Dichterin, welchem sie in ihrer ersten Sammlung vom Jahr 1763 das schöne Lied gesungen hat: "Kommt herauf gestiegen aus dem Sande etc." Der Förster Kuchel starb bald, und hinterließ seiner Witwe drei unerzogene Töchter. Zwei dieser Töchter haben ihr Leben in einem so unbekannten Zustande beschlossen, als sie an vorzüglichen Eigenschaften arm waren; allein die dritte, welche nachher die Mutter unserer Dichterin wurde, verdient wohl schon in dieser Rück- sicht bemerkt zu werden. Sie war die jüngste ihrer Geschwister und eine Pathe derer Fräuleins Mose. Als ihr Vater starb, wurde sie auf das adeliche Schloß genommen und von ihren Pathinnen erzogen. Die reinen Sitten jenes Zeitalters, die einsame Lage des herrschaftlichen Gutes, und die ehrwürdige Gesellschaft, in welcher sie ihre tägliche Bildung erhielt, würden diesem Mädchen schon Anstand eingeflößt und ihre Be- griffe verfeinert haben, wenn sie gleich zu denen Mit- telmäßigen ihres Geschlechts gehört hätte; allein, wie sehr mußte sie an feinem Schimmer hier gewinnen, da sie nach denen Fräuleins die erste Person im Schlosse, an Wuchs und Bildung schön, an Tugend und vor- züglichen Eigenschaften unvergleichlich war. In der Beschreibung von ihr kommt Jeder überein, der sie gekannt hat, so wohl in der Aussage der Dichterin, als in der Nachrede der untrüglichen Einfalt. Vermöge
Dichterin, welchem ſie in ihrer erſten Sammlung vom Jahr 1763 das ſchoͤne Lied geſungen hat: „Kommt herauf geſtiegen aus dem Sande ꝛc.„ Der Foͤrſter Kuchel ſtarb bald, und hinterließ ſeiner Witwe drei unerzogene Toͤchter. Zwei dieſer Toͤchter haben ihr Leben in einem ſo unbekannten Zuſtande beſchloſſen, als ſie an vorzuͤglichen Eigenſchaften arm waren; allein die dritte, welche nachher die Mutter unſerer Dichterin wurde, verdient wohl ſchon in dieſer Ruͤck- ſicht bemerkt zu werden. Sie war die juͤngſte ihrer Geſchwiſter und eine Pathe derer Fraͤuleins Moſe. Als ihr Vater ſtarb, wurde ſie auf das adeliche Schloß genommen und von ihren Pathinnen erzogen. Die reinen Sitten jenes Zeitalters, die einſame Lage des herrſchaftlichen Gutes, und die ehrwuͤrdige Geſellſchaft, in welcher ſie ihre taͤgliche Bildung erhielt, wuͤrden dieſem Maͤdchen ſchon Anſtand eingefloͤßt und ihre Be- griffe verfeinert haben, wenn ſie gleich zu denen Mit- telmaͤßigen ihres Geſchlechts gehoͤrt haͤtte; allein, wie ſehr mußte ſie an feinem Schimmer hier gewinnen, da ſie nach denen Fraͤuleins die erſte Perſon im Schloſſe, an Wuchs und Bildung ſchoͤn, an Tugend und vor- zuͤglichen Eigenſchaften unvergleichlich war. In der Beſchreibung von ihr kommt Jeder uͤberein, der ſie gekannt hat, ſo wohl in der Ausſage der Dichterin, als in der Nachrede der untruͤglichen Einfalt. Vermoͤge
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Dichterin, welchem ſie in ihrer erſten Sammlung vom
Jahr 1763 das ſchoͤne Lied geſungen hat: „Kommt
herauf geſtiegen aus dem Sande ꝛc.„ Der Foͤrſter
Kuchel ſtarb bald, und hinterließ ſeiner Witwe drei
unerzogene Toͤchter. Zwei dieſer Toͤchter haben ihr
Leben in einem ſo unbekannten Zuſtande beſchloſſen,
als ſie an vorzuͤglichen Eigenſchaften arm waren;
allein die dritte, welche nachher die Mutter unſerer
Dichterin wurde, verdient wohl ſchon in dieſer Ruͤck-
ſicht bemerkt zu werden. Sie war die juͤngſte ihrer
Geſchwiſter und eine Pathe derer Fraͤuleins Moſe.
Als ihr Vater ſtarb, wurde ſie auf das adeliche Schloß
genommen und von ihren Pathinnen erzogen. Die
reinen Sitten jenes Zeitalters, die einſame Lage des
herrſchaftlichen Gutes, und die ehrwuͤrdige Geſellſchaft,
in welcher ſie ihre taͤgliche Bildung erhielt, wuͤrden
dieſem Maͤdchen ſchon Anſtand eingefloͤßt und ihre Be-
griffe verfeinert haben, wenn ſie gleich zu denen Mit-
telmaͤßigen ihres Geſchlechts gehoͤrt haͤtte; allein, wie
ſehr mußte ſie an feinem Schimmer hier gewinnen, da
ſie nach denen Fraͤuleins die erſte Perſon im Schloſſe,
an Wuchs und Bildung ſchoͤn, an Tugend und vor-
zuͤglichen Eigenſchaften unvergleichlich war. In der
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gekannt hat, ſo wohl in der Ausſage der Dichterin,
als in der Nachrede der untruͤglichen Einfalt. Vermoͤge
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/36>, abgerufen am 21.11.2024.
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