ser Jdee von einem Naturzwecke zuvörderst durch ein Beyspiel erläutern, ehe wir sie völlig aus einander setzen.
Ein Baum zeugt erstlich einen andern Baum nach einem bekannten Naturgesetze. Der Baum aber, den er erzeugt ist von derselben Gattung und so erzeugt er sich selbst der Gattung nach, in der er einerseits als Wirkung, andrerseits als Ursache von sich selbst unauf- hörlich hervorgebracht und, eben so, sich selbst oft her- vorbringend sich, als Gattung, beständig erhält.
Zweytens erzeugt ein Baum sich auch selbst als Jndividnum. Diese Art von Wirkung nennen wir zwar nur das Wachsthum; aber dieser ist in solchem Sinne zu nehmen, daß er von jeder andern Größenzu- nahme nach mechanischen Gesetzen gänzlich unterschieden und einer Zeugung, wiewohl unter einem andern Nah- men, gleich zu achten ist. Die Materie, die er zu sich hinzu setzt, verarbeitet dieses Gewächs vorher zu speci- fisch-eigenthümlicher Qualität, die der Naturmechanism ausser ihr nicht liefern kann und bildet sich selbst weiter aus, vermittelst eines Stoffes, der, seiner Mischung nach, sein eigeues Product ist. Denn, ob er zwar, was die Bestandtheile betrift, die er von der Natur ausser ihm erhält, nur als Educt angesehen werden muß, so ist doch in der Scheidung und neuen Zusammensetzung dieses rohen Stoffs eine solche Originalität des Schei- dungs- und Bildungsvermögens dieser Art Naturwesen anzutreffen, von der alle Kunst unendlich weit entfernt
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
ſer Jdee von einem Naturzwecke zuvoͤrderſt durch ein Beyſpiel erlaͤutern, ehe wir ſie voͤllig aus einander ſetzen.
Ein Baum zeugt erſtlich einen andern Baum nach einem bekannten Naturgeſetze. Der Baum aber, den er erzeugt iſt von derſelben Gattung und ſo erzeugt er ſich ſelbſt der Gattung nach, in der er einerſeits als Wirkung, andrerſeits als Urſache von ſich ſelbſt unauf- hoͤrlich hervorgebracht und, eben ſo, ſich ſelbſt oft her- vorbringend ſich, als Gattung, beſtaͤndig erhaͤlt.
Zweytens erzeugt ein Baum ſich auch ſelbſt als Jndividnum. Dieſe Art von Wirkung nennen wir zwar nur das Wachsthum; aber dieſer iſt in ſolchem Sinne zu nehmen, daß er von jeder andern Groͤßenzu- nahme nach mechaniſchen Geſetzen gaͤnzlich unterſchieden und einer Zeugung, wiewohl unter einem andern Nah- men, gleich zu achten iſt. Die Materie, die er zu ſich hinzu ſetzt, verarbeitet dieſes Gewaͤchs vorher zu ſpeci- fiſch-eigenthuͤmlicher Qualitaͤt, die der Naturmechanism auſſer ihr nicht liefern kann und bildet ſich ſelbſt weiter aus, vermittelſt eines Stoffes, der, ſeiner Miſchung nach, ſein eigeues Product iſt. Denn, ob er zwar, was die Beſtandtheile betrift, die er von der Natur auſſer ihm erhaͤlt, nur als Educt angeſehen werden muß, ſo iſt doch in der Scheidung und neuen Zuſammenſetzung dieſes rohen Stoffs eine ſolche Originalitaͤt des Schei- dungs- und Bildungsvermoͤgens dieſer Art Naturweſen anzutreffen, von der alle Kunſt unendlich weit entfernt
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
ſer Jdee von einem Naturzwecke zuvoͤrderſt durch ein
Beyſpiel erlaͤutern, ehe wir ſie voͤllig aus einander ſetzen.
Ein Baum zeugt erſtlich einen andern Baum nach
einem bekannten Naturgeſetze. Der Baum aber, den
er erzeugt iſt von derſelben Gattung und ſo erzeugt er
ſich ſelbſt der Gattung nach, in der er einerſeits als
Wirkung, andrerſeits als Urſache von ſich ſelbſt unauf-
hoͤrlich hervorgebracht und, eben ſo, ſich ſelbſt oft her-
vorbringend ſich, als Gattung, beſtaͤndig erhaͤlt.
Zweytens erzeugt ein Baum ſich auch ſelbſt als
Jndividnum. Dieſe Art von Wirkung nennen wir
zwar nur das Wachsthum; aber dieſer iſt in ſolchem
Sinne zu nehmen, daß er von jeder andern Groͤßenzu-
nahme nach mechaniſchen Geſetzen gaͤnzlich unterſchieden
und einer Zeugung, wiewohl unter einem andern Nah-
men, gleich zu achten iſt. Die Materie, die er zu ſich
hinzu ſetzt, verarbeitet dieſes Gewaͤchs vorher zu ſpeci-
fiſch-eigenthuͤmlicher Qualitaͤt, die der Naturmechanism
auſſer ihr nicht liefern kann und bildet ſich ſelbſt weiter
aus, vermittelſt eines Stoffes, der, ſeiner Miſchung
nach, ſein eigeues Product iſt. Denn, ob er zwar, was
die Beſtandtheile betrift, die er von der Natur auſſer
ihm erhaͤlt, nur als Educt angeſehen werden muß, ſo
iſt doch in der Scheidung und neuen Zuſammenſetzung
dieſes rohen Stoffs eine ſolche Originalitaͤt des Schei-
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/347>, abgerufen am 05.12.2024.
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