Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft. Erlernung oder der Schule, zuzuschreiben ist) ein Bey-spiel nicht der Nachahmung (denn da würde das, was daran Genie ist und den Geist des Werks ausmacht, weg fallen), sondern der Nachfolge für ein anderes Genie, welches dadurch zum Gefühl seiner eigenen Originalität aufgeweckt wird, Zwangsfreyheit von Regeln so in der Kunst auszuüben, daß diese dadurch selbst eine neue Re- gel bekommt, wodurch das Talent sich als musterhaft zeigt. Weil aber das Genie ein Günstling der Natur ist, dergleichen man nur als seltene Erscheinung anzusehen hat, so bringt sein Beyspiel für andere gute Köpfe eine Schule hervor, d. i. eine methodische Unterweisung nach Regeln, soweit man sie aus jenen Geistesproducten und ihrer Eigenthümlichkeit hat ziehen können und für die ist die schöne Kunst sofern Nachahmung, der die Natur durch ein Genie die Regel gab. Aber diese Nachahmung wird Nachäffung, wenn I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Erlernung oder der Schule, zuzuſchreiben iſt) ein Bey-ſpiel nicht der Nachahmung (denn da wuͤrde das, was daran Genie iſt und den Geiſt des Werks ausmacht, weg fallen), ſondern der Nachfolge fuͤr ein anderes Genie, welches dadurch zum Gefuͤhl ſeiner eigenen Originalitaͤt aufgeweckt wird, Zwangsfreyheit von Regeln ſo in der Kunſt auszuuͤben, daß dieſe dadurch ſelbſt eine neue Re- gel bekommt, wodurch das Talent ſich als muſterhaft zeigt. Weil aber das Genie ein Guͤnſtling der Natur iſt, dergleichen man nur als ſeltene Erſcheinung anzuſehen hat, ſo bringt ſein Beyſpiel fuͤr andere gute Koͤpfe eine Schule hervor, d. i. eine methodiſche Unterweiſung nach Regeln, ſoweit man ſie aus jenen Geiſtesproducten und ihrer Eigenthuͤmlichkeit hat ziehen koͤnnen und fuͤr die iſt die ſchoͤne Kunſt ſofern Nachahmung, der die Natur durch ein Genie die Regel gab. Aber dieſe Nachahmung wird Nachaͤffung, wenn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0262" n="198"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/> Erlernung oder der Schule, zuzuſchreiben iſt) ein Bey-<lb/> ſpiel nicht der Nachahmung (denn da wuͤrde das, was<lb/> daran Genie iſt und den Geiſt des Werks ausmacht,<lb/> weg fallen), ſondern der Nachfolge fuͤr ein anderes Genie,<lb/> welches dadurch zum Gefuͤhl ſeiner eigenen Originalitaͤt<lb/> aufgeweckt wird, Zwangsfreyheit von Regeln ſo in der<lb/> Kunſt auszuuͤben, daß dieſe dadurch ſelbſt eine neue Re-<lb/> gel bekommt, wodurch das Talent ſich als muſterhaft<lb/> zeigt. Weil aber das Genie ein Guͤnſtling der Natur iſt,<lb/> dergleichen man nur als ſeltene Erſcheinung anzuſehen<lb/> hat, ſo bringt ſein Beyſpiel fuͤr andere gute Koͤpfe eine<lb/> Schule hervor, d. i. eine methodiſche Unterweiſung nach<lb/> Regeln, ſoweit man ſie aus jenen Geiſtesproducten und<lb/> ihrer Eigenthuͤmlichkeit hat ziehen koͤnnen und fuͤr die iſt<lb/> die ſchoͤne Kunſt ſofern Nachahmung, der die Natur<lb/> durch ein Genie die Regel gab.</p><lb/> <p>Aber dieſe Nachahmung wird <hi rendition="#fr">Nachaͤffung,</hi> wenn<lb/> der Schuͤler alles <hi rendition="#fr">nachmacht,</hi> bis auf das, was das<lb/> Genie als Misgeſtalt nur hat zulaſſen muͤſſen, weil es<lb/> ſich, ohne die Jdee zu ſchwaͤchen, nicht wohl wegſchaffen<lb/> ließ. Dieſer Muth iſt an einem Genie allein Verdienſt<lb/> und eine gewiſſe <hi rendition="#fr">Kuͤhnheit</hi> im Ausdrucke und uͤber-<lb/> haupt manche Abweichung von der gemeinen Regel steht<lb/> demſelben wohl an, iſt aber keinesweges nachahmungs-<lb/> wuͤrdig, ſondern bleibt immer an ſich ein Fehler, den<lb/> man wegzuſchaffen ſuchen muß, fuͤr dergleichen aber das<lb/> Genie gleichſam privilegirt iſt, da das Unnachahmliche<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [198/0262]
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Erlernung oder der Schule, zuzuſchreiben iſt) ein Bey-
ſpiel nicht der Nachahmung (denn da wuͤrde das, was
daran Genie iſt und den Geiſt des Werks ausmacht,
weg fallen), ſondern der Nachfolge fuͤr ein anderes Genie,
welches dadurch zum Gefuͤhl ſeiner eigenen Originalitaͤt
aufgeweckt wird, Zwangsfreyheit von Regeln ſo in der
Kunſt auszuuͤben, daß dieſe dadurch ſelbſt eine neue Re-
gel bekommt, wodurch das Talent ſich als muſterhaft
zeigt. Weil aber das Genie ein Guͤnſtling der Natur iſt,
dergleichen man nur als ſeltene Erſcheinung anzuſehen
hat, ſo bringt ſein Beyſpiel fuͤr andere gute Koͤpfe eine
Schule hervor, d. i. eine methodiſche Unterweiſung nach
Regeln, ſoweit man ſie aus jenen Geiſtesproducten und
ihrer Eigenthuͤmlichkeit hat ziehen koͤnnen und fuͤr die iſt
die ſchoͤne Kunſt ſofern Nachahmung, der die Natur
durch ein Genie die Regel gab.
Aber dieſe Nachahmung wird Nachaͤffung, wenn
der Schuͤler alles nachmacht, bis auf das, was das
Genie als Misgeſtalt nur hat zulaſſen muͤſſen, weil es
ſich, ohne die Jdee zu ſchwaͤchen, nicht wohl wegſchaffen
ließ. Dieſer Muth iſt an einem Genie allein Verdienſt
und eine gewiſſe Kuͤhnheit im Ausdrucke und uͤber-
haupt manche Abweichung von der gemeinen Regel steht
demſelben wohl an, iſt aber keinesweges nachahmungs-
wuͤrdig, ſondern bleibt immer an ſich ein Fehler, den
man wegzuſchaffen ſuchen muß, fuͤr dergleichen aber das
Genie gleichſam privilegirt iſt, da das Unnachahmliche
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