Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft. uns bearbeitet haben, vergleichen, um zu sehen, wohin eineblos empirische Exposition des Erhabenen und Schönen führe. Burke *) der in dieser Art der Behandlung als der vor- nehmste Verfasser genannt zu werden verdient, bringt auf diesem Wege (S. 223 seines Werks) heraus, "daß das Ge- fühl des Erhabenen sich auf dem Triebe zur Selbsterhaltung und auf Furcht d. i. einem Schmerze gründe, der, weil er nicht bis zur wirklichen Zerrüttung der körperlichen Theile geht -- Bewegungen hervorbringt, die, da sie die feineren oder gröberen Gefäße von gefährlichen und beschwerlichen Verstopfungen reinigen, im Stande sind angenehme Em- pfindungen zu erregen, zwar nicht Lust, sondern eine Art von wohlgefälligem Schauer, eine gewisse Ruhe, die mit Schrecken vermischt ist." Das Schöne, welches er auf Liebe gründet, (wovon er doch die Begierde abgesondert wis- sen will) führt er (S. 251--252) "auf die Nachlassung, Losspannung und Erschlaffung der Fibern des Körpers, mit- hin eine Erreichung, Auflösung, Ermattung, ein Hinsinken, Hinsterben, Wegschmelzen für Vergnügen hinaus." Und nun bestätigt er diese Erklärungsart nicht allein durch Fälle, in denen die Einbildungskraft in Verbindung mit dem Ver- stande, sondern sogar Sinnesempfindung in uns das Gefühl des Schönen sowohl als des Erhabenen erregen könne. -- Als psychologische Bemerkungen sind diese Zergliederungen der Phänomene unseres Gemüths überaus schön und geben reichen Stoff zu den beliebtesten Nachforschungen der empiri- schen Anthropologie. Es ist auch nicht zu läugnen, daß alle Vorstellungen in uns, sie mögen objectiv blos sinnlich oder ganz intellectuell seyn, doch subjectiv mit Vergnügen oder *) Nach der deutschen Uebersetzung seiner Schrift: Philosophi-
sche Untersuchungen über den Ursprung unserer Begriffe vom Schönen und Erhabenen. Riga bey Hartknoch 1773. I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. uns bearbeitet haben, vergleichen, um zu ſehen, wohin eineblos empiriſche Expoſition des Erhabenen und Schoͤnen fuͤhre. Burke *) der in dieſer Art der Behandlung als der vor- nehmſte Verfaſſer genannt zu werden verdient, bringt auf dieſem Wege (S. 223 ſeines Werks) heraus, „daß das Ge- fuͤhl des Erhabenen ſich auf dem Triebe zur Selbſterhaltung und auf Furcht d. i. einem Schmerze gruͤnde, der, weil er nicht bis zur wirklichen Zerruͤttung der koͤrperlichen Theile geht — Bewegungen hervorbringt, die, da ſie die feineren oder groͤberen Gefaͤße von gefaͤhrlichen und beſchwerlichen Verſtopfungen reinigen, im Stande ſind angenehme Em- pfindungen zu erregen, zwar nicht Luſt, ſondern eine Art von wohlgefaͤlligem Schauer, eine gewiſſe Ruhe, die mit Schrecken vermiſcht iſt.“ Das Schoͤne, welches er auf Liebe gruͤndet, (wovon er doch die Begierde abgeſondert wiſ- ſen will) fuͤhrt er (S. 251—252) „auf die Nachlaſſung, Losſpannung und Erſchlaffung der Fibern des Koͤrpers, mit- hin eine Erreichung, Aufloͤſung, Ermattung, ein Hinſinken, Hinſterben, Wegſchmelzen fuͤr Vergnuͤgen hinaus.“ Und nun beſtaͤtigt er dieſe Erklaͤrungsart nicht allein durch Faͤlle, in denen die Einbildungskraft in Verbindung mit dem Ver- ſtande, ſondern ſogar Sinnesempfindung in uns das Gefuͤhl des Schoͤnen ſowohl als des Erhabenen erregen koͤnne. — Als pſychologiſche Bemerkungen ſind dieſe Zergliederungen der Phaͤnomene unſeres Gemuͤths uͤberaus ſchoͤn und geben reichen Stoff zu den beliebteſten Nachforſchungen der empiri- ſchen Anthropologie. Es iſt auch nicht zu laͤugnen, daß alle Vorſtellungen in uns, ſie moͤgen objectiv blos ſinnlich oder ganz intellectuell ſeyn, doch ſubjectiv mit Vergnuͤgen oder *) Nach der deutſchen Ueberſetzung ſeiner Schrift: Philoſophi-
ſche Unterſuchungen uͤber den Urſprung unſerer Begriffe vom Schoͤnen und Erhabenen. Riga bey Hartknoch 1773. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0191" n="127"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/> uns bearbeitet haben, vergleichen, um zu ſehen, wohin eine<lb/> blos empiriſche Expoſition des Erhabenen und Schoͤnen fuͤhre.<lb/><hi rendition="#fr">Burke</hi> <note place="foot" n="*)">Nach der deutſchen Ueberſetzung ſeiner Schrift: Philoſophi-<lb/> ſche Unterſuchungen uͤber den Urſprung unſerer Begriffe vom<lb/> Schoͤnen und Erhabenen. Riga bey Hartknoch 1773.</note> der in dieſer Art der Behandlung als der vor-<lb/> nehmſte Verfaſſer genannt zu werden verdient, bringt auf<lb/> dieſem Wege (S. 223 ſeines Werks) heraus, „daß das Ge-<lb/> fuͤhl des Erhabenen ſich auf dem Triebe zur Selbſterhaltung<lb/> und auf <hi rendition="#fr">Furcht</hi> d. i. einem Schmerze gruͤnde, der, weil er<lb/> nicht bis zur wirklichen Zerruͤttung der koͤrperlichen Theile<lb/> geht — Bewegungen hervorbringt, die, da ſie die feineren<lb/> oder groͤberen Gefaͤße von gefaͤhrlichen und beſchwerlichen<lb/> Verſtopfungen reinigen, im Stande ſind angenehme Em-<lb/> pfindungen zu erregen, zwar nicht Luſt, ſondern eine Art<lb/> von wohlgefaͤlligem Schauer, eine gewiſſe Ruhe, die mit<lb/> Schrecken vermiſcht iſt.“ Das Schoͤne, welches er auf<lb/> Liebe gruͤndet, (wovon er doch die Begierde abgeſondert wiſ-<lb/> ſen will) fuͤhrt er (S. 251—252) „auf die Nachlaſſung,<lb/> Losſpannung und Erſchlaffung der Fibern des Koͤrpers, mit-<lb/> hin eine Erreichung, Aufloͤſung, Ermattung, ein Hinſinken,<lb/> Hinſterben, Wegſchmelzen fuͤr Vergnuͤgen hinaus.“ Und<lb/> nun beſtaͤtigt er dieſe Erklaͤrungsart nicht allein durch Faͤlle,<lb/> in denen die Einbildungskraft in Verbindung mit dem Ver-<lb/> ſtande, ſondern ſogar Sinnesempfindung in uns das Gefuͤhl<lb/> des Schoͤnen ſowohl als des Erhabenen erregen koͤnne. —<lb/> Als pſychologiſche Bemerkungen ſind dieſe Zergliederungen<lb/> der Phaͤnomene unſeres Gemuͤths uͤberaus ſchoͤn und geben<lb/> reichen Stoff zu den beliebteſten Nachforſchungen der empiri-<lb/> ſchen Anthropologie. Es iſt auch nicht zu laͤugnen, daß alle<lb/> Vorſtellungen in uns, ſie moͤgen objectiv blos ſinnlich oder<lb/> ganz intellectuell ſeyn, doch ſubjectiv mit Vergnuͤgen oder<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [127/0191]
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
uns bearbeitet haben, vergleichen, um zu ſehen, wohin eine
blos empiriſche Expoſition des Erhabenen und Schoͤnen fuͤhre.
Burke *) der in dieſer Art der Behandlung als der vor-
nehmſte Verfaſſer genannt zu werden verdient, bringt auf
dieſem Wege (S. 223 ſeines Werks) heraus, „daß das Ge-
fuͤhl des Erhabenen ſich auf dem Triebe zur Selbſterhaltung
und auf Furcht d. i. einem Schmerze gruͤnde, der, weil er
nicht bis zur wirklichen Zerruͤttung der koͤrperlichen Theile
geht — Bewegungen hervorbringt, die, da ſie die feineren
oder groͤberen Gefaͤße von gefaͤhrlichen und beſchwerlichen
Verſtopfungen reinigen, im Stande ſind angenehme Em-
pfindungen zu erregen, zwar nicht Luſt, ſondern eine Art
von wohlgefaͤlligem Schauer, eine gewiſſe Ruhe, die mit
Schrecken vermiſcht iſt.“ Das Schoͤne, welches er auf
Liebe gruͤndet, (wovon er doch die Begierde abgeſondert wiſ-
ſen will) fuͤhrt er (S. 251—252) „auf die Nachlaſſung,
Losſpannung und Erſchlaffung der Fibern des Koͤrpers, mit-
hin eine Erreichung, Aufloͤſung, Ermattung, ein Hinſinken,
Hinſterben, Wegſchmelzen fuͤr Vergnuͤgen hinaus.“ Und
nun beſtaͤtigt er dieſe Erklaͤrungsart nicht allein durch Faͤlle,
in denen die Einbildungskraft in Verbindung mit dem Ver-
ſtande, ſondern ſogar Sinnesempfindung in uns das Gefuͤhl
des Schoͤnen ſowohl als des Erhabenen erregen koͤnne. —
Als pſychologiſche Bemerkungen ſind dieſe Zergliederungen
der Phaͤnomene unſeres Gemuͤths uͤberaus ſchoͤn und geben
reichen Stoff zu den beliebteſten Nachforſchungen der empiri-
ſchen Anthropologie. Es iſt auch nicht zu laͤugnen, daß alle
Vorſtellungen in uns, ſie moͤgen objectiv blos ſinnlich oder
ganz intellectuell ſeyn, doch ſubjectiv mit Vergnuͤgen oder
*) Nach der deutſchen Ueberſetzung ſeiner Schrift: Philoſophi-
ſche Unterſuchungen uͤber den Urſprung unſerer Begriffe vom
Schoͤnen und Erhabenen. Riga bey Hartknoch 1773.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |