Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
sonst gar keinen Begrif von bloßen Daseyn als einer Größe,
d. i. als Dauer, machen können, oder die göttliche Allgegen-
wart als Daseyn in allen Orten zu denken, um die unmittel-
bare Gegenwart für Dinge ausser einander uns faslich zu
machen, ohne gleichwohl eine dieser Bestimmungen Gott,
als etwas an ihm Erkanntes, beylegen zu dürfen). Wenn
ich die Caussalität des Menschen in Ansehung gewisser Pro-
ducte, welche mir durch absichtliche Zweckmäßigkeit erklärlich
sind, dadurch bestimme, daß ich sie als einen Verstand dessel-
ben denke, so brauche ich nicht dabey stehen zu bleiben, son-
dern kan ihm dieses Prädicat als wohlbekannte Eigen-
schaft desselben beylegen und ihn dadurch erkennen. Denn ich
weiß, daß Anschauungen den Sinnen des Menschen gegeben,
und durch den Verstand unter einen Begrif und hiemit unter
eine Regel gebracht werden: daß dieser Begrif nur das ge-
meinsame Merkmal (mit Weglassung des Besondern) enthalte
und also discursiv sey: daß die Regeln, umgegebene Vorstel-
lungen unter ein Bewustseyn überhaupt zu bringen, von ihm
noch vor jenen Anschauungen gegeben werden u. s. w. und
lege also diese Eigenschaft dem Menschen bey als eine solche,
wodurch ich ihn erkenne. Will ich nun aber ein übersinnli-
ches Wesen (Gott) als Jntelligenz denken, so ist dieses in
gewisser Rücksicht meines Vernunftgebrauchs nicht allein er-
laubt, sondern auch unvermeidlich, aber ihm Verstand bey-
zulegen und es dadurch als einer Eigenschaft desselben er-
kennen
zu können sich schmeicheln ist keinesweges erlaubt;
weil ich alsdann alle jene Bedingungen, unter denen ich al-
lein einen Verstand kenne, weglassen muß, mithin das Prä-
dicat das nur zur Bestimmung des Menschen dient, auf ein
übersinnliches Object gar nicht bezogen werden kann und also
durch eine so bestimmte Caussalität, was Gott sey, gar nicht
erkannt werden kan; und so gehts mit allen Categorien, die
gar keine Bedeutung zum Erkenntnis in thoretischer Rücksicht

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
ſonſt gar keinen Begrif von bloßen Daſeyn als einer Groͤße,
d. i. als Dauer, machen koͤnnen, oder die goͤttliche Allgegen-
wart als Daſeyn in allen Orten zu denken, um die unmittel-
bare Gegenwart fuͤr Dinge auſſer einander uns faslich zu
machen, ohne gleichwohl eine dieſer Beſtimmungen Gott,
als etwas an ihm Erkanntes, beylegen zu duͤrfen). Wenn
ich die Cauſſalitaͤt des Menſchen in Anſehung gewiſſer Pro-
ducte, welche mir durch abſichtliche Zweckmaͤßigkeit erklaͤrlich
ſind, dadurch beſtimme, daß ich ſie als einen Verſtand deſſel-
ben denke, ſo brauche ich nicht dabey ſtehen zu bleiben, ſon-
dern kan ihm dieſes Praͤdicat als wohlbekannte Eigen-
ſchaft deſſelben beylegen und ihn dadurch erkennen. Denn ich
weiß, daß Anſchauungen den Sinnen des Menſchen gegeben,
und durch den Verſtand unter einen Begrif und hiemit unter
eine Regel gebracht werden: daß dieſer Begrif nur das ge-
meinſame Merkmal (mit Weglaſſung des Beſondern) enthalte
und alſo discurſiv ſey: daß die Regeln, umgegebene Vorſtel-
lungen unter ein Bewuſtſeyn uͤberhaupt zu bringen, von ihm
noch vor jenen Anſchauungen gegeben werden u. ſ. w. und
lege alſo dieſe Eigenſchaft dem Menſchen bey als eine ſolche,
wodurch ich ihn erkenne. Will ich nun aber ein uͤberſinnli-
ches Weſen (Gott) als Jntelligenz denken, ſo iſt dieſes in
gewiſſer Ruͤckſicht meines Vernunftgebrauchs nicht allein er-
laubt, ſondern auch unvermeidlich, aber ihm Verſtand bey-
zulegen und es dadurch als einer Eigenſchaft deſſelben er-
kennen
zu koͤnnen ſich ſchmeicheln iſt keinesweges erlaubt;
weil ich alsdann alle jene Bedingungen, unter denen ich al-
lein einen Verſtand kenne, weglaſſen muß, mithin das Praͤ-
dicat das nur zur Beſtimmung des Menſchen dient, auf ein
uͤberſinnliches Object gar nicht bezogen werden kann und alſo
durch eine ſo beſtimmte Cauſſalitaͤt, was Gott ſey, gar nicht
erkannt werden kan; und ſo gehts mit allen Categorien, die
gar keine Bedeutung zum Erkenntnis in thoretiſcher Ruͤckſicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0539" n="475"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. Critik der teleologi&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
&#x017F;on&#x017F;t gar keinen Begrif von bloßen Da&#x017F;eyn als einer Gro&#x0364;ße,<lb/>
d. i. als Dauer, machen ko&#x0364;nnen, oder die go&#x0364;ttliche Allgegen-<lb/>
wart als Da&#x017F;eyn in allen Orten zu denken, um die unmittel-<lb/>
bare Gegenwart fu&#x0364;r Dinge au&#x017F;&#x017F;er einander uns faslich zu<lb/>
machen, ohne gleichwohl eine die&#x017F;er Be&#x017F;timmungen Gott,<lb/>
als etwas an ihm Erkanntes, beylegen zu du&#x0364;rfen). Wenn<lb/>
ich die Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t des Men&#x017F;chen in An&#x017F;ehung gewi&#x017F;&#x017F;er Pro-<lb/>
ducte, welche mir durch ab&#x017F;ichtliche Zweckma&#x0364;ßigkeit erkla&#x0364;rlich<lb/>
&#x017F;ind, dadurch be&#x017F;timme, daß ich &#x017F;ie als einen Ver&#x017F;tand de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben denke, &#x017F;o brauche ich nicht dabey &#x017F;tehen zu bleiben, &#x017F;on-<lb/>
dern kan ihm die&#x017F;es Pra&#x0364;dicat als wohlbekannte Eigen-<lb/>
&#x017F;chaft de&#x017F;&#x017F;elben beylegen und ihn dadurch erkennen. Denn ich<lb/>
weiß, daß An&#x017F;chauungen den Sinnen des Men&#x017F;chen gegeben,<lb/>
und durch den Ver&#x017F;tand unter einen Begrif und hiemit unter<lb/>
eine Regel gebracht werden: daß die&#x017F;er Begrif nur das ge-<lb/>
mein&#x017F;ame Merkmal (mit Wegla&#x017F;&#x017F;ung des Be&#x017F;ondern) enthalte<lb/>
und al&#x017F;o discur&#x017F;iv &#x017F;ey: daß die Regeln, umgegebene Vor&#x017F;tel-<lb/>
lungen unter ein Bewu&#x017F;t&#x017F;eyn u&#x0364;berhaupt zu bringen, von ihm<lb/>
noch vor jenen An&#x017F;chauungen gegeben werden u. &#x017F;. w. und<lb/>
lege al&#x017F;o die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaft dem Men&#x017F;chen bey als eine &#x017F;olche,<lb/>
wodurch ich ihn <hi rendition="#fr">erkenne.</hi> Will ich nun aber ein u&#x0364;ber&#x017F;innli-<lb/>
ches We&#x017F;en (Gott) als Jntelligenz <hi rendition="#fr">denken,</hi> &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;es in<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;er Ru&#x0364;ck&#x017F;icht meines Vernunftgebrauchs nicht allein er-<lb/>
laubt, &#x017F;ondern auch unvermeidlich, aber ihm Ver&#x017F;tand bey-<lb/>
zulegen und es dadurch als einer Eigen&#x017F;chaft de&#x017F;&#x017F;elben <hi rendition="#fr">er-<lb/>
kennen</hi> zu ko&#x0364;nnen &#x017F;ich &#x017F;chmeicheln i&#x017F;t keinesweges erlaubt;<lb/>
weil ich alsdann alle jene Bedingungen, unter denen ich al-<lb/>
lein einen Ver&#x017F;tand kenne, wegla&#x017F;&#x017F;en muß, mithin das Pra&#x0364;-<lb/>
dicat das nur zur Be&#x017F;timmung des Men&#x017F;chen dient, auf ein<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;innliches Object gar nicht bezogen werden kann und al&#x017F;o<lb/>
durch eine &#x017F;o be&#x017F;timmte Cau&#x017F;&#x017F;alita&#x0364;t, was Gott &#x017F;ey, gar nicht<lb/>
erkannt werden kan; und &#x017F;o gehts mit allen Categorien, die<lb/>
gar keine Bedeutung zum Erkenntnis in thoreti&#x017F;cher Ru&#x0364;ck&#x017F;icht<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[475/0539] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. ſonſt gar keinen Begrif von bloßen Daſeyn als einer Groͤße, d. i. als Dauer, machen koͤnnen, oder die goͤttliche Allgegen- wart als Daſeyn in allen Orten zu denken, um die unmittel- bare Gegenwart fuͤr Dinge auſſer einander uns faslich zu machen, ohne gleichwohl eine dieſer Beſtimmungen Gott, als etwas an ihm Erkanntes, beylegen zu duͤrfen). Wenn ich die Cauſſalitaͤt des Menſchen in Anſehung gewiſſer Pro- ducte, welche mir durch abſichtliche Zweckmaͤßigkeit erklaͤrlich ſind, dadurch beſtimme, daß ich ſie als einen Verſtand deſſel- ben denke, ſo brauche ich nicht dabey ſtehen zu bleiben, ſon- dern kan ihm dieſes Praͤdicat als wohlbekannte Eigen- ſchaft deſſelben beylegen und ihn dadurch erkennen. Denn ich weiß, daß Anſchauungen den Sinnen des Menſchen gegeben, und durch den Verſtand unter einen Begrif und hiemit unter eine Regel gebracht werden: daß dieſer Begrif nur das ge- meinſame Merkmal (mit Weglaſſung des Beſondern) enthalte und alſo discurſiv ſey: daß die Regeln, umgegebene Vorſtel- lungen unter ein Bewuſtſeyn uͤberhaupt zu bringen, von ihm noch vor jenen Anſchauungen gegeben werden u. ſ. w. und lege alſo dieſe Eigenſchaft dem Menſchen bey als eine ſolche, wodurch ich ihn erkenne. Will ich nun aber ein uͤberſinnli- ches Weſen (Gott) als Jntelligenz denken, ſo iſt dieſes in gewiſſer Ruͤckſicht meines Vernunftgebrauchs nicht allein er- laubt, ſondern auch unvermeidlich, aber ihm Verſtand bey- zulegen und es dadurch als einer Eigenſchaft deſſelben er- kennen zu koͤnnen ſich ſchmeicheln iſt keinesweges erlaubt; weil ich alsdann alle jene Bedingungen, unter denen ich al- lein einen Verſtand kenne, weglaſſen muß, mithin das Praͤ- dicat das nur zur Beſtimmung des Menſchen dient, auf ein uͤberſinnliches Object gar nicht bezogen werden kann und alſo durch eine ſo beſtimmte Cauſſalitaͤt, was Gott ſey, gar nicht erkannt werden kan; und ſo gehts mit allen Categorien, die gar keine Bedeutung zum Erkenntnis in thoretiſcher Ruͤckſicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/539
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/539>, abgerufen am 04.12.2024.