Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft. Schritte die er von den ersten Elementen der Geometriean, bis zu seinen großen und tiefen Erfindungen zu thun hatte, nicht allein sich selbst, sondern jeden andern ganz anschaulich und zur Nachfolge bestimmt vormachen könnte, kein Homer aber oder Wieland anzeigen kann, wie sich seine phantasiereiche und doch zugleich gedanken- volle Jdeen in seinem Kopfe hervor und zusammen fin- den, darum weil er es selbst nicht weiß und es also auch keinen andern lehren kann. Jm Wissentschaftlichen also ist der größte Erfinder vom mühseligsten Nachahmer und Lehrlinge nur dem Grade nach, dagegen von dem, den die Natur für die schöne Kunst begabt hat, specifisch un- terschieden. Jndessen liegt hierin keine Herabsetzung jener großen Männer, denen das menschliche Geschlecht so viel zu verdanken hat, gegen die Günstlinge der Na- tur in Ansehung ihres Talents für die schöne Kunst. Eben darinn, daß jener ihr Talent zur immer fortschrei- tenden größeren Vollkommenheit in Erkenntnissen und alles Nutzens, der davon abhängig ist, imgleichen zur Belehrung anderer in eben denselben Kenntnissen ge- macht ist, besteht ein großer Vorzug derselben vor de- nen, welche die Ehre verdienen, Genie's zu heissen, weil für diese die Kunst irgend wo still steht, indem ihr eine Grenze gesetzt ist, über die sie nicht weiter gehen kann, die vermuthlich auch schon seit lange her erreicht ist und nicht mehr erweitert werden kann und überdem eine solche Geschicklichkeit sich auch nicht mittheilen läßt, son- I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Schritte die er von den erſten Elementen der Geometriean, bis zu ſeinen großen und tiefen Erfindungen zu thun hatte, nicht allein ſich ſelbſt, ſondern jeden andern ganz anſchaulich und zur Nachfolge beſtimmt vormachen koͤnnte, kein Homer aber oder Wieland anzeigen kann, wie ſich ſeine phantaſiereiche und doch zugleich gedanken- volle Jdeen in ſeinem Kopfe hervor und zuſammen fin- den, darum weil er es ſelbſt nicht weiß und es alſo auch keinen andern lehren kann. Jm Wiſſentſchaftlichen alſo iſt der groͤßte Erfinder vom muͤhſeligſten Nachahmer und Lehrlinge nur dem Grade nach, dagegen von dem, den die Natur fuͤr die ſchoͤne Kunſt begabt hat, ſpecifiſch un- terſchieden. Jndeſſen liegt hierin keine Herabſetzung jener großen Maͤnner, denen das menſchliche Geſchlecht ſo viel zu verdanken hat, gegen die Guͤnſtlinge der Na- tur in Anſehung ihres Talents fuͤr die ſchoͤne Kunſt. Eben darinn, daß jener ihr Talent zur immer fortſchrei- tenden groͤßeren Vollkommenheit in Erkenntniſſen und alles Nutzens, der davon abhaͤngig iſt, imgleichen zur Belehrung anderer in eben denſelben Kenntniſſen ge- macht iſt, beſteht ein großer Vorzug derſelben vor de- nen, welche die Ehre verdienen, Genie’s zu heiſſen, weil fuͤr dieſe die Kunſt irgend wo ſtill ſteht, indem ihr eine Grenze geſetzt iſt, uͤber die ſie nicht weiter gehen kann, die vermuthlich auch ſchon ſeit lange her erreicht iſt und nicht mehr erweitert werden kann und uͤberdem eine ſolche Geſchicklichkeit ſich auch nicht mittheilen laͤßt, ſon- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0246" n="182"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. 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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Schritte die er von den erſten Elementen der Geometrie
an, bis zu ſeinen großen und tiefen Erfindungen zu thun
hatte, nicht allein ſich ſelbſt, ſondern jeden andern ganz
anſchaulich und zur Nachfolge beſtimmt vormachen
koͤnnte, kein Homer aber oder Wieland anzeigen kann,
wie ſich ſeine phantaſiereiche und doch zugleich gedanken-
volle Jdeen in ſeinem Kopfe hervor und zuſammen fin-
den, darum weil er es ſelbſt nicht weiß und es alſo auch
keinen andern lehren kann. Jm Wiſſentſchaftlichen alſo
iſt der groͤßte Erfinder vom muͤhſeligſten Nachahmer und
Lehrlinge nur dem Grade nach, dagegen von dem, den
die Natur fuͤr die ſchoͤne Kunſt begabt hat, ſpecifiſch un-
terſchieden. Jndeſſen liegt hierin keine Herabſetzung
jener großen Maͤnner, denen das menſchliche Geſchlecht
ſo viel zu verdanken hat, gegen die Guͤnſtlinge der Na-
tur in Anſehung ihres Talents fuͤr die ſchoͤne Kunſt.
Eben darinn, daß jener ihr Talent zur immer fortſchrei-
tenden groͤßeren Vollkommenheit in Erkenntniſſen und
alles Nutzens, der davon abhaͤngig iſt, imgleichen zur
Belehrung anderer in eben denſelben Kenntniſſen ge-
macht iſt, beſteht ein großer Vorzug derſelben vor de-
nen, welche die Ehre verdienen, Genie’s zu heiſſen, weil
fuͤr dieſe die Kunſt irgend wo ſtill ſteht, indem ihr eine
Grenze geſetzt iſt, uͤber die ſie nicht weiter gehen kann,
die vermuthlich auch ſchon ſeit lange her erreicht iſt und
nicht mehr erweitert werden kann und uͤberdem eine
ſolche Geſchicklichkeit ſich auch nicht mittheilen laͤßt, ſon-
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