Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
Gegenstand Thatsache ist und unter die scibilia mit ge-
rechnet werden muß.

3) Gegenstände, die in Beziehung auf den pflicht-
mäßigen Gebrauch der reinen practischen Vernunft (es
sey als Folgen, oder als Gründe), a priori gedacht wer-
den müssen, aber für den theoretischen Gebrauch dersel-
ben überschwenglich sind, sind bloße Glaubenssachen.
Dergleichen ist das höchste durch Freyheit zu bewirkende
Gut in der Welt; dessen Begrif in keiner für uns mög-
lichen Erfahrung, mithin für den theoretischen Vernunft-
gebrauch hinreichend, seiner objectiven Realität nach be-
wiesen werden kann, aber doch durch practische reine Ver-
nunft geboten ist, und mithin als möglich angenommen
werden muß. Diese gebotene Wirkung ist, zusammt
den einzigen für uns denkbaren Bedingungen
ihrer Möglichkeit
, nämlich dem Daseyn Gottes und
der Seelen - Unsterblichkeit, Glaubenssachen (res
Fidei)
und zwar die einzigen unter allen Gegenständen,
die sogenannt werden können. *) Denn, ob von uns

*) Glaubenssachen sind aber darum nicht Glaubensartikel;
wenn man unter den letzteren solche Glaubenssachen versteht,
zu deren Bekenntnis (inneren oder äußeren) man verpflichtet
werden kann: dergleichen also die natürliche Theologie
nicht enthält. Denn da sie, als Glaubenssachen fürwarhal-
ten (gleich den Thatsachen) auf theoretische Beweise nicht
gründen können, so ist es ein freyes Fürwarhalten und auch
nur als ein solches mit der Moralität des Subjects ver-
einbar.

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
Gegenſtand Thatſache iſt und unter die ſcibilia mit ge-
rechnet werden muß.

3) Gegenſtaͤnde, die in Beziehung auf den pflicht-
maͤßigen Gebrauch der reinen practiſchen Vernunft (es
ſey als Folgen, oder als Gruͤnde), a priori gedacht wer-
den muͤſſen, aber fuͤr den theoretiſchen Gebrauch derſel-
ben uͤberſchwenglich ſind, ſind bloße Glaubensſachen.
Dergleichen iſt das hoͤchſte durch Freyheit zu bewirkende
Gut in der Welt; deſſen Begrif in keiner fuͤr uns moͤg-
lichen Erfahrung, mithin fuͤr den theoretiſchen Vernunft-
gebrauch hinreichend, ſeiner objectiven Realitaͤt nach be-
wieſen werden kann, aber doch durch practiſche reine Ver-
nunft geboten iſt, und mithin als moͤglich angenommen
werden muß. Dieſe gebotene Wirkung iſt, zuſammt
den einzigen fuͤr uns denkbaren Bedingungen
ihrer Moͤglichkeit
, naͤmlich dem Daſeyn Gottes und
der Seelen - Unſterblichkeit, Glaubensſachen (res
Fidei)
und zwar die einzigen unter allen Gegenſtaͤnden,
die ſogenannt werden koͤnnen. *) Denn, ob von uns

*) Glaubensſachen ſind aber darum nicht Glaubensartikel;
wenn man unter den letzteren ſolche Glaubensſachen verſteht,
zu deren Bekenntnis (inneren oder aͤußeren) man verpflichtet
werden kann: dergleichen alſo die natuͤrliche Theologie
nicht enthaͤlt. Denn da ſie, als Glaubensſachen fuͤrwarhal-
ten (gleich den Thatſachen) auf theoretiſche Beweiſe nicht
gruͤnden koͤnnen, ſo iſt es ein freyes Fuͤrwarhalten und auch
nur als ein ſolches mit der Moralitaͤt des Subjects ver-
einbar.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0516" n="452"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
Gegen&#x017F;tand That&#x017F;ache i&#x017F;t und unter die <hi rendition="#aq">&#x017F;cibilia</hi> mit ge-<lb/>
rechnet werden muß.</p><lb/>
              <p>3) Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, die in Beziehung auf den pflicht-<lb/>
ma&#x0364;ßigen Gebrauch der reinen practi&#x017F;chen Vernunft (es<lb/>
&#x017F;ey als Folgen, oder als Gru&#x0364;nde), <hi rendition="#aq">a priori</hi> gedacht wer-<lb/>
den mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, aber fu&#x0364;r den theoreti&#x017F;chen Gebrauch der&#x017F;el-<lb/>
ben u&#x0364;ber&#x017F;chwenglich &#x017F;ind, &#x017F;ind bloße <hi rendition="#fr">Glaubens&#x017F;achen</hi>.<lb/>
Dergleichen i&#x017F;t das <hi rendition="#fr">ho&#x0364;ch&#x017F;te</hi> durch Freyheit zu bewirkende<lb/><hi rendition="#fr">Gut</hi> in der Welt; de&#x017F;&#x017F;en Begrif in keiner fu&#x0364;r uns mo&#x0364;g-<lb/>
lichen Erfahrung, mithin fu&#x0364;r den theoreti&#x017F;chen Vernunft-<lb/>
gebrauch hinreichend, &#x017F;einer objectiven Realita&#x0364;t nach be-<lb/>
wie&#x017F;en werden kann, aber doch durch practi&#x017F;che reine Ver-<lb/>
nunft geboten i&#x017F;t, und mithin als mo&#x0364;glich angenommen<lb/>
werden muß. Die&#x017F;e gebotene Wirkung i&#x017F;t, <hi rendition="#fr">zu&#x017F;ammt<lb/>
den einzigen fu&#x0364;r uns denkbaren Bedingungen<lb/>
ihrer Mo&#x0364;glichkeit</hi>, na&#x0364;mlich dem Da&#x017F;eyn Gottes und<lb/>
der Seelen - Un&#x017F;terblichkeit, <hi rendition="#fr">Glaubens&#x017F;achen</hi> <hi rendition="#aq">(res<lb/>
Fidei)</hi> und zwar die einzigen unter allen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden,<lb/>
die &#x017F;ogenannt werden ko&#x0364;nnen. <note place="foot" n="*)">Glaubens&#x017F;achen &#x017F;ind aber darum nicht <hi rendition="#fr">Glaubensartikel</hi>;<lb/>
wenn man unter den letzteren &#x017F;olche Glaubens&#x017F;achen ver&#x017F;teht,<lb/>
zu deren <hi rendition="#fr">Bekenntnis</hi> (inneren oder a&#x0364;ußeren) man verpflichtet<lb/>
werden kann: dergleichen al&#x017F;o die natu&#x0364;rliche Theologie<lb/>
nicht entha&#x0364;lt. Denn da &#x017F;ie, als Glaubens&#x017F;achen fu&#x0364;rwarhal-<lb/>
ten (gleich den That&#x017F;achen) auf theoreti&#x017F;che Bewei&#x017F;e nicht<lb/>
gru&#x0364;nden ko&#x0364;nnen, &#x017F;o i&#x017F;t es ein freyes Fu&#x0364;rwarhalten und auch<lb/>
nur als ein &#x017F;olches mit der Moralita&#x0364;t des Subjects ver-<lb/>
einbar.</note> Denn, ob von uns<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[452/0516] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. Gegenſtand Thatſache iſt und unter die ſcibilia mit ge- rechnet werden muß. 3) Gegenſtaͤnde, die in Beziehung auf den pflicht- maͤßigen Gebrauch der reinen practiſchen Vernunft (es ſey als Folgen, oder als Gruͤnde), a priori gedacht wer- den muͤſſen, aber fuͤr den theoretiſchen Gebrauch derſel- ben uͤberſchwenglich ſind, ſind bloße Glaubensſachen. Dergleichen iſt das hoͤchſte durch Freyheit zu bewirkende Gut in der Welt; deſſen Begrif in keiner fuͤr uns moͤg- lichen Erfahrung, mithin fuͤr den theoretiſchen Vernunft- gebrauch hinreichend, ſeiner objectiven Realitaͤt nach be- wieſen werden kann, aber doch durch practiſche reine Ver- nunft geboten iſt, und mithin als moͤglich angenommen werden muß. Dieſe gebotene Wirkung iſt, zuſammt den einzigen fuͤr uns denkbaren Bedingungen ihrer Moͤglichkeit, naͤmlich dem Daſeyn Gottes und der Seelen - Unſterblichkeit, Glaubensſachen (res Fidei) und zwar die einzigen unter allen Gegenſtaͤnden, die ſogenannt werden koͤnnen. *) Denn, ob von uns *) Glaubensſachen ſind aber darum nicht Glaubensartikel; wenn man unter den letzteren ſolche Glaubensſachen verſteht, zu deren Bekenntnis (inneren oder aͤußeren) man verpflichtet werden kann: dergleichen alſo die natuͤrliche Theologie nicht enthaͤlt. Denn da ſie, als Glaubensſachen fuͤrwarhal- ten (gleich den Thatſachen) auf theoretiſche Beweiſe nicht gruͤnden koͤnnen, ſo iſt es ein freyes Fuͤrwarhalten und auch nur als ein ſolches mit der Moralitaͤt des Subjects ver- einbar.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/516
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/516>, abgerufen am 04.12.2024.