Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft. von ihrer Größe zu bekommen. Denn ist das letztere, sosind die Theile, die aufgefaßt werden (die Steine dersel- ben übereinander) nur dunkel vorgestellt und ihre Vor- stellung thut keine Wirkung auf das ästhetische Urtheil des Subjects. Jst aber das erstere, so bedarf das Auge einige Zeit um die Auffassung von der Grundfläche bis zur Spitze zu vollenden; in dieser aber erlöschen immer zum Theil die ersteren, ehe die Einbildungskraft die letz- tern aufgenommen hat und die Zusammenfassung ist nie vollständig. -- Eben dasselbe kann auch hinreichen, die Bestürzung, oder Art von Verlegenheit, die, wie man erzählt, dem Zuschauer in der St. Peterskirche in Rom beym ersten Eintritte anwandelt, zu erklären. Denn es ist hier ein Gefühl der Unangemessenheit seiner Einbil- dungskraft für die Jdeen eines Ganzen, um sie darzu- stellen, worin die Einbildungskraft ihr Maximum er- reicht, und, bey der Bestrebung es zu erweitern, in sich selbst zurücksinkt, dadurch aber in ein rührendes Wohl- gefallen versetzt wird. Jch will jetzt noch nichts von dem Grunde dieses F 4
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. von ihrer Groͤße zu bekommen. Denn iſt das letztere, ſoſind die Theile, die aufgefaßt werden (die Steine derſel- ben uͤbereinander) nur dunkel vorgeſtellt und ihre Vor- ſtellung thut keine Wirkung auf das aͤſthetiſche Urtheil des Subjects. Jſt aber das erſtere, ſo bedarf das Auge einige Zeit um die Auffaſſung von der Grundflaͤche bis zur Spitze zu vollenden; in dieſer aber erloͤſchen immer zum Theil die erſteren, ehe die Einbildungskraft die letz- tern aufgenommen hat und die Zuſammenfaſſung iſt nie vollſtaͤndig. — Eben daſſelbe kann auch hinreichen, die Beſtuͤrzung, oder Art von Verlegenheit, die, wie man erzaͤhlt, dem Zuſchauer in der St. Peterskirche in Rom beym erſten Eintritte anwandelt, zu erklaͤren. Denn es iſt hier ein Gefuͤhl der Unangemeſſenheit ſeiner Einbil- dungskraft fuͤr die Jdeen eines Ganzen, um ſie darzu- ſtellen, worin die Einbildungskraft ihr Maximum er- reicht, und, bey der Beſtrebung es zu erweitern, in ſich ſelbſt zuruͤckſinkt, dadurch aber in ein ruͤhrendes Wohl- gefallen verſetzt wird. Jch will jetzt noch nichts von dem Grunde dieſes F 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0151" n="87"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/> von ihrer Groͤße zu bekommen. Denn iſt das letztere, ſo<lb/> ſind die Theile, die aufgefaßt werden (die Steine derſel-<lb/> ben uͤbereinander) nur dunkel vorgeſtellt und ihre Vor-<lb/> ſtellung thut keine Wirkung auf das aͤſthetiſche Urtheil<lb/> des Subjects. Jſt aber das erſtere, ſo bedarf das Auge<lb/> einige Zeit um die Auffaſſung von der Grundflaͤche bis<lb/> zur Spitze zu vollenden; in dieſer aber erloͤſchen immer<lb/> zum Theil die erſteren, ehe die Einbildungskraft die letz-<lb/> tern aufgenommen hat und die Zuſammenfaſſung iſt nie<lb/> vollſtaͤndig. — Eben daſſelbe kann auch hinreichen, die<lb/> Beſtuͤrzung, oder Art von Verlegenheit, die, wie man<lb/> erzaͤhlt, dem Zuſchauer in der St. Peterskirche in Rom<lb/> beym erſten Eintritte anwandelt, zu erklaͤren. Denn<lb/> es iſt hier ein Gefuͤhl der Unangemeſſenheit ſeiner Einbil-<lb/> dungskraft fuͤr die Jdeen eines Ganzen, um ſie darzu-<lb/> ſtellen, worin die Einbildungskraft ihr Maximum er-<lb/> reicht, und, bey der Beſtrebung es zu erweitern, in ſich<lb/> ſelbſt zuruͤckſinkt, dadurch aber in ein ruͤhrendes Wohl-<lb/> gefallen verſetzt wird.</p><lb/> <p>Jch will jetzt noch nichts von dem Grunde dieſes<lb/> Wohlgefallens anfuͤhren, welches mit einer Vorſtellung,<lb/> davon man es am wenigſten erwarten ſollte, die naͤmlich<lb/> uns die Unangemeſſenheit, folglich auch ſubjective Un-<lb/> zweckmaͤßigkeit der Vorſtellung fuͤr die Urtheilskraft in<lb/> der Groͤßenſchaͤtzung merken laͤßt, verbunden iſt: ſon-<lb/> dern bemerke nur, daß, wenn das aͤſthetiſche Urtheil<lb/><hi rendition="#fr">rein (mit keinem teleologiſchen</hi> als Vernunftur-<lb/> <fw place="bottom" type="sig">F 4</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [87/0151]
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
von ihrer Groͤße zu bekommen. Denn iſt das letztere, ſo
ſind die Theile, die aufgefaßt werden (die Steine derſel-
ben uͤbereinander) nur dunkel vorgeſtellt und ihre Vor-
ſtellung thut keine Wirkung auf das aͤſthetiſche Urtheil
des Subjects. Jſt aber das erſtere, ſo bedarf das Auge
einige Zeit um die Auffaſſung von der Grundflaͤche bis
zur Spitze zu vollenden; in dieſer aber erloͤſchen immer
zum Theil die erſteren, ehe die Einbildungskraft die letz-
tern aufgenommen hat und die Zuſammenfaſſung iſt nie
vollſtaͤndig. — Eben daſſelbe kann auch hinreichen, die
Beſtuͤrzung, oder Art von Verlegenheit, die, wie man
erzaͤhlt, dem Zuſchauer in der St. Peterskirche in Rom
beym erſten Eintritte anwandelt, zu erklaͤren. Denn
es iſt hier ein Gefuͤhl der Unangemeſſenheit ſeiner Einbil-
dungskraft fuͤr die Jdeen eines Ganzen, um ſie darzu-
ſtellen, worin die Einbildungskraft ihr Maximum er-
reicht, und, bey der Beſtrebung es zu erweitern, in ſich
ſelbſt zuruͤckſinkt, dadurch aber in ein ruͤhrendes Wohl-
gefallen verſetzt wird.
Jch will jetzt noch nichts von dem Grunde dieſes
Wohlgefallens anfuͤhren, welches mit einer Vorſtellung,
davon man es am wenigſten erwarten ſollte, die naͤmlich
uns die Unangemeſſenheit, folglich auch ſubjective Un-
zweckmaͤßigkeit der Vorſtellung fuͤr die Urtheilskraft in
der Groͤßenſchaͤtzung merken laͤßt, verbunden iſt: ſon-
dern bemerke nur, daß, wenn das aͤſthetiſche Urtheil
rein (mit keinem teleologiſchen als Vernunftur-
F 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |