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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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ren und einige tausend Thaler Vermögen gesammlet
hatten. Sie zogen einige Meilen davon in eine kleine
polnische Stadt, Tirschtiegel genannt, wo sie wieder
einen Gasthof pachteten, in welchem sie aber gar kein
Glück hatten, auch wegen des brausenden Charakters
des Hempels keines haben konnten. In dieser neuen
Haushaltung gebahr die beklagenswürdige ehrwürdige
Frau Hempelin den zweiten kleinen Hempel, eben
denjenigen, welcher ihre bewundernswürdige Stimme
geerbt hatte, die ihm aber so wenig Vortheile geschafft
hat als seiner Mutter, weil er ebenfalls mit seinem
Talente zu früh geboren war. Auch diesen ihren jüng-
sten Bruder trug die Dichterin groß. Bald darauf
brachte ihre Mutter noch eine Tochter zur Welt, welche
sie ebenfalls warten mußte. Als endlich auch diese
nicht mehr gewiegt werden durfte, wußte sie sich mit
nichts zu beschäftigen, weil ihr Unterricht und Bücher
fehlten. Aus langer Weile übte sie also ihre kriegeri-
schen Zeitvertreibe, wie sie vormals bei dem lieben On-
kel gethan hatte. Ihre Mutter, welcher jeder Mü-
ßiggang zuwider war, hatte weder Zeit noch Geduld,
ihr eine nützliche Beschäftigung zu geben. In der
Zeit war auch ihr Oheim gestorben, und die Groß-
mutter kam wieder zu ihrer Tochter zurück. Dieses
war eine alte arbeitsame Frau, und der jungen Dür-
bach blieb also noch weniger zu thun übrig. Um sie

ren und einige tauſend Thaler Vermoͤgen geſammlet
hatten. Sie zogen einige Meilen davon in eine kleine
polniſche Stadt, Tirſchtiegel genannt, wo ſie wieder
einen Gaſthof pachteten, in welchem ſie aber gar kein
Gluͤck hatten, auch wegen des brauſenden Charakters
des Hempels keines haben konnten. In dieſer neuen
Haushaltung gebahr die beklagenswuͤrdige ehrwuͤrdige
Frau Hempelin den zweiten kleinen Hempel, eben
denjenigen, welcher ihre bewundernswuͤrdige Stimme
geerbt hatte, die ihm aber ſo wenig Vortheile geſchafft
hat als ſeiner Mutter, weil er ebenfalls mit ſeinem
Talente zu fruͤh geboren war. Auch dieſen ihren juͤng-
ſten Bruder trug die Dichterin groß. Bald darauf
brachte ihre Mutter noch eine Tochter zur Welt, welche
ſie ebenfalls warten mußte. Als endlich auch dieſe
nicht mehr gewiegt werden durfte, wußte ſie ſich mit
nichts zu beſchaͤftigen, weil ihr Unterricht und Buͤcher
fehlten. Aus langer Weile uͤbte ſie alſo ihre kriegeri-
ſchen Zeitvertreibe, wie ſie vormals bei dem lieben On-
kel gethan hatte. Ihre Mutter, welcher jeder Muͤ-
ßiggang zuwider war, hatte weder Zeit noch Geduld,
ihr eine nuͤtzliche Beſchaͤftigung zu geben. In der
Zeit war auch ihr Oheim geſtorben, und die Groß-
mutter kam wieder zu ihrer Tochter zuruͤck. Dieſes
war eine alte arbeitſame Frau, und der jungen Duͤr-
bach blieb alſo noch weniger zu thun uͤbrig. Um ſie

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[22/0054] ren und einige tauſend Thaler Vermoͤgen geſammlet hatten. Sie zogen einige Meilen davon in eine kleine polniſche Stadt, Tirſchtiegel genannt, wo ſie wieder einen Gaſthof pachteten, in welchem ſie aber gar kein Gluͤck hatten, auch wegen des brauſenden Charakters des Hempels keines haben konnten. In dieſer neuen Haushaltung gebahr die beklagenswuͤrdige ehrwuͤrdige Frau Hempelin den zweiten kleinen Hempel, eben denjenigen, welcher ihre bewundernswuͤrdige Stimme geerbt hatte, die ihm aber ſo wenig Vortheile geſchafft hat als ſeiner Mutter, weil er ebenfalls mit ſeinem Talente zu fruͤh geboren war. Auch dieſen ihren juͤng- ſten Bruder trug die Dichterin groß. Bald darauf brachte ihre Mutter noch eine Tochter zur Welt, welche ſie ebenfalls warten mußte. Als endlich auch dieſe nicht mehr gewiegt werden durfte, wußte ſie ſich mit nichts zu beſchaͤftigen, weil ihr Unterricht und Buͤcher fehlten. Aus langer Weile uͤbte ſie alſo ihre kriegeri- ſchen Zeitvertreibe, wie ſie vormals bei dem lieben On- kel gethan hatte. Ihre Mutter, welcher jeder Muͤ- ßiggang zuwider war, hatte weder Zeit noch Geduld, ihr eine nuͤtzliche Beſchaͤftigung zu geben. In der Zeit war auch ihr Oheim geſtorben, und die Groß- mutter kam wieder zu ihrer Tochter zuruͤck. Dieſes war eine alte arbeitſame Frau, und der jungen Duͤr- bach blieb alſo noch weniger zu thun uͤbrig. Um ſie

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/54>, abgerufen am 21.11.2024.