Endzweck der Schöpfung allein von uns gedacht werden kann.
Es ist nun die Frage: ob die objektive Realität des Begrifs von einem Endzweck der Schöpfung nicht auch für die theoretische Forderungen der reinen Vernunft hin- reichend, wenn gleich nicht apodictisch, für die bestim- mende, doch hinreichend für die Maximen der theoretisch- reflectirenden Urtheilskraft könne dargethan werden. Dieses ist das mindeste, was man der speculativen Phi- losophie ansinnen kann, die den sittlichen Zweck mit den Naturzwecken vermittelst der Jdee eines einzigen Zwecks zu verbinden sich anheischig macht; aber auch dieses We- nige ist doch weit mehr, als sie je zn leisten vermag.
Nach dem Princip der theoretisch-reflectirenden Ur- theilskraft würden wir sagen: Wenn wir Grund haben, zu den zweckmäßigen Producten der Natur eine oberste Ursache der Natur anzunehmen, deren Caussalität in An- sehung der Wirklichkeit der letzteren (die Schöpfung) von anderer Art, als der zum Mechanism der Natur erfor- derlich ist, nämlich als die eines Verstandes gedacht wer- den mußte: so werden wir auch an diesem Urwesen nicht blos allenthalben in der Natur Zwecke, sondern auch ei- nen Endzweck zu denken hinreichenden Grund haben, wenn gleich nicht um das Daseyn eines solchen Wesens darzuthun, doch wenigstens (so wie es in der physischen Teleologie geschah) uns zu überzeugen, daß wir die Möglichkeit einer solchen Welt nicht blos nach Zwecken,
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
Endzweck der Schoͤpfung allein von uns gedacht werden kann.
Es iſt nun die Frage: ob die objektive Realitaͤt des Begrifs von einem Endzweck der Schoͤpfung nicht auch fuͤr die theoretiſche Forderungen der reinen Vernunft hin- reichend, wenn gleich nicht apodictiſch, fuͤr die beſtim- mende, doch hinreichend fuͤr die Maximen der theoretiſch- reflectirenden Urtheilskraft koͤnne dargethan werden. Dieſes iſt das mindeſte, was man der ſpeculativen Phi- loſophie anſinnen kann, die den ſittlichen Zweck mit den Naturzwecken vermittelſt der Jdee eines einzigen Zwecks zu verbinden ſich anheiſchig macht; aber auch dieſes We- nige iſt doch weit mehr, als ſie je zn leiſten vermag.
Nach dem Princip der theoretiſch-reflectirenden Ur- theilskraft wuͤrden wir ſagen: Wenn wir Grund haben, zu den zweckmaͤßigen Producten der Natur eine oberſte Urſache der Natur anzunehmen, deren Cauſſalitaͤt in An- ſehung der Wirklichkeit der letzteren (die Schoͤpfung) von anderer Art, als der zum Mechanism der Natur erfor- derlich iſt, naͤmlich als die eines Verſtandes gedacht wer- den mußte: ſo werden wir auch an dieſem Urweſen nicht blos allenthalben in der Natur Zwecke, ſondern auch ei- nen Endzweck zu denken hinreichenden Grund haben, wenn gleich nicht um das Daſeyn eines ſolchen Weſens darzuthun, doch wenigſtens (ſo wie es in der phyſiſchen Teleologie geſchah) uns zu uͤberzeugen, daß wir die Moͤglichkeit einer ſolchen Welt nicht blos nach Zwecken,
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
Endzweck der Schoͤpfung allein von uns gedacht werden
kann.
Es iſt nun die Frage: ob die objektive Realitaͤt des
Begrifs von einem Endzweck der Schoͤpfung nicht auch
fuͤr die theoretiſche Forderungen der reinen Vernunft hin-
reichend, wenn gleich nicht apodictiſch, fuͤr die beſtim-
mende, doch hinreichend fuͤr die Maximen der theoretiſch-
reflectirenden Urtheilskraft koͤnne dargethan werden.
Dieſes iſt das mindeſte, was man der ſpeculativen Phi-
loſophie anſinnen kann, die den ſittlichen Zweck mit den
Naturzwecken vermittelſt der Jdee eines einzigen Zwecks
zu verbinden ſich anheiſchig macht; aber auch dieſes We-
nige iſt doch weit mehr, als ſie je zn leiſten vermag.
Nach dem Princip der theoretiſch-reflectirenden Ur-
theilskraft wuͤrden wir ſagen: Wenn wir Grund haben,
zu den zweckmaͤßigen Producten der Natur eine oberſte
Urſache der Natur anzunehmen, deren Cauſſalitaͤt in An-
ſehung der Wirklichkeit der letzteren (die Schoͤpfung) von
anderer Art, als der zum Mechanism der Natur erfor-
derlich iſt, naͤmlich als die eines Verſtandes gedacht wer-
den mußte: ſo werden wir auch an dieſem Urweſen nicht
blos allenthalben in der Natur Zwecke, ſondern auch ei-
nen Endzweck zu denken hinreichenden Grund haben,
wenn gleich nicht um das Daſeyn eines ſolchen Weſens
darzuthun, doch wenigſtens (ſo wie es in der phyſiſchen
Teleologie geſchah) uns zu uͤberzeugen, daß wir die
Moͤglichkeit einer ſolchen Welt nicht blos nach Zwecken,
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/490>, abgerufen am 05.12.2024.
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