empfing sie auf seinem Schlosse, wo schon alles für sie und die Ihrigen aufs beste bereitet war. Ihre Glück- seligkeit wurde immer wirklicher, sie sahe, daß es kein Traum war, denn sie erwachte jeden Morgen zu neuer Freude und Ehre. Der Baron hatte Einige von dem nachbarlichen Adel zu sich gebeten, und die Dichterin ward hier zum erstenmale an eine adliche Tafel gezo- gen. Zwei Tage und drei Nächte brachte sie hier wie in einem ihr gehörigen Zauberschlosse zu. Der Tag der Abreise kam; zwölf Stunden zuvor reisete der Ba- ron nach Berlin ab, der Dichterin Sohn ward auf Be- schluß des gütigsten Herrn zu dem Amtmann des Gutes in die Kost gethan, von welchem er zur Schule und allem Guten angehalten wurde; die Tochter ward mit nach Berlin genommen.
Auf der ganzen Reise bis dahin sahe sie ihren Wohl- thäter nicht, aber auf jeder Hauptstation wurde gehal- ten und übernachtet. Die vorzügliche Bequemlichkeit, welche die Befehle ihres Herrn sie überall genießen ließen, machten ihren Zustand zu etwas Ueberirdischem. Sie dachte sich ihre mühsamen Fußreisen nach Lissa und jenen umliegenden Dörfern; das Kümmerliche ih- rer Mahlzeiten und Lagerstätten auf solchen Wallfahr- ten: welch ein Kontrast! wenn sie hier in jedem Wirths- hause nach der vorzüglichsten Bewirthung, auf fein- überzogenen Daunenbetten mit ihren Kindern sich
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empfing ſie auf ſeinem Schloſſe, wo ſchon alles fuͤr ſie und die Ihrigen aufs beſte bereitet war. Ihre Gluͤck- ſeligkeit wurde immer wirklicher, ſie ſahe, daß es kein Traum war, denn ſie erwachte jeden Morgen zu neuer Freude und Ehre. Der Baron hatte Einige von dem nachbarlichen Adel zu ſich gebeten, und die Dichterin ward hier zum erſtenmale an eine adliche Tafel gezo- gen. Zwei Tage und drei Naͤchte brachte ſie hier wie in einem ihr gehoͤrigen Zauberſchloſſe zu. Der Tag der Abreiſe kam; zwoͤlf Stunden zuvor reiſete der Ba- ron nach Berlin ab, der Dichterin Sohn ward auf Be- ſchluß des guͤtigſten Herrn zu dem Amtmann des Gutes in die Koſt gethan, von welchem er zur Schule und allem Guten angehalten wurde; die Tochter ward mit nach Berlin genommen.
Auf der ganzen Reiſe bis dahin ſahe ſie ihren Wohl- thaͤter nicht, aber auf jeder Hauptſtation wurde gehal- ten und uͤbernachtet. Die vorzuͤgliche Bequemlichkeit, welche die Befehle ihres Herrn ſie uͤberall genießen ließen, machten ihren Zuſtand zu etwas Ueberirdiſchem. Sie dachte ſich ihre muͤhſamen Fußreiſen nach Liſſa und jenen umliegenden Doͤrfern; das Kuͤmmerliche ih- rer Mahlzeiten und Lagerſtaͤtten auf ſolchen Wallfahr- ten: welch ein Kontraſt! wenn ſie hier in jedem Wirths- hauſe nach der vorzuͤglichſten Bewirthung, auf fein- uͤberzogenen Daunenbetten mit ihren Kindern ſich
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empfing ſie auf ſeinem Schloſſe, wo ſchon alles fuͤr ſie
und die Ihrigen aufs beſte bereitet war. Ihre Gluͤck-
ſeligkeit wurde immer wirklicher, ſie ſahe, daß es kein
Traum war, denn ſie erwachte jeden Morgen zu neuer
Freude und Ehre. Der Baron hatte Einige von dem
nachbarlichen Adel zu ſich gebeten, und die Dichterin
ward hier zum erſtenmale an eine adliche Tafel gezo-
gen. Zwei Tage und drei Naͤchte brachte ſie hier wie
in einem ihr gehoͤrigen Zauberſchloſſe zu. Der Tag
der Abreiſe kam; zwoͤlf Stunden zuvor reiſete der Ba-
ron nach Berlin ab, der Dichterin Sohn ward auf Be-
ſchluß des guͤtigſten Herrn zu dem Amtmann des Gutes
in die Koſt gethan, von welchem er zur Schule und
allem Guten angehalten wurde; die Tochter ward mit
nach Berlin genommen.
Auf der ganzen Reiſe bis dahin ſahe ſie ihren Wohl-
thaͤter nicht, aber auf jeder Hauptſtation wurde gehal-
ten und uͤbernachtet. Die vorzuͤgliche Bequemlichkeit,
welche die Befehle ihres Herrn ſie uͤberall genießen
ließen, machten ihren Zuſtand zu etwas Ueberirdiſchem.
Sie dachte ſich ihre muͤhſamen Fußreiſen nach Liſſa
und jenen umliegenden Doͤrfern; das Kuͤmmerliche ih-
rer Mahlzeiten und Lagerſtaͤtten auf ſolchen Wallfahr-
ten: welch ein Kontraſt! wenn ſie hier in jedem Wirths-
hauſe nach der vorzuͤglichſten Bewirthung, auf fein-
uͤberzogenen Daunenbetten mit ihren Kindern ſich
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/117>, abgerufen am 21.11.2024.
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