Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

rung abzuwarten. In der Zeit, welches ein Zwi-
schenraum von sechs Monaten war, sahe sich die Dich-
terin zwar in allen glänzenden Zirkeln Berlins einge-
führt, allein ihren Bedürfnissen war nichts weniger
als abgeholfen. Den gütigen Baron verhinderte
seine Krankheit, daß er sich ferner reell um sie be-
kümmern konnte, und als er auf seine Güter gereiset
war, blieb ihr, weil sie von Niemanden etwas forder-
te, nichts als die Wohnung, welche sie in seinem Hause
hatte. Für sie war nun wohl kein Kummer, weil sie,
wegen ihres Rufs, überall willkommen war; allein
ihre Tochter brauchte Pflege und Erziehung, und
solche um so mehr, jemehr die Mutter von der feinen
Welt gekannt und geschätzt wurde. Ihr selbst fehlten
nun schlechterdings alle Kräfte, welche zur Erziehung
erfordert werden; denn ihr Zustand war abhängig,
und ihr Geist viel zu unruhig, als daß er sich in die
Regeln der Erziehung eines Kindes hätte einschrän-
ken können. Sulzer war der erste, welcher es ihr
zum dringenden Geschäft machte, ihre Tochter, an
welcher er Fähigkeiten bemerkte, in ordentliche Auf-
sicht zu bringen. Das war nun freilich leichter ge-
sagt als gethan. Er selbst würde zwar wohl die erste
Hand dazu geboten haben, allein er hatte seine ei-
gene großen Familiensorgen. Unter der Dichterin
reichen Bekannten war keiner, welcher für sie hätte

rung abzuwarten. In der Zeit, welches ein Zwi-
ſchenraum von ſechs Monaten war, ſahe ſich die Dich-
terin zwar in allen glaͤnzenden Zirkeln Berlins einge-
fuͤhrt, allein ihren Beduͤrfniſſen war nichts weniger
als abgeholfen. Den guͤtigen Baron verhinderte
ſeine Krankheit, daß er ſich ferner reell um ſie be-
kuͤmmern konnte, und als er auf ſeine Guͤter gereiſet
war, blieb ihr, weil ſie von Niemanden etwas forder-
te, nichts als die Wohnung, welche ſie in ſeinem Hauſe
hatte. Fuͤr ſie war nun wohl kein Kummer, weil ſie,
wegen ihres Rufs, uͤberall willkommen war; allein
ihre Tochter brauchte Pflege und Erziehung, und
ſolche um ſo mehr, jemehr die Mutter von der feinen
Welt gekannt und geſchaͤtzt wurde. Ihr ſelbſt fehlten
nun ſchlechterdings alle Kraͤfte, welche zur Erziehung
erfordert werden; denn ihr Zuſtand war abhaͤngig,
und ihr Geiſt viel zu unruhig, als daß er ſich in die
Regeln der Erziehung eines Kindes haͤtte einſchraͤn-
ken koͤnnen. Sulzer war der erſte, welcher es ihr
zum dringenden Geſchaͤft machte, ihre Tochter, an
welcher er Faͤhigkeiten bemerkte, in ordentliche Auf-
ſicht zu bringen. Das war nun freilich leichter ge-
ſagt als gethan. Er ſelbſt wuͤrde zwar wohl die erſte
Hand dazu geboten haben, allein er hatte ſeine ei-
gene großen Familienſorgen. Unter der Dichterin
reichen Bekannten war keiner, welcher fuͤr ſie haͤtte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0125" n="93"/>
rung abzuwarten. In der Zeit, welches ein Zwi-<lb/>
&#x017F;chenraum von &#x017F;echs Monaten war, &#x017F;ahe &#x017F;ich die Dich-<lb/>
terin zwar in allen gla&#x0364;nzenden Zirkeln Berlins einge-<lb/>
fu&#x0364;hrt, allein ihren Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;en war nichts weniger<lb/>
als abgeholfen. Den gu&#x0364;tigen Baron verhinderte<lb/>
&#x017F;eine Krankheit, daß er &#x017F;ich ferner reell um &#x017F;ie be-<lb/>
ku&#x0364;mmern konnte, und als er auf &#x017F;eine Gu&#x0364;ter gerei&#x017F;et<lb/>
war, blieb ihr, weil &#x017F;ie von Niemanden etwas forder-<lb/>
te, nichts als die Wohnung, welche &#x017F;ie in &#x017F;einem Hau&#x017F;e<lb/>
hatte. Fu&#x0364;r &#x017F;ie war nun wohl kein Kummer, weil &#x017F;ie,<lb/>
wegen ihres Rufs, u&#x0364;berall willkommen war; allein<lb/>
ihre Tochter brauchte Pflege und Erziehung, und<lb/>
&#x017F;olche um &#x017F;o mehr, jemehr die Mutter von der feinen<lb/>
Welt gekannt und ge&#x017F;cha&#x0364;tzt wurde. Ihr &#x017F;elb&#x017F;t fehlten<lb/>
nun &#x017F;chlechterdings alle Kra&#x0364;fte, welche zur Erziehung<lb/>
erfordert werden; denn ihr Zu&#x017F;tand war abha&#x0364;ngig,<lb/>
und ihr Gei&#x017F;t viel zu unruhig, als daß er &#x017F;ich in die<lb/>
Regeln der Erziehung eines Kindes ha&#x0364;tte ein&#x017F;chra&#x0364;n-<lb/>
ken ko&#x0364;nnen. <hi rendition="#fr">Sulzer</hi> war der er&#x017F;te, welcher es ihr<lb/>
zum dringenden Ge&#x017F;cha&#x0364;ft machte, ihre Tochter, an<lb/>
welcher er Fa&#x0364;higkeiten bemerkte, in ordentliche Auf-<lb/>
&#x017F;icht zu bringen. Das war nun freilich leichter ge-<lb/>
&#x017F;agt als gethan. Er &#x017F;elb&#x017F;t wu&#x0364;rde zwar wohl die er&#x017F;te<lb/>
Hand dazu geboten haben, allein er hatte &#x017F;eine ei-<lb/>
gene großen Familien&#x017F;orgen. Unter der Dichterin<lb/>
reichen Bekannten war keiner, welcher fu&#x0364;r &#x017F;ie ha&#x0364;tte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0125] rung abzuwarten. In der Zeit, welches ein Zwi- ſchenraum von ſechs Monaten war, ſahe ſich die Dich- terin zwar in allen glaͤnzenden Zirkeln Berlins einge- fuͤhrt, allein ihren Beduͤrfniſſen war nichts weniger als abgeholfen. Den guͤtigen Baron verhinderte ſeine Krankheit, daß er ſich ferner reell um ſie be- kuͤmmern konnte, und als er auf ſeine Guͤter gereiſet war, blieb ihr, weil ſie von Niemanden etwas forder- te, nichts als die Wohnung, welche ſie in ſeinem Hauſe hatte. Fuͤr ſie war nun wohl kein Kummer, weil ſie, wegen ihres Rufs, uͤberall willkommen war; allein ihre Tochter brauchte Pflege und Erziehung, und ſolche um ſo mehr, jemehr die Mutter von der feinen Welt gekannt und geſchaͤtzt wurde. Ihr ſelbſt fehlten nun ſchlechterdings alle Kraͤfte, welche zur Erziehung erfordert werden; denn ihr Zuſtand war abhaͤngig, und ihr Geiſt viel zu unruhig, als daß er ſich in die Regeln der Erziehung eines Kindes haͤtte einſchraͤn- ken koͤnnen. Sulzer war der erſte, welcher es ihr zum dringenden Geſchaͤft machte, ihre Tochter, an welcher er Faͤhigkeiten bemerkte, in ordentliche Auf- ſicht zu bringen. Das war nun freilich leichter ge- ſagt als gethan. Er ſelbſt wuͤrde zwar wohl die erſte Hand dazu geboten haben, allein er hatte ſeine ei- gene großen Familienſorgen. Unter der Dichterin reichen Bekannten war keiner, welcher fuͤr ſie haͤtte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/125
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/125>, abgerufen am 21.11.2024.