Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Mein Eingeweid ist schwach, ich fühls bei jedem Tritte,
Muß ruhen unterwegs oft Viertelstunden lang;
Und dennoch macht ich mirs zur Sitte
Kein Geld zu borgen, um dem Lohngedungnen Mann
Zu zahlen, der durch Vorgespann
Mich ganz bequem zu Freunden brächte.
Noch weniger borgt ich mir Geld,
Damit man mich bemerken möchte,
Wenn vorgefahren wird, und wenn der Kutscher
hält --
Ich kenne schon, seit fünf und zwanzig Jahren,
Ein wirklich edles Weib *), das zwei Paar Kinder hat,
Es ließ sich ehedem in väterlicher Stadt,
Und hier zu groß Berlin im eignen Wagen fahren;
Weils aber ganz wahrhaftig edel denkt,
Hat sichs in seinen Wittwen-Jahren
Gebührlich eingeschränkt --
Wenns Gichtschmerz in den Füßen leidet,
Alsdann bleibts gern daheim, und meidet
Gesellschaft von der besten Art;
Und wenn der Schmerz vertrieben ward,
Dann gehts zu Fuß, wie ich, dann scheint es zu
vergessen,

*) Eine verwittwete Majorin von K**, an welche verschie-
dene Gedichte in dieser Sammlung gerichtet sind.

Mein Eingeweid iſt ſchwach, ich fuͤhls bei jedem Tritte,
Muß ruhen unterwegs oft Viertelſtunden lang;
Und dennoch macht ich mirs zur Sitte
Kein Geld zu borgen, um dem Lohngedungnen Mann
Zu zahlen, der durch Vorgeſpann
Mich ganz bequem zu Freunden braͤchte.
Noch weniger borgt ich mir Geld,
Damit man mich bemerken moͤchte,
Wenn vorgefahren wird, und wenn der Kutſcher
haͤlt —
Ich kenne ſchon, ſeit fuͤnf und zwanzig Jahren,
Ein wirklich edles Weib *), das zwei Paar Kinder hat,
Es ließ ſich ehedem in vaͤterlicher Stadt,
Und hier zu groß Berlin im eignen Wagen fahren;
Weils aber ganz wahrhaftig edel denkt,
Hat ſichs in ſeinen Wittwen-Jahren
Gebuͤhrlich eingeſchraͤnkt —
Wenns Gichtſchmerz in den Fuͤßen leidet,
Alsdann bleibts gern daheim, und meidet
Geſellſchaft von der beſten Art;
Und wenn der Schmerz vertrieben ward,
Dann gehts zu Fuß, wie ich, dann ſcheint es zu
vergeſſen,

*) Eine verwittwete Majorin von K**, an welche verſchie-
dene Gedichte in dieſer Sammlung gerichtet ſind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="4">
                <pb facs="#f0332" n="172"/>
                <l>Mein Eingeweid i&#x017F;t &#x017F;chwach, ich fu&#x0364;hls bei jedem Tritte,</l><lb/>
                <l>Muß ruhen unterwegs oft Viertel&#x017F;tunden lang;</l><lb/>
                <l>Und dennoch macht ich mirs zur Sitte</l><lb/>
                <l>Kein Geld zu borgen, um dem Lohngedungnen Mann</l><lb/>
                <l>Zu zahlen, der durch Vorge&#x017F;pann</l><lb/>
                <l>Mich ganz bequem zu Freunden bra&#x0364;chte.</l><lb/>
                <l>Noch weniger borgt ich mir Geld,</l><lb/>
                <l>Damit man mich bemerken mo&#x0364;chte,</l><lb/>
                <l>Wenn vorgefahren wird, und wenn der Kut&#x017F;cher</l><lb/>
                <l>ha&#x0364;lt &#x2014;</l><lb/>
                <l>Ich kenne &#x017F;chon, &#x017F;eit fu&#x0364;nf und zwanzig Jahren,</l><lb/>
                <l>Ein wirklich edles Weib <note place="foot" n="*)">Eine verwittwete Majorin von K**, an welche ver&#x017F;chie-<lb/>
dene Gedichte in die&#x017F;er Sammlung gerichtet &#x017F;ind.</note>, das zwei Paar Kinder hat,</l><lb/>
                <l>Es ließ &#x017F;ich ehedem in va&#x0364;terlicher Stadt,</l><lb/>
                <l>Und hier zu groß Berlin im eignen Wagen fahren;</l><lb/>
                <l>Weils aber ganz wahrhaftig edel denkt,</l><lb/>
                <l>Hat &#x017F;ichs in &#x017F;einen Wittwen-Jahren</l><lb/>
                <l>Gebu&#x0364;hrlich einge&#x017F;chra&#x0364;nkt &#x2014;</l><lb/>
                <l>Wenns Gicht&#x017F;chmerz in den Fu&#x0364;ßen leidet,</l><lb/>
                <l>Alsdann bleibts gern daheim, und meidet</l><lb/>
                <l>Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von der be&#x017F;ten Art;</l><lb/>
                <l>Und wenn der Schmerz vertrieben ward,</l><lb/>
                <l>Dann gehts zu Fuß, wie ich, dann &#x017F;cheint es zu</l><lb/>
                <l>verge&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0332] Mein Eingeweid iſt ſchwach, ich fuͤhls bei jedem Tritte, Muß ruhen unterwegs oft Viertelſtunden lang; Und dennoch macht ich mirs zur Sitte Kein Geld zu borgen, um dem Lohngedungnen Mann Zu zahlen, der durch Vorgeſpann Mich ganz bequem zu Freunden braͤchte. Noch weniger borgt ich mir Geld, Damit man mich bemerken moͤchte, Wenn vorgefahren wird, und wenn der Kutſcher haͤlt — Ich kenne ſchon, ſeit fuͤnf und zwanzig Jahren, Ein wirklich edles Weib *), das zwei Paar Kinder hat, Es ließ ſich ehedem in vaͤterlicher Stadt, Und hier zu groß Berlin im eignen Wagen fahren; Weils aber ganz wahrhaftig edel denkt, Hat ſichs in ſeinen Wittwen-Jahren Gebuͤhrlich eingeſchraͤnkt — Wenns Gichtſchmerz in den Fuͤßen leidet, Alsdann bleibts gern daheim, und meidet Geſellſchaft von der beſten Art; Und wenn der Schmerz vertrieben ward, Dann gehts zu Fuß, wie ich, dann ſcheint es zu vergeſſen, *) Eine verwittwete Majorin von K**, an welche verſchie- dene Gedichte in dieſer Sammlung gerichtet ſind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/332
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/332>, abgerufen am 22.11.2024.