Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite
Als sich Dein Arm um meinen Nacken
Noch kindisch wand, als Du den Sarg
Des Vaters nicht gekannt, wo ihre nasse Backen
Die Mutter unterm Flor verbarg.
Du wuchsest mancher Noth entgegen,
Zu früh verwaiset warst Du so
Zur Sklaverei bestimmt, wie Israel zu Schlägen
Im Frohndienst eines Pharao.
Dich armen lastbeladnen Knaben
Zog oftmahls die Melancholie
Zum Gottesacker, wo Dein Vater ward begraben,
Da seufztest Du: "ich kannt' ihn nie."
Da sankst Du traurig auf den Hügel,
Der Deiner Mutter Staub bedeckt,
Bis ein Posaunenschall des Grabes Thor und Riegel
Zersprenget, und die Todten weckt.
Du weintest laut auf jenem Sande,
Der unsern Herzen heilig heißt,
Nahmst einen Stab und giengst in unbekannte Lande
Mühselig, wie ein Wandrer reist.

Als ſich Dein Arm um meinen Nacken
Noch kindiſch wand, als Du den Sarg
Des Vaters nicht gekannt, wo ihre naſſe Backen
Die Mutter unterm Flor verbarg.
Du wuchſeſt mancher Noth entgegen,
Zu fruͤh verwaiſet warſt Du ſo
Zur Sklaverei beſtimmt, wie Iſrael zu Schlaͤgen
Im Frohndienſt eines Pharao.
Dich armen laſtbeladnen Knaben
Zog oftmahls die Melancholie
Zum Gottesacker, wo Dein Vater ward begraben,
Da ſeufzteſt Du: „ich kannt’ ihn nie.„
Da ſankſt Du traurig auf den Huͤgel,
Der Deiner Mutter Staub bedeckt,
Bis ein Poſaunenſchall des Grabes Thor und Riegel
Zerſprenget, und die Todten weckt.
Du weinteſt laut auf jenem Sande,
Der unſern Herzen heilig heißt,
Nahmſt einen Stab und giengſt in unbekannte Lande
Muͤhſelig, wie ein Wandrer reiſt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0274" n="114"/>
              <lg n="3">
                <l>Als &#x017F;ich Dein Arm um meinen Nacken</l><lb/>
                <l>Noch kindi&#x017F;ch wand, als Du den Sarg</l><lb/>
                <l>Des Vaters nicht gekannt, wo ihre na&#x017F;&#x017F;e Backen</l><lb/>
                <l>Die Mutter unterm Flor verbarg.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="4">
                <l>Du wuch&#x017F;e&#x017F;t mancher Noth entgegen,</l><lb/>
                <l>Zu fru&#x0364;h verwai&#x017F;et war&#x017F;t Du &#x017F;o</l><lb/>
                <l>Zur Sklaverei be&#x017F;timmt, wie I&#x017F;rael zu Schla&#x0364;gen</l><lb/>
                <l>Im Frohndien&#x017F;t eines Pharao.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="5">
                <l>Dich armen la&#x017F;tbeladnen Knaben</l><lb/>
                <l>Zog oftmahls die Melancholie</l><lb/>
                <l>Zum Gottesacker, wo Dein Vater ward begraben,</l><lb/>
                <l>Da &#x017F;eufzte&#x017F;t Du: &#x201E;ich kannt&#x2019; ihn nie.&#x201E;</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="6">
                <l>Da &#x017F;ank&#x017F;t Du traurig auf den Hu&#x0364;gel,</l><lb/>
                <l>Der Deiner Mutter Staub bedeckt,</l><lb/>
                <l>Bis ein Po&#x017F;aunen&#x017F;chall des Grabes Thor und Riegel</l><lb/>
                <l>Zer&#x017F;prenget, und die Todten weckt.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="7">
                <l>Du weinte&#x017F;t laut auf jenem Sande,</l><lb/>
                <l>Der un&#x017F;ern Herzen heilig heißt,</l><lb/>
                <l>Nahm&#x017F;t einen Stab und gieng&#x017F;t in unbekannte Lande</l><lb/>
                <l>Mu&#x0364;h&#x017F;elig, wie ein Wandrer rei&#x017F;t.</l>
              </lg><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0274] Als ſich Dein Arm um meinen Nacken Noch kindiſch wand, als Du den Sarg Des Vaters nicht gekannt, wo ihre naſſe Backen Die Mutter unterm Flor verbarg. Du wuchſeſt mancher Noth entgegen, Zu fruͤh verwaiſet warſt Du ſo Zur Sklaverei beſtimmt, wie Iſrael zu Schlaͤgen Im Frohndienſt eines Pharao. Dich armen laſtbeladnen Knaben Zog oftmahls die Melancholie Zum Gottesacker, wo Dein Vater ward begraben, Da ſeufzteſt Du: „ich kannt’ ihn nie.„ Da ſankſt Du traurig auf den Huͤgel, Der Deiner Mutter Staub bedeckt, Bis ein Poſaunenſchall des Grabes Thor und Riegel Zerſprenget, und die Todten weckt. Du weinteſt laut auf jenem Sande, Der unſern Herzen heilig heißt, Nahmſt einen Stab und giengſt in unbekannte Lande Muͤhſelig, wie ein Wandrer reiſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/274
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/274>, abgerufen am 22.11.2024.