Man sieht hieraus wohl: daß Spinoza dadurch, daß er unsere Begriffe von dem Zweckmäßigen in der Natur auf das Bewustseyn unserer selbst in einem allbe- faßenden (doch zugleich einfachen) Wesen zurück führte und jene Form blos in der Einheit der letztern suchte, nicht den Realism sondern blos den Jdealism der Zweck- mäßigkeit derselben zu behaupten die Absicht haben muß- te, diese aber selbst doch nicht bewerkstelligen konnte, weil die bloße Vorstellung der Einheit des Subsirats auch nicht einmal die Jdee von einer, auch nur unab- sichtlichen, Zweckmäßigkeit bewirken kann.
2) Die den Realism der Naturzwecke nicht blos behaupten, sondern ihn auch zu erklären vermeynen, glauben eine besondere Art der Caussalität, nämlich absichtlich wirkender Ursachen, wenigstens ihrer Mög- lichkeit nach einsehen zu können; sonst könnten sie es nicht unternehmen jene erklären zu wollen; denn zur Be- fugnis selbst der gewagtesten Hypothese muß wenigstens die Möglichkeit dessen, was man als Grund an- nimmt, gewiß seyn, und man muß dem Begriffe dessel- ben seine objective Realität sichern können.
Aber die Möglichkeit einer lebenden Materie (deren Begrif einen Widerspruch enthält, weil Leblosigkeit, inertia, den wesentlichen Character derselben ausmacht) läßt sich nicht einmal denken: die einer belebten Materie und der gesammten Natur, als eines Thiers, kann nur so fern (zum Behuf einer Hypothese der Zweckmäßigkeit
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
Man ſieht hieraus wohl: daß Spinoza dadurch, daß er unſere Begriffe von dem Zweckmaͤßigen in der Natur auf das Bewuſtſeyn unſerer ſelbſt in einem allbe- faßenden (doch zugleich einfachen) Weſen zuruͤck fuͤhrte und jene Form blos in der Einheit der letztern ſuchte, nicht den Realism ſondern blos den Jdealism der Zweck- maͤßigkeit derſelben zu behaupten die Abſicht haben muß- te, dieſe aber ſelbſt doch nicht bewerkſtelligen konnte, weil die bloße Vorſtellung der Einheit des Subſirats auch nicht einmal die Jdee von einer, auch nur unab- ſichtlichen, Zweckmaͤßigkeit bewirken kann.
2) Die den Realism der Naturzwecke nicht blos behaupten, ſondern ihn auch zu erklaͤren vermeynen, glauben eine beſondere Art der Cauſſalitaͤt, naͤmlich abſichtlich wirkender Urſachen, wenigſtens ihrer Moͤg- lichkeit nach einſehen zu koͤnnen; ſonſt koͤnnten ſie es nicht unternehmen jene erklaͤren zu wollen; denn zur Be- fugnis ſelbſt der gewagteſten Hypotheſe muß wenigſtens die Moͤglichkeit deſſen, was man als Grund an- nimmt, gewiß ſeyn, und man muß dem Begriffe deſſel- ben ſeine objective Realitaͤt ſichern koͤnnen.
Aber die Moͤglichkeit einer lebenden Materie (deren Begrif einen Widerſpruch enthaͤlt, weil Lebloſigkeit, inertia, den weſentlichen Character derſelben ausmacht) laͤßt ſich nicht einmal denken: die einer belebten Materie und der geſammten Natur, als eines Thiers, kann nur ſo fern (zum Behuf einer Hypotheſe der Zweckmaͤßigkeit
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
Man ſieht hieraus wohl: daß Spinoza dadurch,
daß er unſere Begriffe von dem Zweckmaͤßigen in der
Natur auf das Bewuſtſeyn unſerer ſelbſt in einem allbe-
faßenden (doch zugleich einfachen) Weſen zuruͤck fuͤhrte
und jene Form blos in der Einheit der letztern ſuchte,
nicht den Realism ſondern blos den Jdealism der Zweck-
maͤßigkeit derſelben zu behaupten die Abſicht haben muß-
te, dieſe aber ſelbſt doch nicht bewerkſtelligen konnte,
weil die bloße Vorſtellung der Einheit des Subſirats
auch nicht einmal die Jdee von einer, auch nur unab-
ſichtlichen, Zweckmaͤßigkeit bewirken kann.
2) Die den Realism der Naturzwecke nicht blos
behaupten, ſondern ihn auch zu erklaͤren vermeynen,
glauben eine beſondere Art der Cauſſalitaͤt, naͤmlich
abſichtlich wirkender Urſachen, wenigſtens ihrer Moͤg-
lichkeit nach einſehen zu koͤnnen; ſonſt koͤnnten ſie es
nicht unternehmen jene erklaͤren zu wollen; denn zur Be-
fugnis ſelbſt der gewagteſten Hypotheſe muß wenigſtens
die Moͤglichkeit deſſen, was man als Grund an-
nimmt, gewiß ſeyn, und man muß dem Begriffe deſſel-
ben ſeine objective Realitaͤt ſichern koͤnnen.
Aber die Moͤglichkeit einer lebenden Materie (deren
Begrif einen Widerſpruch enthaͤlt, weil Lebloſigkeit,
inertia, den weſentlichen Character derſelben ausmacht)
laͤßt ſich nicht einmal denken: die einer belebten Materie
und der geſammten Natur, als eines Thiers, kann nur
ſo fern (zum Behuf einer Hypotheſe der Zweckmaͤßigkeit
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/387>, abgerufen am 05.12.2024.
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