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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Methodenlehre II. Hauptst. III. Absch.

Nun müssen wir gestehen: daß die Lehre vom Da-
seyn Gottes zum doctrinalen Glauben gehöre. Denn, ob
ich gleich in Ansehung der theoretischen Weltkentniß nichts
zu verfügen habe, was diesen Gedanken, als Bedingung
meiner Erklärungen der Erscheinungen der Welt, noth-
wendig voraussetze, sondern vielmehr verbunden bin, mei-
ner Vernunft mich so zu bedienen, als ob alles blos Na-
tur sey, so ist doch die zweckmässige Einheit eine so grosse
Bedingung der Anwendung der Vernunft auf Natur, daß
ich, da mir überdem Erfahrung reichlich davon Beispiele
darbietet, sie gar nicht vorbey gehen kan. Zu dieser Ein-
heit aber kenne ich keine andere Bedingung, die sie mir
zum Leitfaden der Naturforschung machte, als wenn ich
voraussetze: daß eine höchste Intelligenz alles nach den
weisesten Zwecken so geordnet habe. Folglich ist es eine
Bedingung einer zwar zufälligen, aber doch nicht uner-
heblichen Absicht, nemlich, um eine Leitung in der Nachfor-
schung der Natur zu haben, einen weisen Welturheber
vorauszusetzen. Der Ausgang meiner Versuche bestätigt
auch so oft die Brauchbarkeit dieser Voraussetzung und
nichts kan auf entscheidende Art dawider angeführt werden;
daß ich viel zu wenig sage, wenn ich mein Vorwahrhalten
blos ein Meinen nennen wolte, sondern es kan selbst in
diesem theoretischen Verhältnisse gesagt werden: daß ich
festiglich einen Gott glaube, aber alsdenn ist dieser Glau-
be in strenger Bedeutung dennoch nicht practisch, sondern
muß ein doctrinaler Glaube genant werden, den die

Theo-
Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch.

Nun muͤſſen wir geſtehen: daß die Lehre vom Da-
ſeyn Gottes zum doctrinalen Glauben gehoͤre. Denn, ob
ich gleich in Anſehung der theoretiſchen Weltkentniß nichts
zu verfuͤgen habe, was dieſen Gedanken, als Bedingung
meiner Erklaͤrungen der Erſcheinungen der Welt, noth-
wendig vorausſetze, ſondern vielmehr verbunden bin, mei-
ner Vernunft mich ſo zu bedienen, als ob alles blos Na-
tur ſey, ſo iſt doch die zweckmaͤſſige Einheit eine ſo groſſe
Bedingung der Anwendung der Vernunft auf Natur, daß
ich, da mir uͤberdem Erfahrung reichlich davon Beiſpiele
darbietet, ſie gar nicht vorbey gehen kan. Zu dieſer Ein-
heit aber kenne ich keine andere Bedingung, die ſie mir
zum Leitfaden der Naturforſchung machte, als wenn ich
vorausſetze: daß eine hoͤchſte Intelligenz alles nach den
weiſeſten Zwecken ſo geordnet habe. Folglich iſt es eine
Bedingung einer zwar zufaͤlligen, aber doch nicht uner-
heblichen Abſicht, nemlich, um eine Leitung in der Nachfor-
ſchung der Natur zu haben, einen weiſen Welturheber
vorauszuſetzen. Der Ausgang meiner Verſuche beſtaͤtigt
auch ſo oft die Brauchbarkeit dieſer Vorausſetzung und
nichts kan auf entſcheidende Art dawider angefuͤhrt werden;
daß ich viel zu wenig ſage, wenn ich mein Vorwahrhalten
blos ein Meinen nennen wolte, ſondern es kan ſelbſt in
dieſem theoretiſchen Verhaͤltniſſe geſagt werden: daß ich
feſtiglich einen Gott glaube, aber alsdenn iſt dieſer Glau-
be in ſtrenger Bedeutung dennoch nicht practiſch, ſondern
muß ein doctrinaler Glaube genant werden, den die

Theo-
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[826/0856] Methodenlehre II. Hauptſt. III. Abſch. Nun muͤſſen wir geſtehen: daß die Lehre vom Da- ſeyn Gottes zum doctrinalen Glauben gehoͤre. Denn, ob ich gleich in Anſehung der theoretiſchen Weltkentniß nichts zu verfuͤgen habe, was dieſen Gedanken, als Bedingung meiner Erklaͤrungen der Erſcheinungen der Welt, noth- wendig vorausſetze, ſondern vielmehr verbunden bin, mei- ner Vernunft mich ſo zu bedienen, als ob alles blos Na- tur ſey, ſo iſt doch die zweckmaͤſſige Einheit eine ſo groſſe Bedingung der Anwendung der Vernunft auf Natur, daß ich, da mir uͤberdem Erfahrung reichlich davon Beiſpiele darbietet, ſie gar nicht vorbey gehen kan. Zu dieſer Ein- heit aber kenne ich keine andere Bedingung, die ſie mir zum Leitfaden der Naturforſchung machte, als wenn ich vorausſetze: daß eine hoͤchſte Intelligenz alles nach den weiſeſten Zwecken ſo geordnet habe. Folglich iſt es eine Bedingung einer zwar zufaͤlligen, aber doch nicht uner- heblichen Abſicht, nemlich, um eine Leitung in der Nachfor- ſchung der Natur zu haben, einen weiſen Welturheber vorauszuſetzen. Der Ausgang meiner Verſuche beſtaͤtigt auch ſo oft die Brauchbarkeit dieſer Vorausſetzung und nichts kan auf entſcheidende Art dawider angefuͤhrt werden; daß ich viel zu wenig ſage, wenn ich mein Vorwahrhalten blos ein Meinen nennen wolte, ſondern es kan ſelbſt in dieſem theoretiſchen Verhaͤltniſſe geſagt werden: daß ich feſtiglich einen Gott glaube, aber alsdenn iſt dieſer Glau- be in ſtrenger Bedeutung dennoch nicht practiſch, ſondern muß ein doctrinaler Glaube genant werden, den die Theo-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 826. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/856>, abgerufen am 18.06.2024.