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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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tes Gefühl behielten. -- Alles dieses dankt dem Vater
im Grabe noch seine einzige Tochter!

Dieses zur Beherzigung, daß es nirgends Schat-
tenseiten giebt, wo nicht auch Licht wäre, wenn man
nur nicht durch Vorurtheile blind dafür ist.

Je größer aber das Dunkel war, in welches die
Armuth die Dichterin inschloß, je heller prallten die
Lichtstrahlen ihres Geistes hervor, und je stärker wirkte
ihr Abglanz. Alle Fremden von Geschmack, welche
nach Glogau kamen, suchten sie auf, und wer da kam,
fand sie in dem Zustande, welchen der Ruf von ihr
herum trug. Um sich authentisch davon zu überzeugen,
lese man diesen Brief, welchen ein damaliger durch-
marschirender Feldprediger, Namens Kletke, an
einen seiner Freunde von ihr schrieb.

"Ich war im Jahre 1758 Feldprediger, und muste
mit einem Transport von Reconvalescirten nach Sachsen
zur Armee gehen. Da wir ohnweit Glogau, gerade an
einem Sonntage, Rasttag hatten, forderte mich der da-
malige Regimentsquartiermeister des löbl. von Moselschen
Regiments auf, ihn bei einem Besuche zu dieser Dichte-
rin zu begleiten, und ich ließ mich nicht lange bitten.
Wir fanden sie in einer armseligen Wohnung. Zwey ih-
rer Kinder, die ältesten, gingen in zerrißnen Kleidern in
der Stube umher, das dritte saß vor ihr und das vierte
ganz klein auf ihrem Schooß. Sie selbst aber saß unter

tes Gefuͤhl behielten. — Alles dieſes dankt dem Vater
im Grabe noch ſeine einzige Tochter!

Dieſes zur Beherzigung, daß es nirgends Schat-
tenſeiten giebt, wo nicht auch Licht waͤre, wenn man
nur nicht durch Vorurtheile blind dafuͤr iſt.

Je groͤßer aber das Dunkel war, in welches die
Armuth die Dichterin inſchloß, je heller prallten die
Lichtſtrahlen ihres Geiſtes hervor, und je ſtaͤrker wirkte
ihr Abglanz. Alle Fremden von Geſchmack, welche
nach Glogau kamen, ſuchten ſie auf, und wer da kam,
fand ſie in dem Zuſtande, welchen der Ruf von ihr
herum trug. Um ſich authentiſch davon zu uͤberzeugen,
leſe man dieſen Brief, welchen ein damaliger durch-
marſchirender Feldprediger, Namens Kletke, an
einen ſeiner Freunde von ihr ſchrieb.

„Ich war im Jahre 1758 Feldprediger, und muſte
mit einem Transport von Reconvaleſcirten nach Sachſen
zur Armee gehen. Da wir ohnweit Glogau, gerade an
einem Sonntage, Raſttag hatten, forderte mich der da-
malige Regimentsquartiermeiſter des loͤbl. von Moſelſchen
Regiments auf, ihn bei einem Beſuche zu dieſer Dichte-
rin zu begleiten, und ich ließ mich nicht lange bitten.
Wir fanden ſie in einer armſeligen Wohnung. Zwey ih-
rer Kinder, die aͤlteſten, gingen in zerrißnen Kleidern in
der Stube umher, das dritte ſaß vor ihr und das vierte
ganz klein auf ihrem Schooß. Sie ſelbſt aber ſaß unter

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[76/0108] tes Gefuͤhl behielten. — Alles dieſes dankt dem Vater im Grabe noch ſeine einzige Tochter! Dieſes zur Beherzigung, daß es nirgends Schat- tenſeiten giebt, wo nicht auch Licht waͤre, wenn man nur nicht durch Vorurtheile blind dafuͤr iſt. Je groͤßer aber das Dunkel war, in welches die Armuth die Dichterin inſchloß, je heller prallten die Lichtſtrahlen ihres Geiſtes hervor, und je ſtaͤrker wirkte ihr Abglanz. Alle Fremden von Geſchmack, welche nach Glogau kamen, ſuchten ſie auf, und wer da kam, fand ſie in dem Zuſtande, welchen der Ruf von ihr herum trug. Um ſich authentiſch davon zu uͤberzeugen, leſe man dieſen Brief, welchen ein damaliger durch- marſchirender Feldprediger, Namens Kletke, an einen ſeiner Freunde von ihr ſchrieb. „Ich war im Jahre 1758 Feldprediger, und muſte mit einem Transport von Reconvaleſcirten nach Sachſen zur Armee gehen. Da wir ohnweit Glogau, gerade an einem Sonntage, Raſttag hatten, forderte mich der da- malige Regimentsquartiermeiſter des loͤbl. von Moſelſchen Regiments auf, ihn bei einem Beſuche zu dieſer Dichte- rin zu begleiten, und ich ließ mich nicht lange bitten. Wir fanden ſie in einer armſeligen Wohnung. Zwey ih- rer Kinder, die aͤlteſten, gingen in zerrißnen Kleidern in der Stube umher, das dritte ſaß vor ihr und das vierte ganz klein auf ihrem Schooß. Sie ſelbſt aber ſaß unter

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/108>, abgerufen am 21.11.2024.