der Hand kein Kummer, als der, sich ihre Freunde zu erhalten. Durch so ganz vollkommne Ruhe ward sie weder übermüthig, noch stolz, noch träge. Gemeinig- lich fand die Morgenröthe sie schon wach am Schreib- tisch. Die Erinnerung an ihren vorigen Stand behielt sie immer gegenwärtig, und die stets anwachsende Zahl ihrer Bewunderer rührte ihr Herz nur in so weit, daß es dankbarer gegen die Vorsicht und gegen jedes Gute wurde, welches ihr wiederfuhr. Gegenstände zu sin- gen, fand sie überall, und ihrer Muse schien nichts so gering, worüber sie nicht etwas Meisterhaftes hätte sagen können. Besonders rühmten Kenner ihre Stärke in Impromtües und in Ausfüllung der Endreime, welche ihr in Gesellschaften vorgeschrieben wurden. Hier brachte jedesmal die außerordentliche Gegenwart ihres Geistes die Anwesenden zum Erstaunen, wenn sie, schneller, als man etwas Gemeines sagen konnte, einen sinnreichen Vers über etwas ausdachte und her- sagte; oder wenn man ihr, mitten im Geräusch einer versammelten Gesellschaft, eine Reihe ganz widerspre- chender Reime vorschrieb, um sie zu versuchen, ob sie nicht einen Galimathias daraus machen würde, und sie jedesmal solche Endreime mit schönen Gedanken ausfüllte, welche ordentlich wie nach einem Plan gear- beitet waren. Man hatte Beispiele von Poeten, welche dergleichen mit guter Muße auch gut ausgeführt hat-
der Hand kein Kummer, als der, ſich ihre Freunde zu erhalten. Durch ſo ganz vollkommne Ruhe ward ſie weder uͤbermuͤthig, noch ſtolz, noch traͤge. Gemeinig- lich fand die Morgenroͤthe ſie ſchon wach am Schreib- tiſch. Die Erinnerung an ihren vorigen Stand behielt ſie immer gegenwaͤrtig, und die ſtets anwachſende Zahl ihrer Bewunderer ruͤhrte ihr Herz nur in ſo weit, daß es dankbarer gegen die Vorſicht und gegen jedes Gute wurde, welches ihr wiederfuhr. Gegenſtaͤnde zu ſin- gen, fand ſie uͤberall, und ihrer Muſe ſchien nichts ſo gering, woruͤber ſie nicht etwas Meiſterhaftes haͤtte ſagen koͤnnen. Beſonders ruͤhmten Kenner ihre Staͤrke in Impromtuͤes und in Ausfuͤllung der Endreime, welche ihr in Geſellſchaften vorgeſchrieben wurden. Hier brachte jedesmal die außerordentliche Gegenwart ihres Geiſtes die Anweſenden zum Erſtaunen, wenn ſie, ſchneller, als man etwas Gemeines ſagen konnte, einen ſinnreichen Vers uͤber etwas ausdachte und her- ſagte; oder wenn man ihr, mitten im Geraͤuſch einer verſammelten Geſellſchaft, eine Reihe ganz widerſpre- chender Reime vorſchrieb, um ſie zu verſuchen, ob ſie nicht einen Galimathias daraus machen wuͤrde, und ſie jedesmal ſolche Endreime mit ſchoͤnen Gedanken ausfuͤllte, welche ordentlich wie nach einem Plan gear- beitet waren. Man hatte Beiſpiele von Poeten, welche dergleichen mit guter Muße auch gut ausgefuͤhrt hat-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0127"n="95"/>
der Hand kein Kummer, als der, ſich ihre Freunde zu<lb/>
erhalten. Durch ſo ganz vollkommne Ruhe ward ſie<lb/>
weder uͤbermuͤthig, noch ſtolz, noch traͤge. Gemeinig-<lb/>
lich fand die Morgenroͤthe ſie ſchon wach am Schreib-<lb/>
tiſch. Die Erinnerung an ihren vorigen Stand behielt<lb/>ſie immer gegenwaͤrtig, und die ſtets anwachſende Zahl<lb/>
ihrer Bewunderer ruͤhrte ihr Herz nur in ſo weit, daß<lb/>
es dankbarer gegen die Vorſicht und gegen jedes Gute<lb/>
wurde, welches ihr wiederfuhr. Gegenſtaͤnde zu ſin-<lb/>
gen, fand ſie uͤberall, und ihrer Muſe ſchien nichts ſo<lb/>
gering, woruͤber ſie nicht etwas Meiſterhaftes haͤtte<lb/>ſagen koͤnnen. Beſonders ruͤhmten Kenner ihre Staͤrke<lb/>
in Impromtuͤes und in Ausfuͤllung der Endreime,<lb/>
welche ihr in Geſellſchaften vorgeſchrieben wurden.<lb/>
Hier brachte jedesmal die außerordentliche Gegenwart<lb/>
ihres Geiſtes die Anweſenden zum Erſtaunen, wenn<lb/>ſie, ſchneller, als man etwas Gemeines ſagen konnte,<lb/>
einen ſinnreichen Vers uͤber etwas ausdachte und her-<lb/>ſagte; oder wenn man ihr, mitten im Geraͤuſch einer<lb/>
verſammelten Geſellſchaft, eine Reihe ganz widerſpre-<lb/>
chender Reime vorſchrieb, um ſie zu verſuchen, ob ſie<lb/>
nicht einen Galimathias daraus machen wuͤrde, und<lb/>ſie jedesmal ſolche Endreime mit ſchoͤnen Gedanken<lb/>
ausfuͤllte, welche ordentlich wie nach einem Plan gear-<lb/>
beitet waren. Man hatte Beiſpiele von Poeten, welche<lb/>
dergleichen mit guter Muße auch gut ausgefuͤhrt hat-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[95/0127]
der Hand kein Kummer, als der, ſich ihre Freunde zu
erhalten. Durch ſo ganz vollkommne Ruhe ward ſie
weder uͤbermuͤthig, noch ſtolz, noch traͤge. Gemeinig-
lich fand die Morgenroͤthe ſie ſchon wach am Schreib-
tiſch. Die Erinnerung an ihren vorigen Stand behielt
ſie immer gegenwaͤrtig, und die ſtets anwachſende Zahl
ihrer Bewunderer ruͤhrte ihr Herz nur in ſo weit, daß
es dankbarer gegen die Vorſicht und gegen jedes Gute
wurde, welches ihr wiederfuhr. Gegenſtaͤnde zu ſin-
gen, fand ſie uͤberall, und ihrer Muſe ſchien nichts ſo
gering, woruͤber ſie nicht etwas Meiſterhaftes haͤtte
ſagen koͤnnen. Beſonders ruͤhmten Kenner ihre Staͤrke
in Impromtuͤes und in Ausfuͤllung der Endreime,
welche ihr in Geſellſchaften vorgeſchrieben wurden.
Hier brachte jedesmal die außerordentliche Gegenwart
ihres Geiſtes die Anweſenden zum Erſtaunen, wenn
ſie, ſchneller, als man etwas Gemeines ſagen konnte,
einen ſinnreichen Vers uͤber etwas ausdachte und her-
ſagte; oder wenn man ihr, mitten im Geraͤuſch einer
verſammelten Geſellſchaft, eine Reihe ganz widerſpre-
chender Reime vorſchrieb, um ſie zu verſuchen, ob ſie
nicht einen Galimathias daraus machen wuͤrde, und
ſie jedesmal ſolche Endreime mit ſchoͤnen Gedanken
ausfuͤllte, welche ordentlich wie nach einem Plan gear-
beitet waren. Man hatte Beiſpiele von Poeten, welche
dergleichen mit guter Muße auch gut ausgefuͤhrt hat-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/127>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.