Möglichkeit jenes Effects des gesetzmäßigen Gebrauchs unserer Freyheit denken könuen. Das Fürwarhalten aber in Glaubenssachen ist ein Fürwarhalten in reiner practi- scher Absicht, d.i. ein moralischer Glaube, der nichts für das theoretische, sondern blos für das practische, auf Befol- gung seiner Pflichten gerichtete reine Vernunfterkenntnis, beweiset und die Speculation gar nicht erweitert. Wenn das oberste Princip aller Sittengesetze ein Postulat ist, so wird zugleich die Möglichkeit ihres höchsten Objects, mithin auch die Bedingung, unter der wir diese Mög- lichkeit denken können, dadurch zugleich mit postulirt. Dadurch wird nun das Erkenntnis der letzteren weder Wissen noch Meynung von dem Daseyn und der Be- schaffenheit dieser Bedingungen, als theoretische Erkennt- nisart, sondern blos Annahme, in practischer und da- zu gebotener Beziehung für den moralischen Gebrauch un- serer Vernunft.
Würden wir auch auf die Zwecke der Natur, den uns die physische Teleologie in so reichem Maaße vor- legt, einen bestimmten Begrif von einer verständigen Weltursache scheinbar gründen können, so wäre das Da- seyn dieses Wesens doch nicht Glaubenssache. Denn da dieses nicht zum Behuf der Erfüllung meiner Pflicht, sondern nur zur Erklärung der Natur angenommen wird, so würde es blos die unserer Vernunft ange- messenste Meynung und Hypothese seyn. Nun führt
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
Moͤglichkeit jenes Effects des geſetzmaͤßigen Gebrauchs unſerer Freyheit denken koͤnuen. Das Fuͤrwarhalten aber in Glaubensſachen iſt ein Fuͤrwarhalten in reiner practi- ſcher Abſicht, d.i. ein moraliſcher Glaube, der nichts fuͤr das theoretiſche, ſondern blos fuͤr das practiſche, auf Befol- gung ſeiner Pflichten gerichtete reine Vernunfterkenntnis, beweiſet und die Speculation gar nicht erweitert. Wenn das oberſte Princip aller Sittengeſetze ein Poſtulat iſt, ſo wird zugleich die Moͤglichkeit ihres hoͤchſten Objects, mithin auch die Bedingung, unter der wir dieſe Moͤg- lichkeit denken koͤnnen, dadurch zugleich mit poſtulirt. Dadurch wird nun das Erkenntnis der letzteren weder Wiſſen noch Meynung von dem Daſeyn und der Be- ſchaffenheit dieſer Bedingungen, als theoretiſche Erkennt- nisart, ſondern blos Annahme, in practiſcher und da- zu gebotener Beziehung fuͤr den moraliſchen Gebrauch un- ſerer Vernunft.
Wuͤrden wir auch auf die Zwecke der Natur, den uns die phyſiſche Teleologie in ſo reichem Maaße vor- legt, einen beſtimmten Begrif von einer verſtaͤndigen Welturſache ſcheinbar gruͤnden koͤnnen, ſo waͤre das Da- ſeyn dieſes Weſens doch nicht Glaubensſache. Denn da dieſes nicht zum Behuf der Erfuͤllung meiner Pflicht, ſondern nur zur Erklaͤrung der Natur angenommen wird, ſo wuͤrde es blos die unſerer Vernunft ange- meſſenſte Meynung und Hypotheſe ſeyn. Nun fuͤhrt
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
Moͤglichkeit jenes Effects des geſetzmaͤßigen Gebrauchs
unſerer Freyheit denken koͤnuen. Das Fuͤrwarhalten aber
in Glaubensſachen iſt ein Fuͤrwarhalten in reiner practi-
ſcher Abſicht, d.i. ein moraliſcher Glaube, der nichts fuͤr das
theoretiſche, ſondern blos fuͤr das practiſche, auf Befol-
gung ſeiner Pflichten gerichtete reine Vernunfterkenntnis,
beweiſet und die Speculation gar nicht erweitert. Wenn
das oberſte Princip aller Sittengeſetze ein Poſtulat iſt,
ſo wird zugleich die Moͤglichkeit ihres hoͤchſten Objects,
mithin auch die Bedingung, unter der wir dieſe Moͤg-
lichkeit denken koͤnnen, dadurch zugleich mit poſtulirt.
Dadurch wird nun das Erkenntnis der letzteren weder
Wiſſen noch Meynung von dem Daſeyn und der Be-
ſchaffenheit dieſer Bedingungen, als theoretiſche Erkennt-
nisart, ſondern blos Annahme, in practiſcher und da-
zu gebotener Beziehung fuͤr den moraliſchen Gebrauch un-
ſerer Vernunft.
Wuͤrden wir auch auf die Zwecke der Natur, den
uns die phyſiſche Teleologie in ſo reichem Maaße vor-
legt, einen beſtimmten Begrif von einer verſtaͤndigen
Welturſache ſcheinbar gruͤnden koͤnnen, ſo waͤre das Da-
ſeyn dieſes Weſens doch nicht Glaubensſache. Denn
da dieſes nicht zum Behuf der Erfuͤllung meiner Pflicht,
ſondern nur zur Erklaͤrung der Natur angenommen
wird, ſo wuͤrde es blos die unſerer Vernunft ange-
meſſenſte Meynung und Hypotheſe ſeyn. Nun fuͤhrt
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/518>, abgerufen am 16.07.2024.
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