Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
deren Wesen als dem sinnlich bedingten Menschen ken-
nen) denken soll, liegt das Verbot, ihm diesen nicht in
der eigentlichen Bedeutung beyzulegen. *)

3) Meynen findet in Urtheilen a priori gar nicht
statt; sondern man erkennt durch sie entweder etwas als
ganz gewis, oder gar nichts. Wenn aber auch die gege-
bene Beweisgründe, von denen wir ausgehen, (wie hier
von den Zwecken in der Welt), empirisch sind, so kann
man mit diesen doch über die Sinnenwelt hinaus nichts
meynen, und solchen gewagten Urtheilen den mindesten
Anspruch auf Warscheinlichkeit zugestehen. Denn War-
scheinlichkeit ist ein Theil einer in einer gewissen Reihe
der Gründe möglichen Gewisheit (die Gründe derselben
werden darinn mit dem Zureichenden, als Theile mit
einem Ganzen, verglichen) zu welchen jener unzureichende
Grund muß ergänzt werden können. Weil sie aber als
Bestimmungsgründe der Gewisheit eines und desselben
Urtheils gleichartig seyn müssen, indem sie sonst nicht
zusammen eine Größe (dergleichen die Gewisheit ist)
ausmachen würden: so kann nicht ein Theil derselben
innerhalb den Grenzen möglicher Erfahrung, ein ande-
rer außerhalb aller möglichen Erfahrung liegen, mit-
hin, da blos-empirische Beweisgründe auf nichts Ueber-

*) Man vermißt dadurch nicht das Mindeste in der Vorstel-
lung der Verhältnisse dieses Wesens zur Welt, so wohl was
die theoretische als practische Folgerungen aus diesem Be-
griffe betrift. Was es an sich selbst sey erforschen zu wollen,
ist ein eben so zweckloser, als vergeblicher Vorwitz.

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
deren Weſen als dem ſinnlich bedingten Menſchen ken-
nen) denken ſoll, liegt das Verbot, ihm dieſen nicht in
der eigentlichen Bedeutung beyzulegen. *)

3) Meynen findet in Urtheilen a priori gar nicht
ſtatt; ſondern man erkennt durch ſie entweder etwas als
ganz gewis, oder gar nichts. Wenn aber auch die gege-
bene Beweisgruͤnde, von denen wir ausgehen, (wie hier
von den Zwecken in der Welt), empiriſch ſind, ſo kann
man mit dieſen doch uͤber die Sinnenwelt hinaus nichts
meynen, und ſolchen gewagten Urtheilen den mindeſten
Anſpruch auf Warſcheinlichkeit zugeſtehen. Denn War-
ſcheinlichkeit iſt ein Theil einer in einer gewiſſen Reihe
der Gruͤnde moͤglichen Gewisheit (die Gruͤnde derſelben
werden darinn mit dem Zureichenden, als Theile mit
einem Ganzen, verglichen) zu welchen jener unzureichende
Grund muß ergaͤnzt werden koͤnnen. Weil ſie aber als
Beſtimmungsgruͤnde der Gewisheit eines und deſſelben
Urtheils gleichartig ſeyn muͤſſen, indem ſie ſonſt nicht
zuſammen eine Groͤße (dergleichen die Gewisheit iſt)
ausmachen wuͤrden: ſo kann nicht ein Theil derſelben
innerhalb den Grenzen moͤglicher Erfahrung, ein ande-
rer außerhalb aller moͤglichen Erfahrung liegen, mit-
hin, da blos-empiriſche Beweisgruͤnde auf nichts Ueber-

*) Man vermißt dadurch nicht das Mindeſte in der Vorſtel-
lung der Verhaͤltniſſe dieſes Weſens zur Welt, ſo wohl was
die theoretiſche als practiſche Folgerungen aus dieſem Be-
griffe betrift. Was es an ſich ſelbſt ſey erforſchen zu wollen,
iſt ein eben ſo zweckloſer, als vergeblicher Vorwitz.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <list>
                <item>
                  <p><pb facs="#f0510" n="446"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
deren We&#x017F;en als dem &#x017F;innlich bedingten Men&#x017F;chen ken-<lb/>
nen) denken &#x017F;oll, liegt das Verbot, ihm die&#x017F;en nicht in<lb/>
der eigentlichen Bedeutung beyzulegen. <note place="foot" n="*)">Man vermißt dadurch nicht das Minde&#x017F;te in der Vor&#x017F;tel-<lb/>
lung der Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;es We&#x017F;ens zur Welt, &#x017F;o wohl was<lb/>
die theoreti&#x017F;che als practi&#x017F;che Folgerungen aus die&#x017F;em Be-<lb/>
griffe betrift. Was es an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ey erfor&#x017F;chen zu wollen,<lb/>
i&#x017F;t ein eben &#x017F;o zwecklo&#x017F;er, als vergeblicher Vorwitz.</note></p>
                </item><lb/>
                <item>
                  <p>3) <hi rendition="#fr">Meynen</hi> findet in Urtheilen <hi rendition="#aq">a priori</hi> gar nicht<lb/>
&#x017F;tatt; &#x017F;ondern man erkennt durch &#x017F;ie entweder etwas als<lb/>
ganz gewis, oder gar nichts. Wenn aber auch die gege-<lb/>
bene Beweisgru&#x0364;nde, von denen wir ausgehen, (wie hier<lb/>
von den Zwecken in der Welt), empiri&#x017F;ch &#x017F;ind, &#x017F;o kann<lb/>
man mit die&#x017F;en doch u&#x0364;ber die Sinnenwelt hinaus nichts<lb/>
meynen, und &#x017F;olchen gewagten Urtheilen den minde&#x017F;ten<lb/>
An&#x017F;pruch auf War&#x017F;cheinlichkeit zuge&#x017F;tehen. Denn War-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit i&#x017F;t ein Theil einer in einer gewi&#x017F;&#x017F;en Reihe<lb/>
der Gru&#x0364;nde mo&#x0364;glichen Gewisheit (die Gru&#x0364;nde der&#x017F;elben<lb/>
werden darinn mit dem Zureichenden, als Theile mit<lb/>
einem Ganzen, verglichen) zu welchen jener unzureichende<lb/>
Grund muß erga&#x0364;nzt werden ko&#x0364;nnen. Weil &#x017F;ie aber als<lb/>
Be&#x017F;timmungsgru&#x0364;nde der Gewisheit eines und de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
Urtheils gleichartig &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, indem &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t nicht<lb/>
zu&#x017F;ammen eine Gro&#x0364;ße (dergleichen die Gewisheit i&#x017F;t)<lb/>
ausmachen wu&#x0364;rden: &#x017F;o kann nicht ein Theil der&#x017F;elben<lb/>
innerhalb den Grenzen mo&#x0364;glicher Erfahrung, ein ande-<lb/>
rer außerhalb aller mo&#x0364;glichen Erfahrung liegen, mit-<lb/>
hin, da blos-empiri&#x017F;che Beweisgru&#x0364;nde auf nichts Ueber-<lb/></p>
                </item>
              </list>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[446/0510] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. deren Weſen als dem ſinnlich bedingten Menſchen ken- nen) denken ſoll, liegt das Verbot, ihm dieſen nicht in der eigentlichen Bedeutung beyzulegen. *) 3) Meynen findet in Urtheilen a priori gar nicht ſtatt; ſondern man erkennt durch ſie entweder etwas als ganz gewis, oder gar nichts. Wenn aber auch die gege- bene Beweisgruͤnde, von denen wir ausgehen, (wie hier von den Zwecken in der Welt), empiriſch ſind, ſo kann man mit dieſen doch uͤber die Sinnenwelt hinaus nichts meynen, und ſolchen gewagten Urtheilen den mindeſten Anſpruch auf Warſcheinlichkeit zugeſtehen. Denn War- ſcheinlichkeit iſt ein Theil einer in einer gewiſſen Reihe der Gruͤnde moͤglichen Gewisheit (die Gruͤnde derſelben werden darinn mit dem Zureichenden, als Theile mit einem Ganzen, verglichen) zu welchen jener unzureichende Grund muß ergaͤnzt werden koͤnnen. Weil ſie aber als Beſtimmungsgruͤnde der Gewisheit eines und deſſelben Urtheils gleichartig ſeyn muͤſſen, indem ſie ſonſt nicht zuſammen eine Groͤße (dergleichen die Gewisheit iſt) ausmachen wuͤrden: ſo kann nicht ein Theil derſelben innerhalb den Grenzen moͤglicher Erfahrung, ein ande- rer außerhalb aller moͤglichen Erfahrung liegen, mit- hin, da blos-empiriſche Beweisgruͤnde auf nichts Ueber- *) Man vermißt dadurch nicht das Mindeſte in der Vorſtel- lung der Verhaͤltniſſe dieſes Weſens zur Welt, ſo wohl was die theoretiſche als practiſche Folgerungen aus dieſem Be- griffe betrift. Was es an ſich ſelbſt ſey erforſchen zu wollen, iſt ein eben ſo zweckloſer, als vergeblicher Vorwitz.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/510
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/510>, abgerufen am 04.12.2024.