leologische Urtheil dient dem ästhetischen zur Grundlage und Bedingung, worauf dieses Rücksicht nehmen muß. Jn einem solchen Falle denkt man auch, wenn z. B. ge- sagt wird: "das ist ein schönes Weib" in der That nichts anders als die Natur stellt in ihrer Gestalt die Zwecke im weiblichen Baue schön vor; denn man muß noch über die bloße Form auf einen Begrif hinaussehen, damit der Gegenstand auf solche Art durch ein logisch-bedingtes ästhetisches Urtheil gedacht werde.
Die schöne Kunst zeigt darin eben ihre Vorzüglich- keit, daß sie Dinge, die in der Natur häslich oder mis- fällig seyn würden, schön beschreibt. Die Furien, Krank- heiten, Verwüstungen des Krieges u. d. gl. können sehr schön beschrieben, ja sogar im Gemälde vorgestellt wer- den; nur eine Art Häslichkeit kann nicht der Natur ge- mäs vorgestellt werden, ohne alles ästhetische Wohlge- fallen, mithin der Kunstschönheit zu Grunde zu richten, nämlich diejenige, welche Ekel erweckt. Denn, weil in dieser sonderbaren auf lauter Einbildung beruhenden Empfindung der Gegenstand gleichsam, als ob er sich zum Genusse aufdränge, wider den wir doch mit Gewalt streben, vorgestellt wird, so wird die künstliche Vorstel- lung des Gegenstandes von der Natur dieses Gegenstan- des selbst in unserer Empfindung nicht mehr unterschie- den und jene kann alsdenn unmöglich für schön gehalten werden. Auch hat die Bildhauerkunst, weil an ihren Producten die Kunst mit der Natur beynahe verwechselt
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
leologiſche Urtheil dient dem aͤſthetiſchen zur Grundlage und Bedingung, worauf dieſes Ruͤckſicht nehmen muß. Jn einem ſolchen Falle denkt man auch, wenn z. B. ge- ſagt wird: „das iſt ein ſchoͤnes Weib“ in der That nichts anders als die Natur ſtellt in ihrer Geſtalt die Zwecke im weiblichen Baue ſchoͤn vor; denn man muß noch uͤber die bloße Form auf einen Begrif hinausſehen, damit der Gegenſtand auf ſolche Art durch ein logiſch-bedingtes aͤſthetiſches Urtheil gedacht werde.
Die ſchoͤne Kunſt zeigt darin eben ihre Vorzuͤglich- keit, daß ſie Dinge, die in der Natur haͤslich oder mis- faͤllig ſeyn wuͤrden, ſchoͤn beſchreibt. Die Furien, Krank- heiten, Verwuͤſtungen des Krieges u. d. gl. koͤnnen ſehr ſchoͤn beſchrieben, ja ſogar im Gemaͤlde vorgeſtellt wer- den; nur eine Art Haͤslichkeit kann nicht der Natur ge- maͤs vorgeſtellt werden, ohne alles aͤſthetiſche Wohlge- fallen, mithin der Kunſtſchoͤnheit zu Grunde zu richten, naͤmlich diejenige, welche Ekel erweckt. Denn, weil in dieſer ſonderbaren auf lauter Einbildung beruhenden Empfindung der Gegenſtand gleichſam, als ob er ſich zum Genuſſe aufdraͤnge, wider den wir doch mit Gewalt ſtreben, vorgeſtellt wird, ſo wird die kuͤnſtliche Vorſtel- lung des Gegenſtandes von der Natur dieſes Gegenſtan- des ſelbſt in unſerer Empfindung nicht mehr unterſchie- den und jene kann alsdenn unmoͤglich fuͤr ſchoͤn gehalten werden. Auch hat die Bildhauerkunſt, weil an ihren Producten die Kunſt mit der Natur beynahe verwechſelt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0251"n="187"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/>
leologiſche Urtheil dient dem aͤſthetiſchen zur Grundlage<lb/>
und Bedingung, worauf dieſes Ruͤckſicht nehmen muß.<lb/>
Jn einem ſolchen Falle denkt man auch, wenn z. B. ge-<lb/>ſagt wird: „das iſt ein ſchoͤnes Weib“ in der That nichts<lb/>
anders als die Natur ſtellt in ihrer Geſtalt die Zwecke im<lb/>
weiblichen Baue ſchoͤn vor; denn man muß noch uͤber die<lb/>
bloße Form auf einen Begrif hinausſehen, damit der<lb/>
Gegenſtand auf ſolche Art durch ein logiſch-bedingtes<lb/>
aͤſthetiſches Urtheil gedacht werde.</p><lb/><p>Die ſchoͤne Kunſt zeigt darin eben ihre Vorzuͤglich-<lb/>
keit, daß ſie Dinge, die in der Natur haͤslich oder mis-<lb/>
faͤllig ſeyn wuͤrden, ſchoͤn beſchreibt. Die Furien, Krank-<lb/>
heiten, Verwuͤſtungen des Krieges u. d. gl. koͤnnen ſehr<lb/>ſchoͤn beſchrieben, ja ſogar im Gemaͤlde vorgeſtellt wer-<lb/>
den; nur eine Art Haͤslichkeit kann nicht der Natur ge-<lb/>
maͤs vorgeſtellt werden, ohne alles aͤſthetiſche Wohlge-<lb/>
fallen, mithin der Kunſtſchoͤnheit zu Grunde zu richten,<lb/>
naͤmlich diejenige, welche <hirendition="#fr">Ekel</hi> erweckt. Denn, weil<lb/>
in dieſer ſonderbaren auf lauter Einbildung beruhenden<lb/>
Empfindung der Gegenſtand gleichſam, als ob er ſich<lb/>
zum Genuſſe aufdraͤnge, wider den wir doch mit Gewalt<lb/>ſtreben, vorgeſtellt wird, ſo wird die kuͤnſtliche Vorſtel-<lb/>
lung des Gegenſtandes von der Natur dieſes Gegenſtan-<lb/>
des ſelbſt in unſerer Empfindung nicht mehr unterſchie-<lb/>
den und jene kann alsdenn unmoͤglich fuͤr ſchoͤn gehalten<lb/>
werden. Auch hat die Bildhauerkunſt, weil an ihren<lb/>
Producten die Kunſt mit der Natur beynahe verwechſelt<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[187/0251]
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
leologiſche Urtheil dient dem aͤſthetiſchen zur Grundlage
und Bedingung, worauf dieſes Ruͤckſicht nehmen muß.
Jn einem ſolchen Falle denkt man auch, wenn z. B. ge-
ſagt wird: „das iſt ein ſchoͤnes Weib“ in der That nichts
anders als die Natur ſtellt in ihrer Geſtalt die Zwecke im
weiblichen Baue ſchoͤn vor; denn man muß noch uͤber die
bloße Form auf einen Begrif hinausſehen, damit der
Gegenſtand auf ſolche Art durch ein logiſch-bedingtes
aͤſthetiſches Urtheil gedacht werde.
Die ſchoͤne Kunſt zeigt darin eben ihre Vorzuͤglich-
keit, daß ſie Dinge, die in der Natur haͤslich oder mis-
faͤllig ſeyn wuͤrden, ſchoͤn beſchreibt. Die Furien, Krank-
heiten, Verwuͤſtungen des Krieges u. d. gl. koͤnnen ſehr
ſchoͤn beſchrieben, ja ſogar im Gemaͤlde vorgeſtellt wer-
den; nur eine Art Haͤslichkeit kann nicht der Natur ge-
maͤs vorgeſtellt werden, ohne alles aͤſthetiſche Wohlge-
fallen, mithin der Kunſtſchoͤnheit zu Grunde zu richten,
naͤmlich diejenige, welche Ekel erweckt. Denn, weil
in dieſer ſonderbaren auf lauter Einbildung beruhenden
Empfindung der Gegenſtand gleichſam, als ob er ſich
zum Genuſſe aufdraͤnge, wider den wir doch mit Gewalt
ſtreben, vorgeſtellt wird, ſo wird die kuͤnſtliche Vorſtel-
lung des Gegenſtandes von der Natur dieſes Gegenſtan-
des ſelbſt in unſerer Empfindung nicht mehr unterſchie-
den und jene kann alsdenn unmoͤglich fuͤr ſchoͤn gehalten
werden. Auch hat die Bildhauerkunſt, weil an ihren
Producten die Kunſt mit der Natur beynahe verwechſelt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/251>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.