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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
verträglich ist, die der Einflus bestimmter Jdeen (prac-
tischer) aufs Gefühl bewirken würde.

Man sieht hieraus auch, daß die wahre Erhaben-
heit nur im Gemüthe des Urtheilenden, nicht in dem Na-
turobjecte, dessen Beurtheilung diese Stimmung dessel-
ben veranlaßt, müsse gesucht werden. Wer wollte auch
ungestalte Gebirgsmassen, in wilder Unordnung über
einander gethürmt, mit ihren Eispyramiden, oder die
düstere tobende See, u. s. w. erhaben nennen. Aber
das Gemüth fühlt sich in seiner eigenen Beurtheilung ge-
hoben, wenn es sich in der Betrachtung derselben, ohne
Rücksicht auf ihre Form, der Einbildungskraft und ei-
ner, obschon ganz ohne bestimmten Zweck damit in Ver-
bindung gesetzten, jene blos erweiternden Vernunft, über-
läßt die ganze Macht der Einbildungskraft dennoch ihrer
Jdeen unangemessen befindet.

Beyspiele von Mathematisch-erhabenen der Natur
in der bloßen Anschauung liefern uns alle die Fälle, wo
uns nicht sowohl ein größerer Zahlbegrif, als vielmehr
große Einheit als Maas (zu Verkürzung der Zahlreihen)
für die Einbildungskraft gegeben wird. Ein Baum,
den wir nach Manneshöhe schätzen, giebt allenfalls ei-
nen Maasstab für einen Berg und, wenn dieser etwa
eine Meile hoch wäre, kann er zur Einheit für die Zahl,
welche den Erddurchmesser ausdrückt, dienen, um den
letzteren anschaulich zu machen: der Erddurchmesser für
das uns bekannte Planetensystem, dieses für das der

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
vertraͤglich iſt, die der Einflus beſtimmter Jdeen (prac-
tiſcher) aufs Gefuͤhl bewirken wuͤrde.

Man ſieht hieraus auch, daß die wahre Erhaben-
heit nur im Gemuͤthe des Urtheilenden, nicht in dem Na-
turobjecte, deſſen Beurtheilung dieſe Stimmung deſſel-
ben veranlaßt, muͤſſe geſucht werden. Wer wollte auch
ungeſtalte Gebirgsmaſſen, in wilder Unordnung uͤber
einander gethuͤrmt, mit ihren Eispyramiden, oder die
duͤſtere tobende See, u. ſ. w. erhaben nennen. Aber
das Gemuͤth fuͤhlt ſich in ſeiner eigenen Beurtheilung ge-
hoben, wenn es ſich in der Betrachtung derſelben, ohne
Ruͤckſicht auf ihre Form, der Einbildungskraft und ei-
ner, obſchon ganz ohne beſtimmten Zweck damit in Ver-
bindung geſetzten, jene blos erweiternden Vernunft, uͤber-
laͤßt die ganze Macht der Einbildungskraft dennoch ihrer
Jdeen unangemeſſen befindet.

Beyſpiele von Mathematiſch-erhabenen der Natur
in der bloßen Anſchauung liefern uns alle die Faͤlle, wo
uns nicht ſowohl ein groͤßerer Zahlbegrif, als vielmehr
große Einheit als Maas (zu Verkuͤrzung der Zahlreihen)
fuͤr die Einbildungskraft gegeben wird. Ein Baum,
den wir nach Manneshoͤhe ſchaͤtzen, giebt allenfalls ei-
nen Maasſtab fuͤr einen Berg und, wenn dieſer etwa
eine Meile hoch waͤre, kann er zur Einheit fuͤr die Zahl,
welche den Erddurchmeſſer ausdruͤckt, dienen, um den
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[94/0158] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. vertraͤglich iſt, die der Einflus beſtimmter Jdeen (prac- tiſcher) aufs Gefuͤhl bewirken wuͤrde. Man ſieht hieraus auch, daß die wahre Erhaben- heit nur im Gemuͤthe des Urtheilenden, nicht in dem Na- turobjecte, deſſen Beurtheilung dieſe Stimmung deſſel- ben veranlaßt, muͤſſe geſucht werden. Wer wollte auch ungeſtalte Gebirgsmaſſen, in wilder Unordnung uͤber einander gethuͤrmt, mit ihren Eispyramiden, oder die duͤſtere tobende See, u. ſ. w. erhaben nennen. Aber das Gemuͤth fuͤhlt ſich in ſeiner eigenen Beurtheilung ge- hoben, wenn es ſich in der Betrachtung derſelben, ohne Ruͤckſicht auf ihre Form, der Einbildungskraft und ei- ner, obſchon ganz ohne beſtimmten Zweck damit in Ver- bindung geſetzten, jene blos erweiternden Vernunft, uͤber- laͤßt die ganze Macht der Einbildungskraft dennoch ihrer Jdeen unangemeſſen befindet. Beyſpiele von Mathematiſch-erhabenen der Natur in der bloßen Anſchauung liefern uns alle die Faͤlle, wo uns nicht ſowohl ein groͤßerer Zahlbegrif, als vielmehr große Einheit als Maas (zu Verkuͤrzung der Zahlreihen) fuͤr die Einbildungskraft gegeben wird. Ein Baum, den wir nach Manneshoͤhe ſchaͤtzen, giebt allenfalls ei- nen Maasſtab fuͤr einen Berg und, wenn dieſer etwa eine Meile hoch waͤre, kann er zur Einheit fuͤr die Zahl, welche den Erddurchmeſſer ausdruͤckt, dienen, um den letzteren anſchaulich zu machen: der Erddurchmeſſer fuͤr das uns bekannte Planetenſyſtem, dieſes fuͤr das der

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/158>, abgerufen am 11.12.2024.