Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
ligkeit, in Einstimmung mit der Sittlichkeit, zum End-
zwecke macht. Diesen nun, so viel (was die ersteren be-
trift) in unserem Vermögen ist, zu befördern, wird uns
durch das moralische Gesetz geboten; der Ausschlag, den
diese Bemühung hat, mag seyn welcher er wolle, die Er-
füllung der Pflicht besteht in der Form des ernstlichen
Willens, nicht in den Mittelursachen des Gelingens.

Gesetzt also: ein Mensch überredete sich, theils
durch die Schwäche aller so sehr gepriesenen speculati-
ven Argumente, theils durch manche in der Natur und
Sittenwelt ihm vorkommende Unregelmäßigkeiten be-
wogen, von dem Satze es sey kein Gott; so würde
er doch in seinen eigenen Augen ein Nichtswürdiger
seyn, wenn er darum die Gesetze der Pflicht für blos
eingebildet, ungültig, unverbindlich halten und ohnge-
scheut zu übertreten beschließen wollte. Ein solcher
würde auch alsdenn noch, wenn er sich in der Folge
von dem, was er anfangs bezweifelt hatte, überzeugen
könnte, mit jener Denkungsart doch immer ein Nichts-
würdiger bleiben, ob er gleich seine Pflicht, aber aus
Furcht, oder aus lohnsichtiger Absicht, ohne pflicht-
verehrende Gesinnung, der Wirkung uach so pünktlich,
wie es immer verlangt werden mag, erfüllte; und
umgekehrt, wenn er sie als Gläubiger seinem Be-
wustseyn nach aufrichtig und uneigennützig befolgt
und gleichwohl, so oft er zum Versuche den Fall setzt,
er könnte einmal überzeuget werden, es sey kein Gott,

D d 3

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
ligkeit, in Einſtimmung mit der Sittlichkeit, zum End-
zwecke macht. Dieſen nun, ſo viel (was die erſteren be-
trift) in unſerem Vermoͤgen iſt, zu befoͤrdern, wird uns
durch das moraliſche Geſetz geboten; der Ausſchlag, den
dieſe Bemuͤhung hat, mag ſeyn welcher er wolle, die Er-
fuͤllung der Pflicht beſteht in der Form des ernſtlichen
Willens, nicht in den Mittelurſachen des Gelingens.

Geſetzt alſo: ein Menſch uͤberredete ſich, theils
durch die Schwaͤche aller ſo ſehr geprieſenen ſpeculati-
ven Argumente, theils durch manche in der Natur und
Sittenwelt ihm vorkommende Unregelmaͤßigkeiten be-
wogen, von dem Satze es ſey kein Gott; ſo wuͤrde
er doch in ſeinen eigenen Augen ein Nichtswuͤrdiger
ſeyn, wenn er darum die Geſetze der Pflicht fuͤr blos
eingebildet, unguͤltig, unverbindlich halten und ohnge-
ſcheut zu uͤbertreten beſchließen wollte. Ein ſolcher
wuͤrde auch alsdenn noch, wenn er ſich in der Folge
von dem, was er anfangs bezweifelt hatte, uͤberzeugen
koͤnnte, mit jener Denkungsart doch immer ein Nichts-
wuͤrdiger bleiben, ob er gleich ſeine Pflicht, aber aus
Furcht, oder aus lohnſichtiger Abſicht, ohne pflicht-
verehrende Geſinnung, der Wirkung uach ſo puͤnktlich,
wie es immer verlangt werden mag, erfuͤllte; und
umgekehrt, wenn er ſie als Glaͤubiger ſeinem Be-
wuſtſeyn nach aufrichtig und uneigennuͤtzig befolgt
und gleichwohl, ſo oft er zum Verſuche den Fall ſetzt,
er koͤnnte einmal uͤberzeuget werden, es ſey kein Gott,

D d 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0485" n="421"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
ligkeit, in Ein&#x017F;timmung mit der Sittlichkeit, zum End-<lb/>
zwecke macht. Die&#x017F;en nun, &#x017F;o viel (was die er&#x017F;teren be-<lb/>
trift) in un&#x017F;erem Vermo&#x0364;gen i&#x017F;t, zu befo&#x0364;rdern, wird uns<lb/>
durch das morali&#x017F;che Ge&#x017F;etz geboten; der Aus&#x017F;chlag, den<lb/>
die&#x017F;e Bemu&#x0364;hung hat, mag &#x017F;eyn welcher er wolle, die Er-<lb/>
fu&#x0364;llung der Pflicht be&#x017F;teht in der Form des ern&#x017F;tlichen<lb/>
Willens, nicht in den Mittelur&#x017F;achen des Gelingens.</p><lb/>
              <p>Ge&#x017F;etzt al&#x017F;o: ein Men&#x017F;ch u&#x0364;berredete &#x017F;ich, theils<lb/>
durch die Schwa&#x0364;che aller &#x017F;o &#x017F;ehr geprie&#x017F;enen &#x017F;peculati-<lb/>
ven Argumente, theils durch manche in der Natur und<lb/>
Sittenwelt ihm vorkommende Unregelma&#x0364;ßigkeiten be-<lb/>
wogen, von dem Satze es &#x017F;ey kein Gott; &#x017F;o wu&#x0364;rde<lb/>
er doch in &#x017F;einen eigenen Augen ein Nichtswu&#x0364;rdiger<lb/>
&#x017F;eyn, wenn er darum die Ge&#x017F;etze der Pflicht fu&#x0364;r blos<lb/>
eingebildet, ungu&#x0364;ltig, unverbindlich halten und ohnge-<lb/>
&#x017F;cheut zu u&#x0364;bertreten be&#x017F;chließen wollte. Ein &#x017F;olcher<lb/>
wu&#x0364;rde auch alsdenn noch, wenn er &#x017F;ich in der Folge<lb/>
von dem, was er anfangs bezweifelt hatte, u&#x0364;berzeugen<lb/>
ko&#x0364;nnte, mit jener Denkungsart doch immer ein Nichts-<lb/>
wu&#x0364;rdiger bleiben, ob er gleich &#x017F;eine Pflicht, aber aus<lb/>
Furcht, oder aus lohn&#x017F;ichtiger Ab&#x017F;icht, ohne pflicht-<lb/>
verehrende Ge&#x017F;innung, der Wirkung uach &#x017F;o pu&#x0364;nktlich,<lb/>
wie es immer verlangt werden mag, erfu&#x0364;llte; und<lb/>
umgekehrt, wenn er &#x017F;ie als Gla&#x0364;ubiger &#x017F;einem Be-<lb/>
wu&#x017F;t&#x017F;eyn nach aufrichtig und uneigennu&#x0364;tzig befolgt<lb/>
und gleichwohl, &#x017F;o oft er zum Ver&#x017F;uche den Fall &#x017F;etzt,<lb/>
er ko&#x0364;nnte einmal u&#x0364;berzeuget werden, es &#x017F;ey kein Gott,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d 3</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[421/0485] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. ligkeit, in Einſtimmung mit der Sittlichkeit, zum End- zwecke macht. Dieſen nun, ſo viel (was die erſteren be- trift) in unſerem Vermoͤgen iſt, zu befoͤrdern, wird uns durch das moraliſche Geſetz geboten; der Ausſchlag, den dieſe Bemuͤhung hat, mag ſeyn welcher er wolle, die Er- fuͤllung der Pflicht beſteht in der Form des ernſtlichen Willens, nicht in den Mittelurſachen des Gelingens. Geſetzt alſo: ein Menſch uͤberredete ſich, theils durch die Schwaͤche aller ſo ſehr geprieſenen ſpeculati- ven Argumente, theils durch manche in der Natur und Sittenwelt ihm vorkommende Unregelmaͤßigkeiten be- wogen, von dem Satze es ſey kein Gott; ſo wuͤrde er doch in ſeinen eigenen Augen ein Nichtswuͤrdiger ſeyn, wenn er darum die Geſetze der Pflicht fuͤr blos eingebildet, unguͤltig, unverbindlich halten und ohnge- ſcheut zu uͤbertreten beſchließen wollte. Ein ſolcher wuͤrde auch alsdenn noch, wenn er ſich in der Folge von dem, was er anfangs bezweifelt hatte, uͤberzeugen koͤnnte, mit jener Denkungsart doch immer ein Nichts- wuͤrdiger bleiben, ob er gleich ſeine Pflicht, aber aus Furcht, oder aus lohnſichtiger Abſicht, ohne pflicht- verehrende Geſinnung, der Wirkung uach ſo puͤnktlich, wie es immer verlangt werden mag, erfuͤllte; und umgekehrt, wenn er ſie als Glaͤubiger ſeinem Be- wuſtſeyn nach aufrichtig und uneigennuͤtzig befolgt und gleichwohl, ſo oft er zum Verſuche den Fall ſetzt, er koͤnnte einmal uͤberzeuget werden, es ſey kein Gott, D d 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/485
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/485>, abgerufen am 16.07.2024.