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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Methodenlehre III. Hauptst.
eine Wissenschaft nicht nach ihrer Natur, sondern allein aus
ihren zufälligen Wirkungen zu beurtheilen wissen, man wer-
de iederzeit zu ihr, wie zu einer mit uns entzweiten Ge-
liebten zurückkehren, weil die Vernunft, da es hier we-
sentliche Zwecke betrift, rastlos, entweder auf gründliche
Einsicht oder Zerstöhrung schon vorhandener guten Einsich-
ten arbeiten muß.

Metaphysik also, sowol der Natur, als der Sitten,
vornemlich die Critik der sich auf eigenen Flügeln wagen-
den Vernunft, welche vorübend (propädevtisch) vorher-
geht, machen eigentlich allein dasienige aus, was wir im
ächten Verstande Philosophie nennen können. Diese be-
zieht alles auf Weisheit, aber durch den Weg der Wissen-
schaft, den einzigen, der, wenn er einmal gebahnt ist, nie-
mals verwächst und keine Verirrungen verstattet. Ma-
thematik, Naturwissenschaft, selbst die empirische Kent-
niß des Menschen, haben einen hohen Werth als Mit-
tel, größtentheils zu zufälligen, am Ende aber doch
zu nothwendigen und wesentlichen Zwecken der Menschheit,
aber alsdenn nur durch Vermittelung einer Vernunft-
erkentniß aus blossen Begriffen, die, man mag sie be-
nennen wie man will, eigentlich nichts als Metaphy-
sik ist.

Eben deswegen ist Metaphysik auch die Vollendung
aller Cultur der menschlichen Vernunft, die unentbehr-

lich

Methodenlehre III. Hauptſt.
eine Wiſſenſchaft nicht nach ihrer Natur, ſondern allein aus
ihren zufaͤlligen Wirkungen zu beurtheilen wiſſen, man wer-
de iederzeit zu ihr, wie zu einer mit uns entzweiten Ge-
liebten zuruͤckkehren, weil die Vernunft, da es hier we-
ſentliche Zwecke betrift, raſtlos, entweder auf gruͤndliche
Einſicht oder Zerſtoͤhrung ſchon vorhandener guten Einſich-
ten arbeiten muß.

Metaphyſik alſo, ſowol der Natur, als der Sitten,
vornemlich die Critik der ſich auf eigenen Fluͤgeln wagen-
den Vernunft, welche voruͤbend (propaͤdevtiſch) vorher-
geht, machen eigentlich allein dasienige aus, was wir im
aͤchten Verſtande Philoſophie nennen koͤnnen. Dieſe be-
zieht alles auf Weisheit, aber durch den Weg der Wiſſen-
ſchaft, den einzigen, der, wenn er einmal gebahnt iſt, nie-
mals verwaͤchſt und keine Verirrungen verſtattet. Ma-
thematik, Naturwiſſenſchaft, ſelbſt die empiriſche Kent-
niß des Menſchen, haben einen hohen Werth als Mit-
tel, groͤßtentheils zu zufaͤlligen, am Ende aber doch
zu nothwendigen und weſentlichen Zwecken der Menſchheit,
aber alsdenn nur durch Vermittelung einer Vernunft-
erkentniß aus bloſſen Begriffen, die, man mag ſie be-
nennen wie man will, eigentlich nichts als Metaphy-
ſik iſt.

Eben deswegen iſt Metaphyſik auch die Vollendung
aller Cultur der menſchlichen Vernunft, die unentbehr-

lich
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[850/0880] Methodenlehre III. Hauptſt. eine Wiſſenſchaft nicht nach ihrer Natur, ſondern allein aus ihren zufaͤlligen Wirkungen zu beurtheilen wiſſen, man wer- de iederzeit zu ihr, wie zu einer mit uns entzweiten Ge- liebten zuruͤckkehren, weil die Vernunft, da es hier we- ſentliche Zwecke betrift, raſtlos, entweder auf gruͤndliche Einſicht oder Zerſtoͤhrung ſchon vorhandener guten Einſich- ten arbeiten muß. Metaphyſik alſo, ſowol der Natur, als der Sitten, vornemlich die Critik der ſich auf eigenen Fluͤgeln wagen- den Vernunft, welche voruͤbend (propaͤdevtiſch) vorher- geht, machen eigentlich allein dasienige aus, was wir im aͤchten Verſtande Philoſophie nennen koͤnnen. Dieſe be- zieht alles auf Weisheit, aber durch den Weg der Wiſſen- ſchaft, den einzigen, der, wenn er einmal gebahnt iſt, nie- mals verwaͤchſt und keine Verirrungen verſtattet. Ma- thematik, Naturwiſſenſchaft, ſelbſt die empiriſche Kent- niß des Menſchen, haben einen hohen Werth als Mit- tel, groͤßtentheils zu zufaͤlligen, am Ende aber doch zu nothwendigen und weſentlichen Zwecken der Menſchheit, aber alsdenn nur durch Vermittelung einer Vernunft- erkentniß aus bloſſen Begriffen, die, man mag ſie be- nennen wie man will, eigentlich nichts als Metaphy- ſik iſt. Eben deswegen iſt Metaphyſik auch die Vollendung aller Cultur der menſchlichen Vernunft, die unentbehr- lich

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 850. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/880>, abgerufen am 17.05.2024.