Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft. That sein eigener letzter Naturzweck (nicht Zweck derFreyheit) ist, von ihm nie erreicht werden; denn seine Natur ist nicht von der Art, irgend wo im Besitze und Genusse aufzuhören und befriedigt zu werden. Andrer- seits ist so weit gefehlt: daß die Natur ihn zu ihren be- sondern Liebling aufgenommen und vor allen Thieren mit Wohlthnn begünstigt habe, daß sie ihn vielmehr in ihren verderblichen Wirkungen, in Pest, Hunger, Wasser- gefahr, Frost, Anfall von andern großen und kleinen Thieren u. d. g. eben so wenig verschont, wie jedes an- dere Thier: noch mehr aber, daß das Widersinnische der Naturanlagen ihn selbst in selbstersonnenen Pla- gen und noch andere von seiner eigenen Gattung, durch den Druck der Herrschaft, die Barbarey der Kriege u. s. w. in solche Noth versetzt und er selbst, so viel an ihm ist, an der Zerstörung seiner eigenen Gattung arbei- tet, daß selbst bey der wohlthätigsten Natur außer uns, der Zweck derselben, wenn er auf die Glückseeligkeit un- serer Species gestellet wäre in einem System derselben auf Erden nicht erreicht werden würde, weil die Natur in uns derselben nicht empfänglich ist. Er ist also immer nur Glied in der Kette der Naturzwecke, zwar Princip in Ansehung manches Zwecks, dazu die Natur ihn in ihrer Anlage bestimmt zu haben scheint, indem er sich selbst dazu macht, aber doch auch Mittel zur Erhaltung der Zweckmäßigkeit im Mechanism der übrigen Glieder. Als das einzige Wesen auf Erden das Verstand, mithin Kants Crit. d. Urtheilekr B b
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. That ſein eigener letzter Naturzweck (nicht Zweck derFreyheit) iſt, von ihm nie erreicht werden; denn ſeine Natur iſt nicht von der Art, irgend wo im Beſitze und Genuſſe aufzuhoͤren und befriedigt zu werden. Andrer- ſeits iſt ſo weit gefehlt: daß die Natur ihn zu ihren be- ſondern Liebling aufgenommen und vor allen Thieren mit Wohlthnn beguͤnſtigt habe, daß ſie ihn vielmehr in ihren verderblichen Wirkungen, in Peſt, Hunger, Waſſer- gefahr, Froſt, Anfall von andern großen und kleinen Thieren u. d. g. eben ſo wenig verſchont, wie jedes an- dere Thier: noch mehr aber, daß das Widerſinniſche der Naturanlagen ihn ſelbſt in ſelbſterſonnenen Pla- gen und noch andere von ſeiner eigenen Gattung, durch den Druck der Herrſchaft, die Barbarey der Kriege u. ſ. w. in ſolche Noth verſetzt und er ſelbſt, ſo viel an ihm iſt, an der Zerſtoͤrung ſeiner eigenen Gattung arbei- tet, daß ſelbſt bey der wohlthaͤtigſten Natur außer uns, der Zweck derſelben, wenn er auf die Gluͤckſeeligkeit un- ſerer Species geſtellet waͤre in einem Syſtem derſelben auf Erden nicht erreicht werden wuͤrde, weil die Natur in uns derſelben nicht empfaͤnglich iſt. Er iſt alſo immer nur Glied in der Kette der Naturzwecke, zwar Princip in Anſehung manches Zwecks, dazu die Natur ihn in ihrer Anlage beſtimmt zu haben ſcheint, indem er ſich ſelbſt dazu macht, aber doch auch Mittel zur Erhaltung der Zweckmaͤßigkeit im Mechanism der uͤbrigen Glieder. Als das einzige Weſen auf Erden das Verſtand, mithin Kants Crit. d. Urtheilekr B b
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
That ſein eigener letzter Naturzweck (nicht Zweck der
Freyheit) iſt, von ihm nie erreicht werden; denn ſeine
Natur iſt nicht von der Art, irgend wo im Beſitze und
Genuſſe aufzuhoͤren und befriedigt zu werden. Andrer-
ſeits iſt ſo weit gefehlt: daß die Natur ihn zu ihren be-
ſondern Liebling aufgenommen und vor allen Thieren
mit Wohlthnn beguͤnſtigt habe, daß ſie ihn vielmehr in
ihren verderblichen Wirkungen, in Peſt, Hunger, Waſſer-
gefahr, Froſt, Anfall von andern großen und kleinen
Thieren u. d. g. eben ſo wenig verſchont, wie jedes an-
dere Thier: noch mehr aber, daß das Widerſinniſche
der Naturanlagen ihn ſelbſt in ſelbſterſonnenen Pla-
gen und noch andere von ſeiner eigenen Gattung, durch
den Druck der Herrſchaft, die Barbarey der Kriege
u. ſ. w. in ſolche Noth verſetzt und er ſelbſt, ſo viel an
ihm iſt, an der Zerſtoͤrung ſeiner eigenen Gattung arbei-
tet, daß ſelbſt bey der wohlthaͤtigſten Natur außer uns,
der Zweck derſelben, wenn er auf die Gluͤckſeeligkeit un-
ſerer Species geſtellet waͤre in einem Syſtem derſelben
auf Erden nicht erreicht werden wuͤrde, weil die Natur
in uns derſelben nicht empfaͤnglich iſt. Er iſt alſo immer
nur Glied in der Kette der Naturzwecke, zwar Princip
in Anſehung manches Zwecks, dazu die Natur ihn in
ihrer Anlage beſtimmt zu haben ſcheint, indem er ſich
ſelbſt dazu macht, aber doch auch Mittel zur Erhaltung
der Zweckmaͤßigkeit im Mechanism der uͤbrigen Glieder.
Als das einzige Weſen auf Erden das Verſtand, mithin
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