Karsch, Anna Luise: Auserlesene Gedichte. Berlin, 1764.Zweytes Buch. Die nicht vor hundert Jahren sich,Nein, erst vor kurzer Zeit, wahrhaftig zugetragen. Rosaria war schön, reich, vornehm, jugendlich Und erst vermählt seit hundert Tagen An einen Mann, der sie geliebt, Mehr, als sein Herz, das ihrem Staube, Nun traurige Besuche giebt! Krank ward sie und ihr Reiz ward plötzlich der Gewalt Des Fiebers und der Nichtigkeit zum Raube. Sie lag. Nicht eine Spur der blühenden Gestalt Blieb übrig auf den blassen Wangen: So hängt an Bäumen, die im jungen Frühling prangen, Ein von dem Frost getödtet Blat, Das ausser seiner Form nichts mehr behalten hat! Rosaria mit mattem Blicke Sah in das ofne Grab, sah in die Welt zurücke: O alle Freuden waren ihr entflohn! Nichts mehr für sie! Ihr Auge wandte X 4
Zweytes Buch. Die nicht vor hundert Jahren ſich,Nein, erſt vor kurzer Zeit, wahrhaftig zugetragen. Roſaria war ſchoͤn, reich, vornehm, jugendlich Und erſt vermaͤhlt ſeit hundert Tagen An einen Mann, der ſie geliebt, Mehr, als ſein Herz, das ihrem Staube, Nun traurige Beſuche giebt! Krank ward ſie und ihr Reiz ward ploͤtzlich der Gewalt Des Fiebers und der Nichtigkeit zum Raube. Sie lag. Nicht eine Spur der bluͤhenden Geſtalt Blieb uͤbrig auf den blaſſen Wangen: So haͤngt an Baͤumen, die im jungen Fruͤhling prangen, Ein von dem Froſt getoͤdtet Blat, Das auſſer ſeiner Form nichts mehr behalten hat! Roſaria mit mattem Blicke Sah in das ofne Grab, ſah in die Welt zuruͤcke: O alle Freuden waren ihr entflohn! Nichts mehr fuͤr ſie! Ihr Auge wandte X 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem" n="4"> <l><pb facs="#f0371" n="327"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweytes Buch.</hi></fw><lb/> Die nicht vor hundert Jahren ſich,<lb/> Nein, erſt vor kurzer Zeit, wahrhaftig zugetragen.</l> </lg><lb/> <lg type="poem" n="5"> <l>Roſaria war ſchoͤn, reich, vornehm, jugendlich<lb/> Und erſt vermaͤhlt ſeit hundert Tagen<lb/> An einen Mann, der ſie geliebt,<lb/> Mehr, als ſein Herz, das ihrem Staube,<lb/> Nun traurige Beſuche giebt!<lb/> Krank ward ſie und ihr Reiz ward ploͤtzlich der Gewalt<lb/> Des Fiebers und der Nichtigkeit zum Raube.<lb/> Sie lag. Nicht eine Spur der bluͤhenden Geſtalt<lb/> Blieb uͤbrig auf den blaſſen Wangen:<lb/> So haͤngt an Baͤumen, die im jungen Fruͤhling prangen,<lb/> Ein von dem Froſt getoͤdtet Blat,<lb/> Das auſſer ſeiner Form nichts mehr behalten hat!</l> </lg><lb/> <lg type="poem" n="6"> <l>Roſaria mit mattem Blicke<lb/> Sah in das ofne Grab, ſah in die Welt zuruͤcke:<lb/> O alle Freuden waren ihr entflohn!<lb/> Nichts mehr fuͤr ſie! Ihr Auge wandte<lb/> <fw place="bottom" type="sig">X 4</fw><lb/></l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [327/0371]
Zweytes Buch.
Die nicht vor hundert Jahren ſich,
Nein, erſt vor kurzer Zeit, wahrhaftig zugetragen.
Roſaria war ſchoͤn, reich, vornehm, jugendlich
Und erſt vermaͤhlt ſeit hundert Tagen
An einen Mann, der ſie geliebt,
Mehr, als ſein Herz, das ihrem Staube,
Nun traurige Beſuche giebt!
Krank ward ſie und ihr Reiz ward ploͤtzlich der Gewalt
Des Fiebers und der Nichtigkeit zum Raube.
Sie lag. Nicht eine Spur der bluͤhenden Geſtalt
Blieb uͤbrig auf den blaſſen Wangen:
So haͤngt an Baͤumen, die im jungen Fruͤhling prangen,
Ein von dem Froſt getoͤdtet Blat,
Das auſſer ſeiner Form nichts mehr behalten hat!
Roſaria mit mattem Blicke
Sah in das ofne Grab, ſah in die Welt zuruͤcke:
O alle Freuden waren ihr entflohn!
Nichts mehr fuͤr ſie! Ihr Auge wandte
X 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |