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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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In der Müllerschen Behausung war die Nachricht,
daß der Rittmeister abgereist sey, ein betäubender
Schlag! Die Lebhaftigkeit der Müllerin artete nun in
eine üble unleidliche Laune aus, und bei dem Müller
in Schelten und Pochen; denn jezt fürchtete er kei-
nen Rittmeister mehr. Er strafte sein treuloses Weib
durch die strengste Genauigkeit, und gab ihr nur den
dürftigsten Unterhalt. Am übelsten dabei fuhr die
junge Dürbach, welche nun noch zu mehreren Frohn-
diensten gebraucht wurde, und dafür nur halb satt zu es-
sen bekam. Ihr Zustand war drückend, und niemanden
konnte sie ihn klagen, weil sie von den Ihrigen so
entfernt war. Einen einzigen Vortheil hatte sie, wel-
cher in ihrer Mutter Wohnort ihr nicht werden konn-
te, weil dort keine Kirche war. Hier war eine,
und hier wurde sie bei dem Prediger zur Vorbereitung
geschickt. Nach einem halben Jahre wurde sie einge-
segnet und zur Kommunion gelassen. Diesen Schritt
hält eine sittliche Jugend stets für sehr wichtig, weil sie
denn gleichsam erst unter die Menschen aufgenommen
wird. Auch die Dürbach empfand ihn so und freuete sich
darauf. An dem nehmlichen Morgen, als sie zur ersten
Kommunion gehen sollte, weckte die Müllersfrau sie
früher als gewöhnlich, nicht etwa, damit sie eine
Selbstprüfung über die genossenen Lehren und ihr
Verhalten dagegen mit sich vornehmen sollte; nein,

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In der Muͤllerſchen Behauſung war die Nachricht,
daß der Rittmeiſter abgereiſt ſey, ein betaͤubender
Schlag! Die Lebhaftigkeit der Muͤllerin artete nun in
eine uͤble unleidliche Laune aus, und bei dem Muͤller
in Schelten und Pochen; denn jezt fuͤrchtete er kei-
nen Rittmeiſter mehr. Er ſtrafte ſein treuloſes Weib
durch die ſtrengſte Genauigkeit, und gab ihr nur den
duͤrftigſten Unterhalt. Am uͤbelſten dabei fuhr die
junge Duͤrbach, welche nun noch zu mehreren Frohn-
dienſten gebraucht wurde, und dafuͤr nur halb ſatt zu eſ-
ſen bekam. Ihr Zuſtand war druͤckend, und niemanden
konnte ſie ihn klagen, weil ſie von den Ihrigen ſo
entfernt war. Einen einzigen Vortheil hatte ſie, wel-
cher in ihrer Mutter Wohnort ihr nicht werden konn-
te, weil dort keine Kirche war. Hier war eine,
und hier wurde ſie bei dem Prediger zur Vorbereitung
geſchickt. Nach einem halben Jahre wurde ſie einge-
ſegnet und zur Kommunion gelaſſen. Dieſen Schritt
haͤlt eine ſittliche Jugend ſtets fuͤr ſehr wichtig, weil ſie
denn gleichſam erſt unter die Menſchen aufgenommen
wird. Auch die Duͤrbach empfand ihn ſo und freuete ſich
darauf. An dem nehmlichen Morgen, als ſie zur erſten
Kommunion gehen ſollte, weckte die Muͤllersfrau ſie
fruͤher als gewoͤhnlich, nicht etwa, damit ſie eine
Selbſtpruͤfung uͤber die genoſſenen Lehren und ihr
Verhalten dagegen mit ſich vornehmen ſollte; nein,

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[33/0065] In der Muͤllerſchen Behauſung war die Nachricht, daß der Rittmeiſter abgereiſt ſey, ein betaͤubender Schlag! Die Lebhaftigkeit der Muͤllerin artete nun in eine uͤble unleidliche Laune aus, und bei dem Muͤller in Schelten und Pochen; denn jezt fuͤrchtete er kei- nen Rittmeiſter mehr. Er ſtrafte ſein treuloſes Weib durch die ſtrengſte Genauigkeit, und gab ihr nur den duͤrftigſten Unterhalt. Am uͤbelſten dabei fuhr die junge Duͤrbach, welche nun noch zu mehreren Frohn- dienſten gebraucht wurde, und dafuͤr nur halb ſatt zu eſ- ſen bekam. Ihr Zuſtand war druͤckend, und niemanden konnte ſie ihn klagen, weil ſie von den Ihrigen ſo entfernt war. Einen einzigen Vortheil hatte ſie, wel- cher in ihrer Mutter Wohnort ihr nicht werden konn- te, weil dort keine Kirche war. Hier war eine, und hier wurde ſie bei dem Prediger zur Vorbereitung geſchickt. Nach einem halben Jahre wurde ſie einge- ſegnet und zur Kommunion gelaſſen. Dieſen Schritt haͤlt eine ſittliche Jugend ſtets fuͤr ſehr wichtig, weil ſie denn gleichſam erſt unter die Menſchen aufgenommen wird. Auch die Duͤrbach empfand ihn ſo und freuete ſich darauf. An dem nehmlichen Morgen, als ſie zur erſten Kommunion gehen ſollte, weckte die Muͤllersfrau ſie fruͤher als gewoͤhnlich, nicht etwa, damit ſie eine Selbſtpruͤfung uͤber die genoſſenen Lehren und ihr Verhalten dagegen mit ſich vornehmen ſollte; nein, c

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/65>, abgerufen am 18.05.2024.