Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
gleich, was wir nur von der Erfahrung anderer durch
Zeugnis lernen können, geglaubt werden muß, so ist
es darum doch noch nicht an sich Glaubenssache; denn
bey jener Zeugen einem war es doch eigene Erfahrung
und Thatsache oder wird als solche vorausgesetzt. Zu
dem muß es möglich seyn durch diesen Weg (des histori-
schen Glaubens) zum Wissen zu gelangen und die Objecte
der Geschichte, wie alles überhaupt was zu wissen nach
der Beschaffenheit unserer Erkenntnisvermögen wenig-
stens möglich ist, gehören nicht zu Glaubenssachen, son-
dern zu Thatsachen. Nur Gegenstände der reinen Ver-
nunft können allenfalls Glaubenssachen seyn, aber nicht
als Gegenstände der bloßen reinen speculativen Vernunft,
denn da können sie gar nicht einmal mit Sicherheit zu
den Sachen, d. i. Objecten jenes für uns möglichen Er-
kenntnisses gezählt werden. Es sind Jdeen, d. i. Be-
griffe, denen man die objective Realität theoretisch nicht
sichern kann. Dagegen ist der von uns zu bewirkende
höchste Endzweck, das wodurch wir allein würdig werden
können selbst Endzweck einer Schöpfung zu seyn, eine
Jdee, die für uns in practischer Beziehung objective Re-
alität hat und Sache, aber darum, weil wir diesem Be-
griffe in theoretischer Absicht diese Realität nicht verschaf-
fen können, bloße Glaubenssache der reinen Vernunft,
mit ihm aber zugleich Gott und Unsterblichkeit, als die
Bedingungen, unter denen allein wir nach der Beschaf-
fenheit unserer (der menschlichen) Vernunft, uns die

F f 3

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
gleich, was wir nur von der Erfahrung anderer durch
Zeugnis lernen koͤnnen, geglaubt werden muß, ſo iſt
es darum doch noch nicht an ſich Glaubensſache; denn
bey jener Zeugen einem war es doch eigene Erfahrung
und Thatſache oder wird als ſolche vorausgeſetzt. Zu
dem muß es moͤglich ſeyn durch dieſen Weg (des hiſtori-
ſchen Glaubens) zum Wiſſen zu gelangen und die Objecte
der Geſchichte, wie alles uͤberhaupt was zu wiſſen nach
der Beſchaffenheit unſerer Erkenntnisvermoͤgen wenig-
ſtens moͤglich iſt, gehoͤren nicht zu Glaubensſachen, ſon-
dern zu Thatſachen. Nur Gegenſtaͤnde der reinen Ver-
nunft koͤnnen allenfalls Glaubensſachen ſeyn, aber nicht
als Gegenſtaͤnde der bloßen reinen ſpeculativen Vernunft,
denn da koͤnnen ſie gar nicht einmal mit Sicherheit zu
den Sachen, d. i. Objecten jenes fuͤr uns moͤglichen Er-
kenntniſſes gezaͤhlt werden. Es ſind Jdeen, d. i. Be-
griffe, denen man die objective Realitaͤt theoretiſch nicht
ſichern kann. Dagegen iſt der von uns zu bewirkende
hoͤchſte Endzweck, das wodurch wir allein wuͤrdig werden
koͤnnen ſelbſt Endzweck einer Schoͤpfung zu ſeyn, eine
Jdee, die fuͤr uns in practiſcher Beziehung objective Re-
alitaͤt hat und Sache, aber darum, weil wir dieſem Be-
griffe in theoretiſcher Abſicht dieſe Realitaͤt nicht verſchaf-
fen koͤnnen, bloße Glaubensſache der reinen Vernunft,
mit ihm aber zugleich Gott und Unſterblichkeit, als die
Bedingungen, unter denen allein wir nach der Beſchaf-
fenheit unſerer (der menſchlichen) Vernunft, uns die

F f 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0517" n="453"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
gleich, was wir nur von der Erfahrung anderer durch<lb/><hi rendition="#fr">Zeugnis</hi> lernen ko&#x0364;nnen, geglaubt werden muß, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
es darum doch noch nicht an &#x017F;ich Glaubens&#x017F;ache; denn<lb/>
bey jener Zeugen <hi rendition="#fr">einem</hi> war es doch eigene Erfahrung<lb/>
und That&#x017F;ache oder wird als &#x017F;olche vorausge&#x017F;etzt. Zu<lb/>
dem muß es mo&#x0364;glich &#x017F;eyn durch die&#x017F;en Weg (des hi&#x017F;tori-<lb/>
&#x017F;chen Glaubens) zum Wi&#x017F;&#x017F;en zu gelangen und die Objecte<lb/>
der Ge&#x017F;chichte, wie alles u&#x0364;berhaupt was zu wi&#x017F;&#x017F;en nach<lb/>
der Be&#x017F;chaffenheit un&#x017F;erer Erkenntnisvermo&#x0364;gen wenig-<lb/>
&#x017F;tens mo&#x0364;glich i&#x017F;t, geho&#x0364;ren nicht zu Glaubens&#x017F;achen, &#x017F;on-<lb/>
dern zu That&#x017F;achen. Nur Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der reinen Ver-<lb/>
nunft ko&#x0364;nnen allenfalls Glaubens&#x017F;achen &#x017F;eyn, aber nicht<lb/>
als Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der bloßen reinen &#x017F;peculativen Vernunft,<lb/>
denn da ko&#x0364;nnen &#x017F;ie gar nicht einmal mit Sicherheit zu<lb/>
den Sachen, d. i. Objecten jenes fu&#x0364;r uns mo&#x0364;glichen Er-<lb/>
kenntni&#x017F;&#x017F;es geza&#x0364;hlt werden. Es &#x017F;ind Jdeen, d. i. Be-<lb/>
griffe, denen man die objective Realita&#x0364;t theoreti&#x017F;ch nicht<lb/>
&#x017F;ichern kann. Dagegen i&#x017F;t der von uns zu bewirkende<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;te Endzweck, das wodurch wir allein wu&#x0364;rdig werden<lb/>
ko&#x0364;nnen &#x017F;elb&#x017F;t Endzweck einer Scho&#x0364;pfung zu &#x017F;eyn, eine<lb/>
Jdee, die fu&#x0364;r uns in practi&#x017F;cher Beziehung objective Re-<lb/>
alita&#x0364;t hat und Sache, aber darum, weil wir die&#x017F;em Be-<lb/>
griffe in theoreti&#x017F;cher Ab&#x017F;icht die&#x017F;e Realita&#x0364;t nicht ver&#x017F;chaf-<lb/>
fen ko&#x0364;nnen, bloße Glaubens&#x017F;ache der reinen Vernunft,<lb/>
mit ihm aber zugleich Gott und Un&#x017F;terblichkeit, als die<lb/>
Bedingungen, unter denen allein wir nach der Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheit un&#x017F;erer (der men&#x017F;chlichen) Vernunft, uns die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F f 3</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453/0517] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. gleich, was wir nur von der Erfahrung anderer durch Zeugnis lernen koͤnnen, geglaubt werden muß, ſo iſt es darum doch noch nicht an ſich Glaubensſache; denn bey jener Zeugen einem war es doch eigene Erfahrung und Thatſache oder wird als ſolche vorausgeſetzt. Zu dem muß es moͤglich ſeyn durch dieſen Weg (des hiſtori- ſchen Glaubens) zum Wiſſen zu gelangen und die Objecte der Geſchichte, wie alles uͤberhaupt was zu wiſſen nach der Beſchaffenheit unſerer Erkenntnisvermoͤgen wenig- ſtens moͤglich iſt, gehoͤren nicht zu Glaubensſachen, ſon- dern zu Thatſachen. Nur Gegenſtaͤnde der reinen Ver- nunft koͤnnen allenfalls Glaubensſachen ſeyn, aber nicht als Gegenſtaͤnde der bloßen reinen ſpeculativen Vernunft, denn da koͤnnen ſie gar nicht einmal mit Sicherheit zu den Sachen, d. i. Objecten jenes fuͤr uns moͤglichen Er- kenntniſſes gezaͤhlt werden. Es ſind Jdeen, d. i. Be- griffe, denen man die objective Realitaͤt theoretiſch nicht ſichern kann. Dagegen iſt der von uns zu bewirkende hoͤchſte Endzweck, das wodurch wir allein wuͤrdig werden koͤnnen ſelbſt Endzweck einer Schoͤpfung zu ſeyn, eine Jdee, die fuͤr uns in practiſcher Beziehung objective Re- alitaͤt hat und Sache, aber darum, weil wir dieſem Be- griffe in theoretiſcher Abſicht dieſe Realitaͤt nicht verſchaf- fen koͤnnen, bloße Glaubensſache der reinen Vernunft, mit ihm aber zugleich Gott und Unſterblichkeit, als die Bedingungen, unter denen allein wir nach der Beſchaf- fenheit unſerer (der menſchlichen) Vernunft, uns die F f 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/517
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/517>, abgerufen am 04.12.2024.