ihn aber ausrotten, wenn wir ihm nicht Freiheit, ia selbst Nahrung geben, Kraut auszuschiessen, um sich dadurch zu entdecken, und es nachher mit der Wurtzel zu vertilgen. Sinnet demnach selbst auf Einwürfe, auf die noch kein Geg- ner gefallen ist und leihet ihm so gar Waffen, oder räumt ihm den günstigsten Platz ein, den er sich nur wün- schen kan. Es ist hiebey gar nichts zu fürchten, wol aber zu hoffen, nemlich, daß ihr euch einen in alle Zukunft nie- mals mehr anzufechtenden Besitz verschaffen werdet.
Zu eurer vollständigen Rüstung gehören nun auch die Hypothesen der reinen Vernunft, welche, obzwar nur bleierne Waffen, (weil sie durch kein Erfahrungsgesetz ge- stählt sind), dennoch immer so viel vermögen, als die, deren sich irgend ein Gegner wider euch bedienen mag. Wenn euch also, wider die (in irgend einer anderen nicht speculativen Rücksicht) angenommene immaterielle und kei- ner körperlichen Umwandlung unterworfene Natur der Seele, die Schwierigkeit aufstößt: daß gleichwol die Erfah- rung so wol die Erhebung, als Zerrüttung unserer Geistes- kräfte blos als verschiedene Modification unserer Organen zu beweisen scheine, so könt ihr die Kraft dieses Beweises dadurch schwächen: daß ihr annehmt, unser Körper sey nichts, als die Fundamentalerscheinung, worauf, als Be- dingung, sich in dem ietzigen Zustande (im Leben) das ganze Vermögen der Sinnlichkeit und hiemit alles Denken bezieht. Die Trennung vom Cörper sey das Ende dieses sinnlichen Gebrauchs eurer Erkentnißkraft und der Anfang
des
Methodenlehre I. Hauptſt. III. Abſch.
ihn aber ausrotten, wenn wir ihm nicht Freiheit, ia ſelbſt Nahrung geben, Kraut auszuſchieſſen, um ſich dadurch zu entdecken, und es nachher mit der Wurtzel zu vertilgen. Sinnet demnach ſelbſt auf Einwuͤrfe, auf die noch kein Geg- ner gefallen iſt und leihet ihm ſo gar Waffen, oder raͤumt ihm den guͤnſtigſten Platz ein, den er ſich nur wuͤn- ſchen kan. Es iſt hiebey gar nichts zu fuͤrchten, wol aber zu hoffen, nemlich, daß ihr euch einen in alle Zukunft nie- mals mehr anzufechtenden Beſitz verſchaffen werdet.
Zu eurer vollſtaͤndigen Ruͤſtung gehoͤren nun auch die Hypotheſen der reinen Vernunft, welche, obzwar nur bleierne Waffen, (weil ſie durch kein Erfahrungsgeſetz ge- ſtaͤhlt ſind), dennoch immer ſo viel vermoͤgen, als die, deren ſich irgend ein Gegner wider euch bedienen mag. Wenn euch alſo, wider die (in irgend einer anderen nicht ſpeculativen Ruͤckſicht) angenommene immaterielle und kei- ner koͤrperlichen Umwandlung unterworfene Natur der Seele, die Schwierigkeit aufſtoͤßt: daß gleichwol die Erfah- rung ſo wol die Erhebung, als Zerruͤttung unſerer Geiſtes- kraͤfte blos als verſchiedene Modification unſerer Organen zu beweiſen ſcheine, ſo koͤnt ihr die Kraft dieſes Beweiſes dadurch ſchwaͤchen: daß ihr annehmt, unſer Koͤrper ſey nichts, als die Fundamentalerſcheinung, worauf, als Be- dingung, ſich in dem ietzigen Zuſtande (im Leben) das ganze Vermoͤgen der Sinnlichkeit und hiemit alles Denken bezieht. Die Trennung vom Coͤrper ſey das Ende dieſes ſinnlichen Gebrauchs eurer Erkentnißkraft und der Anfang
des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0808"n="778"/><fwplace="top"type="header">Methodenlehre <hirendition="#aq">I.</hi> Hauptſt. <hirendition="#aq">III.</hi> Abſch.</fw><lb/>
ihn aber ausrotten, wenn wir ihm nicht Freiheit, ia ſelbſt<lb/>
Nahrung geben, Kraut auszuſchieſſen, um ſich dadurch zu<lb/>
entdecken, und es nachher mit der Wurtzel zu vertilgen.<lb/>
Sinnet demnach ſelbſt auf Einwuͤrfe, auf die noch kein Geg-<lb/>
ner gefallen iſt und leihet ihm ſo gar Waffen, oder<lb/>
raͤumt ihm den guͤnſtigſten Platz ein, den er ſich nur wuͤn-<lb/>ſchen kan. Es iſt hiebey gar nichts zu fuͤrchten, wol aber<lb/>
zu hoffen, nemlich, daß ihr euch einen in alle Zukunft nie-<lb/>
mals mehr anzufechtenden Beſitz verſchaffen werdet.</p><lb/><p>Zu eurer vollſtaͤndigen Ruͤſtung gehoͤren nun auch<lb/>
die Hypotheſen der reinen Vernunft, welche, obzwar nur<lb/>
bleierne Waffen, (weil ſie durch kein Erfahrungsgeſetz ge-<lb/>ſtaͤhlt ſind), dennoch immer ſo viel vermoͤgen, als die,<lb/>
deren ſich irgend ein Gegner wider euch bedienen mag.<lb/>
Wenn euch alſo, wider die (in irgend einer anderen nicht<lb/>ſpeculativen Ruͤckſicht) angenommene immaterielle und kei-<lb/>
ner koͤrperlichen Umwandlung unterworfene Natur der<lb/>
Seele, die Schwierigkeit aufſtoͤßt: daß gleichwol die Erfah-<lb/>
rung ſo wol die Erhebung, als Zerruͤttung unſerer Geiſtes-<lb/>
kraͤfte blos als verſchiedene Modification unſerer Organen<lb/>
zu beweiſen ſcheine, ſo koͤnt ihr die Kraft dieſes Beweiſes<lb/>
dadurch ſchwaͤchen: daß ihr annehmt, unſer Koͤrper ſey<lb/>
nichts, als die Fundamentalerſcheinung, worauf, als Be-<lb/>
dingung, ſich in dem ietzigen Zuſtande (im Leben) das<lb/>
ganze Vermoͤgen der Sinnlichkeit und hiemit alles Denken<lb/>
bezieht. Die Trennung vom Coͤrper ſey das Ende dieſes<lb/>ſinnlichen Gebrauchs eurer Erkentnißkraft und der Anfang<lb/><fwplace="bottom"type="catch">des</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[778/0808]
Methodenlehre I. Hauptſt. III. Abſch.
ihn aber ausrotten, wenn wir ihm nicht Freiheit, ia ſelbſt
Nahrung geben, Kraut auszuſchieſſen, um ſich dadurch zu
entdecken, und es nachher mit der Wurtzel zu vertilgen.
Sinnet demnach ſelbſt auf Einwuͤrfe, auf die noch kein Geg-
ner gefallen iſt und leihet ihm ſo gar Waffen, oder
raͤumt ihm den guͤnſtigſten Platz ein, den er ſich nur wuͤn-
ſchen kan. Es iſt hiebey gar nichts zu fuͤrchten, wol aber
zu hoffen, nemlich, daß ihr euch einen in alle Zukunft nie-
mals mehr anzufechtenden Beſitz verſchaffen werdet.
Zu eurer vollſtaͤndigen Ruͤſtung gehoͤren nun auch
die Hypotheſen der reinen Vernunft, welche, obzwar nur
bleierne Waffen, (weil ſie durch kein Erfahrungsgeſetz ge-
ſtaͤhlt ſind), dennoch immer ſo viel vermoͤgen, als die,
deren ſich irgend ein Gegner wider euch bedienen mag.
Wenn euch alſo, wider die (in irgend einer anderen nicht
ſpeculativen Ruͤckſicht) angenommene immaterielle und kei-
ner koͤrperlichen Umwandlung unterworfene Natur der
Seele, die Schwierigkeit aufſtoͤßt: daß gleichwol die Erfah-
rung ſo wol die Erhebung, als Zerruͤttung unſerer Geiſtes-
kraͤfte blos als verſchiedene Modification unſerer Organen
zu beweiſen ſcheine, ſo koͤnt ihr die Kraft dieſes Beweiſes
dadurch ſchwaͤchen: daß ihr annehmt, unſer Koͤrper ſey
nichts, als die Fundamentalerſcheinung, worauf, als Be-
dingung, ſich in dem ietzigen Zuſtande (im Leben) das
ganze Vermoͤgen der Sinnlichkeit und hiemit alles Denken
bezieht. Die Trennung vom Coͤrper ſey das Ende dieſes
ſinnlichen Gebrauchs eurer Erkentnißkraft und der Anfang
des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 778. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/808>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.