ein Verfahren die&#x017F;er Art, die <hi rendition="#aq">Facta</hi> der<lb/>
Vernunft der Pru&#x0364;fung und, nach Befinden, dem Tadel<lb/>
zu unterwerfen, die <hi rendition="#fr">Cen&#x017F;ur</hi> der Vernunft nennen. Es i&#x017F;t<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er Zweifel: daß die&#x017F;e Cen&#x017F;ur unausbleiblich auf <hi rendition="#fr">Zwei-<lb/>
fel</hi> gegen allen trans&#x017F;cendenten Gebrauch der Grund&#x017F;a&#x0364;tze<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;hre.</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[760/0790] Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch. alle Fragen unſerer reinen Vernunft auf das, was auſſer- halb dieſem Horizonte, oder allenfalls auch in ſeiner Graͤnzlinie liegen moͤge. Der beruͤhmte David Hume war einer dieſer Geo- graphen der menſchlichen Vernunft, welcher iene Fragen insgeſamt dadurch hinreichend abgefertigt zu haben vermein- te, daß er ſie auſſerhalb den Horizont derſelben verwies, den er doch nicht beſtimmen konte. Er hielte ſich vornemlich bey dem Grundſatze der Cauſſalitaͤt auf und bemerkte von ihm ganz richtig: daß man ſeine Wahrheit (ia nicht ein- mal die obiective Guͤltigkeit des Begriffs einer wirkenden Urſache uͤberhaupt) auf gar keine Einſicht, d. i. Erkent- niß a priori fuſſe, daß daher auch nicht im mindeſten die Nothwendigkeit dieſes Geſetzes, ſondern eine bloſſe allge- meine Brauchbarkeit deſſelben in dem Laufe der Erfahrung und eine daher entſpringende ſubiective Nothwendigkeit, die er Gewohnheit nent, ſein ganzes Anſehen ausmache. Aus dem Unvermoͤgen unſerer Vernunft nun, von dieſem Grundſatze einen uͤber alle Erfahrung hinausgehenden Ge- brauch zu machen, ſchloß er die Nichtigkeit aller Anmaſſun- gen der Vernunft uͤberhaupt uͤber das Empiriſche hinaus zu gehen. Man kan ein Verfahren dieſer Art, die Facta der Vernunft der Pruͤfung und, nach Befinden, dem Tadel zu unterwerfen, die Cenſur der Vernunft nennen. Es iſt auſſer Zweifel: daß dieſe Cenſur unausbleiblich auf Zwei- fel gegen allen transſcendenten Gebrauch der Grundſaͤtze fuͤhre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/790
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 760. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/790>, abgerufen am 22.11.2024.