können. Demnach haben die Principien der reinen Ver- nunft in ihrem practischen, namentlich aber, dem morali- schen Gebrauche, obiective Realität.
Ich nenne die Welt, so fern sie allen sittlichen Ge- setzen gemäß wäre, (wie sie es denn, nach der Freiheit der vernünftigen Wesen, seyn kan und, nach den noth- wendigen Gesetzen der Sittlichkeit, seyn soll) eine mora- lische Welt. Diese wird so fern blos als intelligibele Welt gedacht, weil darin von allen Bedingungen (Zwe- cken) und selbst von allen Hindernissen der Moralität in derselben (Schwäche, oder Unlauterkeit der menschlichen Natur) abstrahirt wird. So fern ist sie also eine blosse, aber doch practische Idee, die wirklich ihren Einfluß auf die Sinnenwelt haben kan und soll, um sie dieser Idee so viel als möglich gemäß zu machen. Die Idee einer mo- ralischen Welt hat daher obiective Realität, nicht als wenn sie auf einen Gegenstand einer intelligibelen Anschauung ginge (dergleichen wir uns gar nicht denken können), son- dern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegenstand der reinen Vernunft in ihrem practischen Gebrauche und ein corpus mysticum der vernünftigen Wesen in ihr, so fern deren freie Willkühr unter moralischen Gesetzen sowol mit sich selbst, als mit iedes anderen Freiheit durchgängige systematische Einheit an sich hat.
Das war die Beantwortung der ersten von denen zwey Fragen der reinen Vernunft, die das practische In- teresse betrafen: Thue das, wodurch du würdig wirst,
glück-
Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch.
koͤnnen. Demnach haben die Principien der reinen Ver- nunft in ihrem practiſchen, namentlich aber, dem morali- ſchen Gebrauche, obiective Realitaͤt.
Ich nenne die Welt, ſo fern ſie allen ſittlichen Ge- ſetzen gemaͤß waͤre, (wie ſie es denn, nach der Freiheit der vernuͤnftigen Weſen, ſeyn kan und, nach den noth- wendigen Geſetzen der Sittlichkeit, ſeyn ſoll) eine mora- liſche Welt. Dieſe wird ſo fern blos als intelligibele Welt gedacht, weil darin von allen Bedingungen (Zwe- cken) und ſelbſt von allen Hinderniſſen der Moralitaͤt in derſelben (Schwaͤche, oder Unlauterkeit der menſchlichen Natur) abſtrahirt wird. So fern iſt ſie alſo eine bloſſe, aber doch practiſche Idee, die wirklich ihren Einfluß auf die Sinnenwelt haben kan und ſoll, um ſie dieſer Idee ſo viel als moͤglich gemaͤß zu machen. Die Idee einer mo- raliſchen Welt hat daher obiective Realitaͤt, nicht als wenn ſie auf einen Gegenſtand einer intelligibelen Anſchauung ginge (dergleichen wir uns gar nicht denken koͤnnen), ſon- dern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegenſtand der reinen Vernunft in ihrem practiſchen Gebrauche und ein corpus myſticum der vernuͤnftigen Weſen in ihr, ſo fern deren freie Willkuͤhr unter moraliſchen Geſetzen ſowol mit ſich ſelbſt, als mit iedes anderen Freiheit durchgaͤngige ſyſtematiſche Einheit an ſich hat.
Das war die Beantwortung der erſten von denen zwey Fragen der reinen Vernunft, die das practiſche In- tereſſe betrafen: Thue das, wodurch du wuͤrdig wirſt,
gluͤck-
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Methodenlehre II. Hauptſt. II. Abſch.
koͤnnen. Demnach haben die Principien der reinen Ver-
nunft in ihrem practiſchen, namentlich aber, dem morali-
ſchen Gebrauche, obiective Realitaͤt.
Ich nenne die Welt, ſo fern ſie allen ſittlichen Ge-
ſetzen gemaͤß waͤre, (wie ſie es denn, nach der Freiheit
der vernuͤnftigen Weſen, ſeyn kan und, nach den noth-
wendigen Geſetzen der Sittlichkeit, ſeyn ſoll) eine mora-
liſche Welt. Dieſe wird ſo fern blos als intelligibele
Welt gedacht, weil darin von allen Bedingungen (Zwe-
cken) und ſelbſt von allen Hinderniſſen der Moralitaͤt in
derſelben (Schwaͤche, oder Unlauterkeit der menſchlichen
Natur) abſtrahirt wird. So fern iſt ſie alſo eine bloſſe,
aber doch practiſche Idee, die wirklich ihren Einfluß auf
die Sinnenwelt haben kan und ſoll, um ſie dieſer Idee ſo
viel als moͤglich gemaͤß zu machen. Die Idee einer mo-
raliſchen Welt hat daher obiective Realitaͤt, nicht als wenn
ſie auf einen Gegenſtand einer intelligibelen Anſchauung
ginge (dergleichen wir uns gar nicht denken koͤnnen), ſon-
dern auf die Sinnenwelt, aber als einen Gegenſtand der
reinen Vernunft in ihrem practiſchen Gebrauche und ein
corpus myſticum der vernuͤnftigen Weſen in ihr, ſo fern
deren freie Willkuͤhr unter moraliſchen Geſetzen ſowol mit
ſich ſelbſt, als mit iedes anderen Freiheit durchgaͤngige
ſyſtematiſche Einheit an ſich hat.
Das war die Beantwortung der erſten von denen
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 808. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/838>, abgerufen am 22.11.2024.
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