Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft. grenzen wolle; denn, wo jene Einsichten hergenommensind, eben daher können ja noch mehrere (wenn man nur, wie man meynt, sein Nachdenken anstrengte) er- wartet werden. Die Begrenzung solcher Ansprüche müßte doch nach einem gewissen Princip geschehen, nicht etwa blos aus dem Grunde, weil wir finden, daß alle Versuche mit denselben bisher fehlgeschlagen sind; denn das beweiset nichts wider die Möglichkeit eines besseren Ausschlags: hier aber ist kein Princip möglich, als ent- weder anzunehmen: daß in Ansehung des Uebersinn- lichen schlechterdings gar nichts theoretisch (als lediglich nur negativ) bestimmt werden könne, oder daß unsere Vernunft eine noch unbenutzte Fundgrube, zu wer weiß wie großen, für uns und unsere Nachkommen aufbe- wahrten erweiternden Kenntnissen, in sich enthalte. -- Was aber Religion betrift, d. i. die Moral in Beziehung auf Gott als Gesetzgeber, so muß, wenn die theore- tische Erkenntnis desselben vorhergehen müßte, die Moral sich nach der Theologie richten und, nicht allein, statt einer inneren nothwendigen Gesetzgebung der Vernunft eine äußere willkührliche eines obersten Wesens eingeführt, sondern auch in dieser alles, was unsere Einsicht in die Natur desselben Mangelhaftes hat, sich auch auf die sittliche Vorschrift erstrecken und so die Religion unmoralisch machen und verkehren. Jn Ansehung der Hofnung eines künftigen Le- II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. grenzen wolle; denn, wo jene Einſichten hergenommenſind, eben daher koͤnnen ja noch mehrere (wenn man nur, wie man meynt, ſein Nachdenken anſtrengte) er- wartet werden. Die Begrenzung ſolcher Anſpruͤche muͤßte doch nach einem gewiſſen Princip geſchehen, nicht etwa blos aus dem Grunde, weil wir finden, daß alle Verſuche mit denſelben bisher fehlgeſchlagen ſind; denn das beweiſet nichts wider die Moͤglichkeit eines beſſeren Ausſchlags: hier aber iſt kein Princip moͤglich, als ent- weder anzunehmen: daß in Anſehung des Ueberſinn- lichen ſchlechterdings gar nichts theoretiſch (als lediglich nur negativ) beſtimmt werden koͤnne, oder daß unſere Vernunft eine noch unbenutzte Fundgrube, zu wer weiß wie großen, fuͤr uns und unſere Nachkommen aufbe- wahrten erweiternden Kenntniſſen, in ſich enthalte. — Was aber Religion betrift, d. i. die Moral in Beziehung auf Gott als Geſetzgeber, ſo muß, wenn die theore- tiſche Erkenntnis deſſelben vorhergehen muͤßte, die Moral ſich nach der Theologie richten und, nicht allein, ſtatt einer inneren nothwendigen Geſetzgebung der Vernunft eine aͤußere willkuͤhrliche eines oberſten Weſens eingefuͤhrt, ſondern auch in dieſer alles, was unſere Einſicht in die Natur deſſelben Mangelhaftes hat, ſich auch auf die ſittliche Vorſchrift erſtrecken und ſo die Religion unmoraliſch machen und verkehren. Jn Anſehung der Hofnung eines kuͤnftigen Le- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0500" n="436"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/> grenzen wolle; denn, wo jene Einſichten hergenommen<lb/> ſind, eben daher koͤnnen ja noch mehrere (wenn man<lb/> nur, wie man meynt, ſein Nachdenken anſtrengte) er-<lb/> wartet werden. Die Begrenzung ſolcher Anſpruͤche<lb/> muͤßte doch nach einem gewiſſen Princip geſchehen, nicht<lb/> etwa blos aus dem Grunde, weil wir finden, daß alle<lb/> Verſuche mit denſelben bisher fehlgeſchlagen ſind; denn<lb/> das beweiſet nichts wider die Moͤglichkeit eines beſſeren<lb/> Ausſchlags: hier aber iſt kein Princip moͤglich, als ent-<lb/> weder anzunehmen: daß in Anſehung des Ueberſinn-<lb/> lichen ſchlechterdings gar nichts theoretiſch (als lediglich<lb/> nur negativ) beſtimmt werden koͤnne, oder daß unſere<lb/> Vernunft eine noch unbenutzte Fundgrube, zu wer weiß<lb/> wie großen, fuͤr uns und unſere Nachkommen aufbe-<lb/> wahrten erweiternden Kenntniſſen, in ſich enthalte. —<lb/> Was aber Religion betrift, d. i. die Moral in Beziehung<lb/> auf Gott als Geſetzgeber, ſo muß, wenn die theore-<lb/> tiſche Erkenntnis deſſelben vorhergehen muͤßte, die<lb/> Moral ſich nach der Theologie richten und, nicht<lb/> allein, ſtatt einer inneren nothwendigen Geſetzgebung<lb/> der Vernunft eine aͤußere willkuͤhrliche eines oberſten<lb/> Weſens eingefuͤhrt, ſondern auch in dieſer alles, was<lb/> unſere Einſicht in die Natur deſſelben Mangelhaftes<lb/> hat, ſich auch auf die ſittliche Vorſchrift erſtrecken und<lb/> ſo die Religion unmoraliſch machen und verkehren.</p><lb/> <p>Jn Anſehung der Hofnung eines kuͤnftigen Le-<lb/> bens, wenn wir, ſtatt des Endzwecks den wir, der<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [436/0500]
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
grenzen wolle; denn, wo jene Einſichten hergenommen
ſind, eben daher koͤnnen ja noch mehrere (wenn man
nur, wie man meynt, ſein Nachdenken anſtrengte) er-
wartet werden. Die Begrenzung ſolcher Anſpruͤche
muͤßte doch nach einem gewiſſen Princip geſchehen, nicht
etwa blos aus dem Grunde, weil wir finden, daß alle
Verſuche mit denſelben bisher fehlgeſchlagen ſind; denn
das beweiſet nichts wider die Moͤglichkeit eines beſſeren
Ausſchlags: hier aber iſt kein Princip moͤglich, als ent-
weder anzunehmen: daß in Anſehung des Ueberſinn-
lichen ſchlechterdings gar nichts theoretiſch (als lediglich
nur negativ) beſtimmt werden koͤnne, oder daß unſere
Vernunft eine noch unbenutzte Fundgrube, zu wer weiß
wie großen, fuͤr uns und unſere Nachkommen aufbe-
wahrten erweiternden Kenntniſſen, in ſich enthalte. —
Was aber Religion betrift, d. i. die Moral in Beziehung
auf Gott als Geſetzgeber, ſo muß, wenn die theore-
tiſche Erkenntnis deſſelben vorhergehen muͤßte, die
Moral ſich nach der Theologie richten und, nicht
allein, ſtatt einer inneren nothwendigen Geſetzgebung
der Vernunft eine aͤußere willkuͤhrliche eines oberſten
Weſens eingefuͤhrt, ſondern auch in dieſer alles, was
unſere Einſicht in die Natur deſſelben Mangelhaftes
hat, ſich auch auf die ſittliche Vorſchrift erſtrecken und
ſo die Religion unmoraliſch machen und verkehren.
Jn Anſehung der Hofnung eines kuͤnftigen Le-
bens, wenn wir, ſtatt des Endzwecks den wir, der
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