telligibelen Substrats der Natur, woraus selbst von dem Mechanism der Erscheinungen nach besondern Gesetzen Grund angegeben werden könne, erforderlich seyn wür- de, welches alles unser Vermögen gänzlich übersteigt.
Damit also der Naturforscher nicht auf reinen Ver- lust arbeite, so muß er in Beurtheilung der Dinge, de- ren Begriff als Naturzwecke unbezweifelt gegründet ist (organisirter Wesen), immer irgend eine ursprüngliche Organisation zum Grunde legen, welche jenen Mecha- nism selbst benutzt, um andere organisirte Formen her- vorzubringen, oder die seinige zu neuen Gestalten (die doch aber immer aus jenem Zwecke und ihm gemäs er- folgen) zu entwickeln.
Es ist rühmlich, vermittelst einer comparativen Ana- tomie die große Schöpfung organisirter Naturen durch- zugehen, um zu sehen: ob sich daran nicht etwas einem System ähnliches, und zwar dem Erzeugungsprincip nach, vorfinde, ohne daß wir nöthig haben, beym blo- ßen Beurtheilungsprincip (welches für die Einsicht ihrer Erzeugung keinen Aufschlus giebt) stehen zu bleiben und muthlos allen Anspruch auf Natureinsicht in die- sem Felde aufzugeben. Die Uebereinkunft so vieler Thier- gattungen in einem gewissen gemeinsamen Schema, das nicht allein in ihrem Knochenbau, sondern auch in der Anordnung der übrigen Theile zum Grunde zu liegen scheint, wo bewundrungswürdige Einfalt des Grund- risses durch Verkürzung einer und Verlängerung ande-
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
telligibelen Subſtrats der Natur, woraus ſelbſt von dem Mechanism der Erſcheinungen nach beſondern Geſetzen Grund angegeben werden koͤnne, erforderlich ſeyn wuͤr- de, welches alles unſer Vermoͤgen gaͤnzlich uͤberſteigt.
Damit alſo der Naturforſcher nicht auf reinen Ver- luſt arbeite, ſo muß er in Beurtheilung der Dinge, de- ren Begriff als Naturzwecke unbezweifelt gegruͤndet iſt (organiſirter Weſen), immer irgend eine urſpruͤngliche Organiſation zum Grunde legen, welche jenen Mecha- nism ſelbſt benutzt, um andere organiſirte Formen her- vorzubringen, oder die ſeinige zu neuen Geſtalten (die doch aber immer aus jenem Zwecke und ihm gemaͤs er- folgen) zu entwickeln.
Es iſt ruͤhmlich, vermittelſt einer comparativen Ana- tomie die große Schoͤpfung organiſirter Naturen durch- zugehen, um zu ſehen: ob ſich daran nicht etwas einem Syſtem aͤhnliches, und zwar dem Erzeugungsprincip nach, vorfinde, ohne daß wir noͤthig haben, beym blo- ßen Beurtheilungsprincip (welches fuͤr die Einſicht ihrer Erzeugung keinen Aufſchlus giebt) ſtehen zu bleiben und muthlos allen Anſpruch auf Natureinſicht in die- ſem Felde aufzugeben. Die Uebereinkunft ſo vieler Thier- gattungen in einem gewiſſen gemeinſamen Schema, das nicht allein in ihrem Knochenbau, ſondern auch in der Anordnung der uͤbrigen Theile zum Grunde zu liegen ſcheint, wo bewundrungswuͤrdige Einfalt des Grund- riſſes durch Verkuͤrzung einer und Verlaͤngerung ande-
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
telligibelen Subſtrats der Natur, woraus ſelbſt von dem
Mechanism der Erſcheinungen nach beſondern Geſetzen
Grund angegeben werden koͤnne, erforderlich ſeyn wuͤr-
de, welches alles unſer Vermoͤgen gaͤnzlich uͤberſteigt.
Damit alſo der Naturforſcher nicht auf reinen Ver-
luſt arbeite, ſo muß er in Beurtheilung der Dinge, de-
ren Begriff als Naturzwecke unbezweifelt gegruͤndet iſt
(organiſirter Weſen), immer irgend eine urſpruͤngliche
Organiſation zum Grunde legen, welche jenen Mecha-
nism ſelbſt benutzt, um andere organiſirte Formen her-
vorzubringen, oder die ſeinige zu neuen Geſtalten (die
doch aber immer aus jenem Zwecke und ihm gemaͤs er-
folgen) zu entwickeln.
Es iſt ruͤhmlich, vermittelſt einer comparativen Ana-
tomie die große Schoͤpfung organiſirter Naturen durch-
zugehen, um zu ſehen: ob ſich daran nicht etwas einem
Syſtem aͤhnliches, und zwar dem Erzeugungsprincip
nach, vorfinde, ohne daß wir noͤthig haben, beym blo-
ßen Beurtheilungsprincip (welches fuͤr die Einſicht ihrer
Erzeugung keinen Aufſchlus giebt) ſtehen zu bleiben und
muthlos allen Anſpruch auf Natureinſicht in die-
ſem Felde aufzugeben. Die Uebereinkunft ſo vieler Thier-
gattungen in einem gewiſſen gemeinſamen Schema, das
nicht allein in ihrem Knochenbau, ſondern auch in der
Anordnung der uͤbrigen Theile zum Grunde zu liegen
ſcheint, wo bewundrungswuͤrdige Einfalt des Grund-
riſſes durch Verkuͤrzung einer und Verlaͤngerung ande-
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/427>, abgerufen am 05.12.2024.
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