glücklich zu seyn. Die zweite frägt nun: wie, wenn ich mich nun so verhalte, daß ich der Glückseligkeit nicht un- würdig sey, darf ich auch hoffen, ihrer dadurch theilhaftig werden zu können? Es komt bey der Beantwortung der- selben darauf an, ob die Principien der reinen Vernunft, welche a priori das Gesetz vorschreiben, auch diese Hoff- nung nothwendigerweise damit verknüpfen.
Ich sage demnach: daß eben sowol, als die mora- lische Principien nach der Vernunft in ihrem practischen Gebrauche nothwendig seyn, eben so nothwendig sey es auch nach der Vernunft, in ihrem theoretischen anzuneh- men, daß iederman die Glückseligkeit in demselben Maasse zu hoffen Ursache habe, als er sich derselben in seinem Verhalten würdig gemacht hat und daß also das System der Sittlichkeit mit dem der Glückseligkeit unzertrenlich, aber nur in der Idee der reinen Vernunft verbunden sey.
Nun läßt sich in einer intelligibelen, d. i. der moralischen Welt, in deren Begriff wir von allen Hinder- nissen der Sittlichkeit (der Neigungen) abstrahiren, ein solches System der mit der Moralität verbundenen pro- portionirten Glückseligkeit auch als nothwendig denken, weil die durch sittliche Gesetze theils bewegte, theils re- stringirte Freiheit, selbst die Ursache der allgemeinen Glück- seligkeit, die vernünftige Wesen also selbst, unter der Lei- tung solcher Principien, Urheber ihres eigenen und zu- gleich anderer dauerhaften Wolfarth seyn würden. Aber dieses System der sich selbst lohnenden Moralität ist nur
eine
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Vom Ideal des hoͤchſten Guts.
gluͤcklich zu ſeyn. Die zweite fraͤgt nun: wie, wenn ich mich nun ſo verhalte, daß ich der Gluͤckſeligkeit nicht un- wuͤrdig ſey, darf ich auch hoffen, ihrer dadurch theilhaftig werden zu koͤnnen? Es komt bey der Beantwortung der- ſelben darauf an, ob die Principien der reinen Vernunft, welche a priori das Geſetz vorſchreiben, auch dieſe Hoff- nung nothwendigerweiſe damit verknuͤpfen.
Ich ſage demnach: daß eben ſowol, als die mora- liſche Principien nach der Vernunft in ihrem practiſchen Gebrauche nothwendig ſeyn, eben ſo nothwendig ſey es auch nach der Vernunft, in ihrem theoretiſchen anzuneh- men, daß iederman die Gluͤckſeligkeit in demſelben Maaſſe zu hoffen Urſache habe, als er ſich derſelben in ſeinem Verhalten wuͤrdig gemacht hat und daß alſo das Syſtem der Sittlichkeit mit dem der Gluͤckſeligkeit unzertrenlich, aber nur in der Idee der reinen Vernunft verbunden ſey.
Nun laͤßt ſich in einer intelligibelen, d. i. der moraliſchen Welt, in deren Begriff wir von allen Hinder- niſſen der Sittlichkeit (der Neigungen) abſtrahiren, ein ſolches Syſtem der mit der Moralitaͤt verbundenen pro- portionirten Gluͤckſeligkeit auch als nothwendig denken, weil die durch ſittliche Geſetze theils bewegte, theils re- ſtringirte Freiheit, ſelbſt die Urſache der allgemeinen Gluͤck- ſeligkeit, die vernuͤnftige Weſen alſo ſelbſt, unter der Lei- tung ſolcher Principien, Urheber ihres eigenen und zu- gleich anderer dauerhaften Wolfarth ſeyn wuͤrden. Aber dieſes Syſtem der ſich ſelbſt lohnenden Moralitaͤt iſt nur
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Vom Ideal des hoͤchſten Guts.
gluͤcklich zu ſeyn. Die zweite fraͤgt nun: wie, wenn ich
mich nun ſo verhalte, daß ich der Gluͤckſeligkeit nicht un-
wuͤrdig ſey, darf ich auch hoffen, ihrer dadurch theilhaftig
werden zu koͤnnen? Es komt bey der Beantwortung der-
ſelben darauf an, ob die Principien der reinen Vernunft,
welche a priori das Geſetz vorſchreiben, auch dieſe Hoff-
nung nothwendigerweiſe damit verknuͤpfen.
Ich ſage demnach: daß eben ſowol, als die mora-
liſche Principien nach der Vernunft in ihrem practiſchen
Gebrauche nothwendig ſeyn, eben ſo nothwendig ſey es
auch nach der Vernunft, in ihrem theoretiſchen anzuneh-
men, daß iederman die Gluͤckſeligkeit in demſelben Maaſſe
zu hoffen Urſache habe, als er ſich derſelben in ſeinem
Verhalten wuͤrdig gemacht hat und daß alſo das Syſtem
der Sittlichkeit mit dem der Gluͤckſeligkeit unzertrenlich,
aber nur in der Idee der reinen Vernunft verbunden ſey.
Nun laͤßt ſich in einer intelligibelen, d. i. der
moraliſchen Welt, in deren Begriff wir von allen Hinder-
niſſen der Sittlichkeit (der Neigungen) abſtrahiren, ein
ſolches Syſtem der mit der Moralitaͤt verbundenen pro-
portionirten Gluͤckſeligkeit auch als nothwendig denken,
weil die durch ſittliche Geſetze theils bewegte, theils re-
ſtringirte Freiheit, ſelbſt die Urſache der allgemeinen Gluͤck-
ſeligkeit, die vernuͤnftige Weſen alſo ſelbſt, unter der Lei-
tung ſolcher Principien, Urheber ihres eigenen und zu-
gleich anderer dauerhaften Wolfarth ſeyn wuͤrden. Aber
dieſes Syſtem der ſich ſelbſt lohnenden Moralitaͤt iſt nur
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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 809. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/839>, abgerufen am 22.11.2024.
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