Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr thun wollen, als den Genuß eines flüchtigen
Ohrenschmauses, welchen sie gab, ihr durch Gastfrei-
heit und andere kleine Artigkeiten zu vergütigen. Es
hielt also schwer, und äußerst schwer, daß sie von die-
ser Sorge entladen wurde. Sie gab manchem ihrer
großen Freunde ihren Wunsch in Versen zu erkennen,
allein sie blieben taub. Ein berühmter Mechanikus,
Namens Holefeld, welchem die kleine Tochter der
Karschin sehr hoffnungsvoll schien, unternahm es,
bei dem Hofrath und Doktor, Herrn Stahl, einen
Versuch ihrentwegen zu machen. Dank sei seiner
Asche! Auch Sulzer und mehrere edle Männer un-
terstützten seinen Vorspruch bei dem menschenfreund-
lichen Stahl. Dieser verehrungswürdige Reiche
glaubte den Ueberschuß seines Vermögens nicht besser
anwenden zu können, als wenn er den Armen Erleich-
terung, und verlassenen Waisen Unterstützung wieder-
fahren ließ. Leicht ward also sein für fremde Noth
stets offenes Ohr gewonnen, und von ihm der Dich-
terin die Last der Erziehung ihres Kindes abgenom-
men. Für seinen wohlthätigen Vorschuß ward das
Mädchen in die Kost der Realschule gegeben, wo man
sie zur Religion, Ordnung und weiblichen Handar-
beit fünf Jahre lang erzog.

Nun war die Dichterin völlig frei; ihre beiden Kin-
der waren in Pflege und Aufsicht; und ihr blieb vor

mehr thun wollen, als den Genuß eines fluͤchtigen
Ohrenſchmauſes, welchen ſie gab, ihr durch Gaſtfrei-
heit und andere kleine Artigkeiten zu verguͤtigen. Es
hielt alſo ſchwer, und aͤußerſt ſchwer, daß ſie von die-
ſer Sorge entladen wurde. Sie gab manchem ihrer
großen Freunde ihren Wunſch in Verſen zu erkennen,
allein ſie blieben taub. Ein beruͤhmter Mechanikus,
Namens Holefeld, welchem die kleine Tochter der
Karſchin ſehr hoffnungsvoll ſchien, unternahm es,
bei dem Hofrath und Doktor, Herrn Stahl, einen
Verſuch ihrentwegen zu machen. Dank ſei ſeiner
Aſche! Auch Sulzer und mehrere edle Maͤnner un-
terſtuͤtzten ſeinen Vorſpruch bei dem menſchenfreund-
lichen Stahl. Dieſer verehrungswuͤrdige Reiche
glaubte den Ueberſchuß ſeines Vermoͤgens nicht beſſer
anwenden zu koͤnnen, als wenn er den Armen Erleich-
terung, und verlaſſenen Waiſen Unterſtuͤtzung wieder-
fahren ließ. Leicht ward alſo ſein fuͤr fremde Noth
ſtets offenes Ohr gewonnen, und von ihm der Dich-
terin die Laſt der Erziehung ihres Kindes abgenom-
men. Fuͤr ſeinen wohlthaͤtigen Vorſchuß ward das
Maͤdchen in die Koſt der Realſchule gegeben, wo man
ſie zur Religion, Ordnung und weiblichen Handar-
beit fuͤnf Jahre lang erzog.

Nun war die Dichterin voͤllig frei; ihre beiden Kin-
der waren in Pflege und Aufſicht; und ihr blieb vor

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0126" n="94"/>
mehr thun wollen, als den Genuß eines flu&#x0364;chtigen<lb/>
Ohren&#x017F;chmau&#x017F;es, welchen &#x017F;ie gab, ihr durch Ga&#x017F;tfrei-<lb/>
heit und andere kleine Artigkeiten zu vergu&#x0364;tigen. Es<lb/>
hielt al&#x017F;o &#x017F;chwer, und a&#x0364;ußer&#x017F;t &#x017F;chwer, daß &#x017F;ie von die-<lb/>
&#x017F;er Sorge entladen wurde. Sie gab manchem ihrer<lb/>
großen Freunde ihren Wun&#x017F;ch in Ver&#x017F;en zu erkennen,<lb/>
allein &#x017F;ie blieben taub. Ein beru&#x0364;hmter Mechanikus,<lb/>
Namens <hi rendition="#fr">Holefeld</hi>, welchem die kleine Tochter der<lb/>
Kar&#x017F;chin &#x017F;ehr hoffnungsvoll &#x017F;chien, unternahm es,<lb/>
bei dem Hofrath und Doktor, Herrn <hi rendition="#fr">Stahl</hi>, einen<lb/>
Ver&#x017F;uch ihrentwegen zu machen. Dank &#x017F;ei &#x017F;einer<lb/>
A&#x017F;che! Auch Sulzer und mehrere edle Ma&#x0364;nner un-<lb/>
ter&#x017F;tu&#x0364;tzten &#x017F;einen Vor&#x017F;pruch bei dem men&#x017F;chenfreund-<lb/>
lichen Stahl. Die&#x017F;er verehrungswu&#x0364;rdige Reiche<lb/>
glaubte den Ueber&#x017F;chuß &#x017F;eines Vermo&#x0364;gens nicht be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
anwenden zu ko&#x0364;nnen, als wenn er den Armen Erleich-<lb/>
terung, und verla&#x017F;&#x017F;enen Wai&#x017F;en Unter&#x017F;tu&#x0364;tzung wieder-<lb/>
fahren ließ. Leicht ward al&#x017F;o &#x017F;ein fu&#x0364;r fremde Noth<lb/>
&#x017F;tets offenes Ohr gewonnen, und von ihm der Dich-<lb/>
terin die La&#x017F;t der Erziehung ihres Kindes abgenom-<lb/>
men. Fu&#x0364;r &#x017F;einen wohltha&#x0364;tigen Vor&#x017F;chuß ward das<lb/>
Ma&#x0364;dchen in die Ko&#x017F;t der Real&#x017F;chule gegeben, wo man<lb/>
&#x017F;ie zur Religion, Ordnung und weiblichen Handar-<lb/>
beit fu&#x0364;nf Jahre lang erzog.</p><lb/>
        <p>Nun war die Dichterin vo&#x0364;llig frei; ihre beiden Kin-<lb/>
der waren in Pflege und Auf&#x017F;icht; und ihr blieb vor<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0126] mehr thun wollen, als den Genuß eines fluͤchtigen Ohrenſchmauſes, welchen ſie gab, ihr durch Gaſtfrei- heit und andere kleine Artigkeiten zu verguͤtigen. Es hielt alſo ſchwer, und aͤußerſt ſchwer, daß ſie von die- ſer Sorge entladen wurde. Sie gab manchem ihrer großen Freunde ihren Wunſch in Verſen zu erkennen, allein ſie blieben taub. Ein beruͤhmter Mechanikus, Namens Holefeld, welchem die kleine Tochter der Karſchin ſehr hoffnungsvoll ſchien, unternahm es, bei dem Hofrath und Doktor, Herrn Stahl, einen Verſuch ihrentwegen zu machen. Dank ſei ſeiner Aſche! Auch Sulzer und mehrere edle Maͤnner un- terſtuͤtzten ſeinen Vorſpruch bei dem menſchenfreund- lichen Stahl. Dieſer verehrungswuͤrdige Reiche glaubte den Ueberſchuß ſeines Vermoͤgens nicht beſſer anwenden zu koͤnnen, als wenn er den Armen Erleich- terung, und verlaſſenen Waiſen Unterſtuͤtzung wieder- fahren ließ. Leicht ward alſo ſein fuͤr fremde Noth ſtets offenes Ohr gewonnen, und von ihm der Dich- terin die Laſt der Erziehung ihres Kindes abgenom- men. Fuͤr ſeinen wohlthaͤtigen Vorſchuß ward das Maͤdchen in die Koſt der Realſchule gegeben, wo man ſie zur Religion, Ordnung und weiblichen Handar- beit fuͤnf Jahre lang erzog. Nun war die Dichterin voͤllig frei; ihre beiden Kin- der waren in Pflege und Aufſicht; und ihr blieb vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/126
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/126>, abgerufen am 24.11.2024.