nen alle unsere Erkentniß von Gegenständen eingeschlos- sen ist.
Unsere Vernunft ist nicht etwa eine unbestimbarweit ausgebreitete Ebene, deren Schranken man nur so über- haupt erkent, sondern muß vielmehr mit einer Sphäre verglichen werden, deren Halbmesser sich aus der Krüm- mung des Bogens auf ihrer Oberfläche (der Natur syntheti- scher Sätze a priori) finden, daraus aber auch der Inhalt und die Begränzung derselben mit Sicherheit angeben läßt. Ausser dieser Sphäre (Feld der Erfahrung) ist nichts vor ihr Obiect, ia selbst Fragen über dergleichen vermeintliche Gegenstände betreffen nur subiective Princi- pien einer durchgängigen Bestimmung der Verhältnisse, welche unter den Verstandes Begriffen innerhalb dieser Sphä- re vorkommen können.
Wir sind wirklich im Besitz synthetischer Erkentniß a priori, wie dieses die Verstandesgrundsätze, welche die Erfahrung anticipiren, darthun. Kan iemand nun die Möglichkeit derselben sich gar nicht begreiflich machen, so mag er zwar anfangs zweifeln, ob sie uns auch wirklich a priori beiwohnen, er kan dieses aber noch nicht vor eine Unmöglichkeit derselben, durch blosse Kräfte des Verstan- des, und alle Schritte, die die Vernunft nach der Richt- schnur derselben thut, vor nichtig ausgeben. Er kan nur sagen: wenn wir ihren Ursprung und Aechtheit einsähen, so würden wir den Umfang und die Gränzen unserer Ver- nunft bestimmen können; ehe aber dieses geschehen ist,
sind
Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch.
nen alle unſere Erkentniß von Gegenſtaͤnden eingeſchloſ- ſen iſt.
Unſere Vernunft iſt nicht etwa eine unbeſtimbarweit ausgebreitete Ebene, deren Schranken man nur ſo uͤber- haupt erkent, ſondern muß vielmehr mit einer Sphaͤre verglichen werden, deren Halbmeſſer ſich aus der Kruͤm- mung des Bogens auf ihrer Oberflaͤche (der Natur ſyntheti- ſcher Saͤtze a priori) finden, daraus aber auch der Inhalt und die Begraͤnzung derſelben mit Sicherheit angeben laͤßt. Auſſer dieſer Sphaͤre (Feld der Erfahrung) iſt nichts vor ihr Obiect, ia ſelbſt Fragen uͤber dergleichen vermeintliche Gegenſtaͤnde betreffen nur ſubiective Princi- pien einer durchgaͤngigen Beſtimmung der Verhaͤltniſſe, welche unter den Verſtandes Begriffen innerhalb dieſer Sphaͤ- re vorkommen koͤnnen.
Wir ſind wirklich im Beſitz ſynthetiſcher Erkentniß a priori, wie dieſes die Verſtandesgrundſaͤtze, welche die Erfahrung anticipiren, darthun. Kan iemand nun die Moͤglichkeit derſelben ſich gar nicht begreiflich machen, ſo mag er zwar anfangs zweifeln, ob ſie uns auch wirklich a priori beiwohnen, er kan dieſes aber noch nicht vor eine Unmoͤglichkeit derſelben, durch bloſſe Kraͤfte des Verſtan- des, und alle Schritte, die die Vernunft nach der Richt- ſchnur derſelben thut, vor nichtig ausgeben. Er kan nur ſagen: wenn wir ihren Urſprung und Aechtheit einſaͤhen, ſo wuͤrden wir den Umfang und die Graͤnzen unſerer Ver- nunft beſtimmen koͤnnen; ehe aber dieſes geſchehen iſt,
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Methodenlehre I. Hauptſt. II. Abſch.
nen alle unſere Erkentniß von Gegenſtaͤnden eingeſchloſ-
ſen iſt.
Unſere Vernunft iſt nicht etwa eine unbeſtimbarweit
ausgebreitete Ebene, deren Schranken man nur ſo uͤber-
haupt erkent, ſondern muß vielmehr mit einer Sphaͤre
verglichen werden, deren Halbmeſſer ſich aus der Kruͤm-
mung des Bogens auf ihrer Oberflaͤche (der Natur ſyntheti-
ſcher Saͤtze a priori) finden, daraus aber auch der Inhalt
und die Begraͤnzung derſelben mit Sicherheit angeben
laͤßt. Auſſer dieſer Sphaͤre (Feld der Erfahrung) iſt
nichts vor ihr Obiect, ia ſelbſt Fragen uͤber dergleichen
vermeintliche Gegenſtaͤnde betreffen nur ſubiective Princi-
pien einer durchgaͤngigen Beſtimmung der Verhaͤltniſſe,
welche unter den Verſtandes Begriffen innerhalb dieſer Sphaͤ-
re vorkommen koͤnnen.
Wir ſind wirklich im Beſitz ſynthetiſcher Erkentniß
a priori, wie dieſes die Verſtandesgrundſaͤtze, welche die
Erfahrung anticipiren, darthun. Kan iemand nun die
Moͤglichkeit derſelben ſich gar nicht begreiflich machen, ſo
mag er zwar anfangs zweifeln, ob ſie uns auch wirklich
a priori beiwohnen, er kan dieſes aber noch nicht vor eine
Unmoͤglichkeit derſelben, durch bloſſe Kraͤfte des Verſtan-
des, und alle Schritte, die die Vernunft nach der Richt-
ſchnur derſelben thut, vor nichtig ausgeben. Er kan nur
ſagen: wenn wir ihren Urſprung und Aechtheit einſaͤhen,
ſo wuͤrden wir den Umfang und die Graͤnzen unſerer Ver-
nunft beſtimmen koͤnnen; ehe aber dieſes geſchehen iſt,
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 762. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/792>, abgerufen am 22.11.2024.
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