Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
darin zu suchen ist, daß was wir nach Vorschrift der Ur-
theilskraft in der Anschauung nur immer darstellen (mit-
hin ästhetisch vorstellen) mögen, insgesamt Erscheinung,
mithin auch ein Quantum ist.

Wenn wir aber etwas nicht allein gros, sondern
schlechthin- absolut- in aller Absicht- (über alle Verglei-
chung) gros, d. i. Erhaben, nennen, so sieht man bald
ein: daß wir für dasselbe keinen ihm angemessenen Maas-
stab ausser ihm, sondern blos in ihm zu suchen verstatten.
Es ist eine Größe, die blos sich selber gleich ist. Daß
das Erhabene also nicht in den Dingen der Natur, son-
dern allein in unsern Jdeen zu suchen sey, folgt hieraus;
in welchen es aber liege muß für die Deduction aufbe-
halten werden.

Die obige Erklärung kann auch so ausgedrückt wer-
den: Erhaben ist das mit welchem in Verglei-
chung alles andere klein ist.
Hier sieht man leicht:
daß nichts in der Natur gegeben werden könne, so gros
als es auch von uns beurtheilt würde, was uicht in ei-
nem andern Verhältnisse betrachtet bis zum Unendlich-
Kleinen abgewürdigt werden könnte und umgekehrt,
nichts so klein, was sich nicht in Vergleichung mit noch
kleinern Maasstäben für unsere Einbildungskraft bis zu
einer Weltgröße erweitern ließe. Die Telescopien haben
uns die erstere, die Microscopien die letztere Bemerkung
zu machen reichlichen Stoff an die Hand gegeben.
Richts also, was Gegenstand der Sinnen seyn kann,

F 2

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
darin zu ſuchen iſt, daß was wir nach Vorſchrift der Ur-
theilskraft in der Anſchauung nur immer darſtellen (mit-
hin aͤſthetiſch vorſtellen) moͤgen, insgeſamt Erſcheinung,
mithin auch ein Quantum iſt.

Wenn wir aber etwas nicht allein gros, ſondern
ſchlechthin- abſolut- in aller Abſicht- (uͤber alle Verglei-
chung) gros, d. i. Erhaben, nennen, ſo ſieht man bald
ein: daß wir fuͤr daſſelbe keinen ihm angemeſſenen Maas-
ſtab auſſer ihm, ſondern blos in ihm zu ſuchen verſtatten.
Es iſt eine Groͤße, die blos ſich ſelber gleich iſt. Daß
das Erhabene alſo nicht in den Dingen der Natur, ſon-
dern allein in unſern Jdeen zu ſuchen ſey, folgt hieraus;
in welchen es aber liege muß fuͤr die Deduction aufbe-
halten werden.

Die obige Erklaͤrung kann auch ſo ausgedruͤckt wer-
den: Erhaben iſt das mit welchem in Verglei-
chung alles andere klein iſt.
Hier ſieht man leicht:
daß nichts in der Natur gegeben werden koͤnne, ſo gros
als es auch von uns beurtheilt wuͤrde, was uicht in ei-
nem andern Verhaͤltniſſe betrachtet bis zum Unendlich-
Kleinen abgewuͤrdigt werden koͤnnte und umgekehrt,
nichts ſo klein, was ſich nicht in Vergleichung mit noch
kleinern Maasſtaͤben fuͤr unſere Einbildungskraft bis zu
einer Weltgroͤße erweitern ließe. Die Teleſcopien haben
uns die erſtere, die Microſcopien die letztere Bemerkung
zu machen reichlichen Stoff an die Hand gegeben.
Richts alſo, was Gegenſtand der Sinnen ſeyn kann,

F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0147" n="83"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
darin zu &#x017F;uchen i&#x017F;t, daß was wir nach Vor&#x017F;chrift der Ur-<lb/>
theilskraft in der An&#x017F;chauung nur immer dar&#x017F;tellen (mit-<lb/>
hin a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;ch vor&#x017F;tellen) mo&#x0364;gen, insge&#x017F;amt Er&#x017F;cheinung,<lb/>
mithin auch ein Quantum i&#x017F;t.</p><lb/>
                <p>Wenn wir aber etwas nicht allein gros, &#x017F;ondern<lb/>
&#x017F;chlechthin- ab&#x017F;olut- in aller Ab&#x017F;icht- (u&#x0364;ber alle Verglei-<lb/>
chung) gros, d. i. Erhaben, nennen, &#x017F;o &#x017F;ieht man bald<lb/>
ein: daß wir fu&#x0364;r da&#x017F;&#x017F;elbe keinen ihm angeme&#x017F;&#x017F;enen Maas-<lb/>
&#x017F;tab au&#x017F;&#x017F;er ihm, &#x017F;ondern blos in ihm zu &#x017F;uchen ver&#x017F;tatten.<lb/>
Es i&#x017F;t eine Gro&#x0364;ße, die blos &#x017F;ich &#x017F;elber gleich i&#x017F;t. Daß<lb/>
das Erhabene al&#x017F;o nicht in den Dingen der Natur, &#x017F;on-<lb/>
dern allein in un&#x017F;ern Jdeen zu &#x017F;uchen &#x017F;ey, folgt hieraus;<lb/>
in welchen es aber liege muß fu&#x0364;r die Deduction aufbe-<lb/>
halten werden.</p><lb/>
                <p>Die obige Erkla&#x0364;rung kann auch &#x017F;o ausgedru&#x0364;ckt wer-<lb/>
den: <hi rendition="#fr">Erhaben i&#x017F;t das mit welchem in Verglei-<lb/>
chung alles andere klein i&#x017F;t.</hi> Hier &#x017F;ieht man leicht:<lb/>
daß nichts in der Natur gegeben werden ko&#x0364;nne, &#x017F;o gros<lb/>
als es auch von uns beurtheilt wu&#x0364;rde, was uicht in ei-<lb/>
nem andern Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e betrachtet bis zum Unendlich-<lb/>
Kleinen abgewu&#x0364;rdigt werden ko&#x0364;nnte und umgekehrt,<lb/>
nichts &#x017F;o klein, was &#x017F;ich nicht in Vergleichung mit noch<lb/>
kleinern Maas&#x017F;ta&#x0364;ben fu&#x0364;r un&#x017F;ere Einbildungskraft bis zu<lb/>
einer Weltgro&#x0364;ße erweitern ließe. Die Tele&#x017F;copien haben<lb/>
uns die er&#x017F;tere, die Micro&#x017F;copien die letztere Bemerkung<lb/>
zu machen reichlichen Stoff an die Hand gegeben.<lb/>
Richts al&#x017F;o, was Gegen&#x017F;tand der Sinnen &#x017F;eyn kann,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0147] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. darin zu ſuchen iſt, daß was wir nach Vorſchrift der Ur- theilskraft in der Anſchauung nur immer darſtellen (mit- hin aͤſthetiſch vorſtellen) moͤgen, insgeſamt Erſcheinung, mithin auch ein Quantum iſt. Wenn wir aber etwas nicht allein gros, ſondern ſchlechthin- abſolut- in aller Abſicht- (uͤber alle Verglei- chung) gros, d. i. Erhaben, nennen, ſo ſieht man bald ein: daß wir fuͤr daſſelbe keinen ihm angemeſſenen Maas- ſtab auſſer ihm, ſondern blos in ihm zu ſuchen verſtatten. Es iſt eine Groͤße, die blos ſich ſelber gleich iſt. Daß das Erhabene alſo nicht in den Dingen der Natur, ſon- dern allein in unſern Jdeen zu ſuchen ſey, folgt hieraus; in welchen es aber liege muß fuͤr die Deduction aufbe- halten werden. Die obige Erklaͤrung kann auch ſo ausgedruͤckt wer- den: Erhaben iſt das mit welchem in Verglei- chung alles andere klein iſt. Hier ſieht man leicht: daß nichts in der Natur gegeben werden koͤnne, ſo gros als es auch von uns beurtheilt wuͤrde, was uicht in ei- nem andern Verhaͤltniſſe betrachtet bis zum Unendlich- Kleinen abgewuͤrdigt werden koͤnnte und umgekehrt, nichts ſo klein, was ſich nicht in Vergleichung mit noch kleinern Maasſtaͤben fuͤr unſere Einbildungskraft bis zu einer Weltgroͤße erweitern ließe. Die Teleſcopien haben uns die erſtere, die Microſcopien die letztere Bemerkung zu machen reichlichen Stoff an die Hand gegeben. Richts alſo, was Gegenſtand der Sinnen ſeyn kann, F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/147
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/147>, abgerufen am 04.12.2024.