verträglich ist, die der Einflus bestimmter Jdeen (prac- tischer) aufs Gefühl bewirken würde.
Man sieht hieraus auch, daß die wahre Erhaben- heit nur im Gemüthe des Urtheilenden, nicht in dem Na- turobjecte, dessen Beurtheilung diese Stimmung dessel- ben veranlaßt, müsse gesucht werden. Wer wollte auch ungestalte Gebirgsmassen, in wilder Unordnung über einander gethürmt, mit ihren Eispyramiden, oder die düstere tobende See, u. s. w. erhaben nennen. Aber das Gemüth fühlt sich in seiner eigenen Beurtheilung ge- hoben, wenn es sich in der Betrachtung derselben, ohne Rücksicht auf ihre Form, der Einbildungskraft und ei- ner, obschon ganz ohne bestimmten Zweck damit in Ver- bindung gesetzten, jene blos erweiternden Vernunft, über- läßt die ganze Macht der Einbildungskraft dennoch ihrer Jdeen unangemessen befindet.
Beyspiele von Mathematisch-erhabenen der Natur in der bloßen Anschauung liefern uns alle die Fälle, wo uns nicht sowohl ein größerer Zahlbegrif, als vielmehr große Einheit als Maas (zu Verkürzung der Zahlreihen) für die Einbildungskraft gegeben wird. Ein Baum, den wir nach Manneshöhe schätzen, giebt allenfalls ei- nen Maasstab für einen Berg und, wenn dieser etwa eine Meile hoch wäre, kann er zur Einheit für die Zahl, welche den Erddurchmesser ausdrückt, dienen, um den letzteren anschaulich zu machen: der Erddurchmesser für das uns bekannte Planetensystem, dieses für das der
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
vertraͤglich iſt, die der Einflus beſtimmter Jdeen (prac- tiſcher) aufs Gefuͤhl bewirken wuͤrde.
Man ſieht hieraus auch, daß die wahre Erhaben- heit nur im Gemuͤthe des Urtheilenden, nicht in dem Na- turobjecte, deſſen Beurtheilung dieſe Stimmung deſſel- ben veranlaßt, muͤſſe geſucht werden. Wer wollte auch ungeſtalte Gebirgsmaſſen, in wilder Unordnung uͤber einander gethuͤrmt, mit ihren Eispyramiden, oder die duͤſtere tobende See, u. ſ. w. erhaben nennen. Aber das Gemuͤth fuͤhlt ſich in ſeiner eigenen Beurtheilung ge- hoben, wenn es ſich in der Betrachtung derſelben, ohne Ruͤckſicht auf ihre Form, der Einbildungskraft und ei- ner, obſchon ganz ohne beſtimmten Zweck damit in Ver- bindung geſetzten, jene blos erweiternden Vernunft, uͤber- laͤßt die ganze Macht der Einbildungskraft dennoch ihrer Jdeen unangemeſſen befindet.
Beyſpiele von Mathematiſch-erhabenen der Natur in der bloßen Anſchauung liefern uns alle die Faͤlle, wo uns nicht ſowohl ein groͤßerer Zahlbegrif, als vielmehr große Einheit als Maas (zu Verkuͤrzung der Zahlreihen) fuͤr die Einbildungskraft gegeben wird. Ein Baum, den wir nach Manneshoͤhe ſchaͤtzen, giebt allenfalls ei- nen Maasſtab fuͤr einen Berg und, wenn dieſer etwa eine Meile hoch waͤre, kann er zur Einheit fuͤr die Zahl, welche den Erddurchmeſſer ausdruͤckt, dienen, um den letzteren anſchaulich zu machen: der Erddurchmeſſer fuͤr das uns bekannte Planetenſyſtem, dieſes fuͤr das der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0158"n="94"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/>
vertraͤglich iſt, die der Einflus beſtimmter Jdeen (prac-<lb/>
tiſcher) aufs Gefuͤhl bewirken wuͤrde.</p><lb/><p>Man ſieht hieraus auch, daß die wahre Erhaben-<lb/>
heit nur im Gemuͤthe des Urtheilenden, nicht in dem Na-<lb/>
turobjecte, deſſen Beurtheilung dieſe Stimmung deſſel-<lb/>
ben veranlaßt, muͤſſe geſucht werden. Wer wollte auch<lb/>
ungeſtalte Gebirgsmaſſen, in wilder Unordnung uͤber<lb/>
einander gethuͤrmt, mit ihren Eispyramiden, oder die<lb/>
duͤſtere tobende See, u. ſ. w. erhaben nennen. Aber<lb/>
das Gemuͤth fuͤhlt ſich in ſeiner eigenen Beurtheilung ge-<lb/>
hoben, wenn es ſich in der Betrachtung derſelben, ohne<lb/>
Ruͤckſicht auf ihre Form, der Einbildungskraft und ei-<lb/>
ner, obſchon ganz ohne beſtimmten Zweck damit in Ver-<lb/>
bindung geſetzten, jene blos erweiternden Vernunft, uͤber-<lb/>
laͤßt die ganze Macht der Einbildungskraft dennoch ihrer<lb/>
Jdeen unangemeſſen befindet.</p><lb/><p>Beyſpiele von Mathematiſch-erhabenen der Natur<lb/>
in der bloßen Anſchauung liefern uns alle die Faͤlle, wo<lb/>
uns nicht ſowohl ein groͤßerer Zahlbegrif, als vielmehr<lb/>
große Einheit als Maas (zu Verkuͤrzung der Zahlreihen)<lb/>
fuͤr die Einbildungskraft gegeben wird. Ein Baum,<lb/>
den wir nach Manneshoͤhe ſchaͤtzen, giebt allenfalls ei-<lb/>
nen Maasſtab fuͤr einen Berg und, wenn dieſer etwa<lb/>
eine Meile hoch waͤre, kann er zur Einheit fuͤr die Zahl,<lb/>
welche den Erddurchmeſſer ausdruͤckt, dienen, um den<lb/>
letzteren anſchaulich zu machen: der Erddurchmeſſer fuͤr<lb/>
das uns bekannte Planetenſyſtem, dieſes fuͤr das der<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[94/0158]
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
vertraͤglich iſt, die der Einflus beſtimmter Jdeen (prac-
tiſcher) aufs Gefuͤhl bewirken wuͤrde.
Man ſieht hieraus auch, daß die wahre Erhaben-
heit nur im Gemuͤthe des Urtheilenden, nicht in dem Na-
turobjecte, deſſen Beurtheilung dieſe Stimmung deſſel-
ben veranlaßt, muͤſſe geſucht werden. Wer wollte auch
ungeſtalte Gebirgsmaſſen, in wilder Unordnung uͤber
einander gethuͤrmt, mit ihren Eispyramiden, oder die
duͤſtere tobende See, u. ſ. w. erhaben nennen. Aber
das Gemuͤth fuͤhlt ſich in ſeiner eigenen Beurtheilung ge-
hoben, wenn es ſich in der Betrachtung derſelben, ohne
Ruͤckſicht auf ihre Form, der Einbildungskraft und ei-
ner, obſchon ganz ohne beſtimmten Zweck damit in Ver-
bindung geſetzten, jene blos erweiternden Vernunft, uͤber-
laͤßt die ganze Macht der Einbildungskraft dennoch ihrer
Jdeen unangemeſſen befindet.
Beyſpiele von Mathematiſch-erhabenen der Natur
in der bloßen Anſchauung liefern uns alle die Faͤlle, wo
uns nicht ſowohl ein groͤßerer Zahlbegrif, als vielmehr
große Einheit als Maas (zu Verkuͤrzung der Zahlreihen)
fuͤr die Einbildungskraft gegeben wird. Ein Baum,
den wir nach Manneshoͤhe ſchaͤtzen, giebt allenfalls ei-
nen Maasſtab fuͤr einen Berg und, wenn dieſer etwa
eine Meile hoch waͤre, kann er zur Einheit fuͤr die Zahl,
welche den Erddurchmeſſer ausdruͤckt, dienen, um den
letzteren anſchaulich zu machen: der Erddurchmeſſer fuͤr
das uns bekannte Planetenſyſtem, dieſes fuͤr das der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/158>, abgerufen am 11.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.