Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Eines Lammes, um ihre Schultern zu schützen vor
Dem Mauerdurchdringenden Nordwind, der
Die Wälder entblößt, und abstreift sorgfältig gepfle-
geten Bäumen
Des ungezäuneten Gartens jegliches Blatt. Traurig
Stehen sie da! gleich der nakkenden Armuth weinen
Sie von ihrer schmucklosen Stirn herunter die Nässe
Der dicken niederfallenden Luft, voll Schauer einhau-
chenden
Kälte. Dieser Anblick, o Damon! erinnertdeine Phillis
An das Bild einer unglücklichen Hirtin. Höre von mir
Du leisefühlender Schäfer! Diese das Herz angreifende
Geschichte, und liebe noch anbetender Deine Phillis.

Sie bewohnte mit ihrer trauertragenden Mutter
Eine nicht weiträumichte Hütte auf wehrloser Trift
In jenen schrecklichen Tagen, als Räuberheerden
Aus fernen Wüsteneyen gezogen kamen. Gleich den
Verderblichen Wetterwolken hagelten sie Verwüstung
Auf blühende Fluren, nnd dichtverwachsene Weitzen-
furchen,
Und zerbissen mit schäumendem Zahn den grasgrünen
Apfel
Und die unvollkommene, steinharte Birn
Abgerissen von den widerstrebenden Aesten des un-
willigen

Eines Lammes, um ihre Schultern zu ſchuͤtzen vor
Dem Mauerdurchdringenden Nordwind, der
Die Waͤlder entbloͤßt, und abſtreift ſorgfaͤltig gepfle-
geten Baͤumen
Des ungezaͤuneten Gartens jegliches Blatt. Traurig
Stehen ſie da! gleich der nakkenden Armuth weinen
Sie von ihrer ſchmuckloſen Stirn herunter die Naͤſſe
Der dicken niederfallenden Luft, voll Schauer einhau-
chenden
Kaͤlte. Dieſer Anblick, o Damon! erinnertdeine Phillis
An das Bild einer ungluͤcklichen Hirtin. Hoͤre von mir
Du leiſefuͤhlender Schaͤfer! Dieſe das Herz angreifende
Geſchichte, und liebe noch anbetender Deine Phillis.

Sie bewohnte mit ihrer trauertragenden Mutter
Eine nicht weitraͤumichte Huͤtte auf wehrloſer Trift
In jenen ſchrecklichen Tagen, als Raͤuberheerden
Aus fernen Wuͤſteneyen gezogen kamen. Gleich den
Verderblichen Wetterwolken hagelten ſie Verwuͤſtung
Auf bluͤhende Fluren, nnd dichtverwachſene Weitzen-
furchen,
Und zerbiſſen mit ſchaͤumendem Zahn den grasgruͤnen
Apfel
Und die unvollkommene, ſteinharte Birn
Abgeriſſen von den widerſtrebenden Aeſten des un-
willigen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <pb facs="#f0440" n="280"/>
                <l>Eines Lammes, um ihre Schultern zu &#x017F;chu&#x0364;tzen vor</l><lb/>
                <l>Dem Mauerdurchdringenden Nordwind, der</l><lb/>
                <l>Die Wa&#x0364;lder entblo&#x0364;ßt, und ab&#x017F;treift &#x017F;orgfa&#x0364;ltig gepfle-</l><lb/>
                <l>geten Ba&#x0364;umen</l><lb/>
                <l>Des ungeza&#x0364;uneten Gartens jegliches Blatt. Traurig</l><lb/>
                <l>Stehen &#x017F;ie da! gleich der nakkenden Armuth weinen</l><lb/>
                <l>Sie von ihrer &#x017F;chmucklo&#x017F;en Stirn herunter die Na&#x0364;&#x017F;&#x017F;e</l><lb/>
                <l>Der dicken niederfallenden Luft, voll Schauer einhau-</l><lb/>
                <l>chenden</l><lb/>
                <l>Ka&#x0364;lte. Die&#x017F;er Anblick, o Damon! erinnertdeine Phillis</l><lb/>
                <l>An das Bild einer unglu&#x0364;cklichen Hirtin. Ho&#x0364;re von mir</l><lb/>
                <l>Du lei&#x017F;efu&#x0364;hlender Scha&#x0364;fer! Die&#x017F;e das Herz angreifende</l><lb/>
                <l>Ge&#x017F;chichte, und liebe noch anbetender Deine Phillis.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Sie bewohnte mit ihrer trauertragenden Mutter</l><lb/>
                <l>Eine nicht weitra&#x0364;umichte Hu&#x0364;tte auf wehrlo&#x017F;er Trift</l><lb/>
                <l>In jenen &#x017F;chrecklichen Tagen, als Ra&#x0364;uberheerden</l><lb/>
                <l>Aus fernen Wu&#x0364;&#x017F;teneyen gezogen kamen. Gleich den</l><lb/>
                <l>Verderblichen Wetterwolken hagelten &#x017F;ie Verwu&#x0364;&#x017F;tung</l><lb/>
                <l>Auf blu&#x0364;hende Fluren, nnd dichtverwach&#x017F;ene Weitzen-</l><lb/>
                <l>furchen,</l><lb/>
                <l>Und zerbi&#x017F;&#x017F;en mit &#x017F;cha&#x0364;umendem Zahn den grasgru&#x0364;nen</l><lb/>
                <l>Apfel</l><lb/>
                <l>Und die unvollkommene, &#x017F;teinharte Birn</l><lb/>
                <l>Abgeri&#x017F;&#x017F;en von den wider&#x017F;trebenden Ae&#x017F;ten des un-</l><lb/>
                <l>willigen</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0440] Eines Lammes, um ihre Schultern zu ſchuͤtzen vor Dem Mauerdurchdringenden Nordwind, der Die Waͤlder entbloͤßt, und abſtreift ſorgfaͤltig gepfle- geten Baͤumen Des ungezaͤuneten Gartens jegliches Blatt. Traurig Stehen ſie da! gleich der nakkenden Armuth weinen Sie von ihrer ſchmuckloſen Stirn herunter die Naͤſſe Der dicken niederfallenden Luft, voll Schauer einhau- chenden Kaͤlte. Dieſer Anblick, o Damon! erinnertdeine Phillis An das Bild einer ungluͤcklichen Hirtin. Hoͤre von mir Du leiſefuͤhlender Schaͤfer! Dieſe das Herz angreifende Geſchichte, und liebe noch anbetender Deine Phillis. Sie bewohnte mit ihrer trauertragenden Mutter Eine nicht weitraͤumichte Huͤtte auf wehrloſer Trift In jenen ſchrecklichen Tagen, als Raͤuberheerden Aus fernen Wuͤſteneyen gezogen kamen. Gleich den Verderblichen Wetterwolken hagelten ſie Verwuͤſtung Auf bluͤhende Fluren, nnd dichtverwachſene Weitzen- furchen, Und zerbiſſen mit ſchaͤumendem Zahn den grasgruͤnen Apfel Und die unvollkommene, ſteinharte Birn Abgeriſſen von den widerſtrebenden Aeſten des un- willigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/440
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/440>, abgerufen am 22.11.2024.