Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

weil noch ein halber Scheffel Weitzen nach der Mühle
zu tragen war, welchen sonst Niemand Zeit hatte, fort-
zuschaffen, als die Dürbach. Ihr wurde also ein Sack
mit dieser Last gefüllt auf den Rücken geladen, und sie
mußte ihn drey Viertel Weges weit nach der Mühle
tragen. So sehr die Last ihre schwachen Rippen
beugte, so eilte sie doch so gut sie konnte damit fort,
um wieder zurück zu kommen, ehe die Kirche anginge,
welches auch geschah. Die Dichterin erwähnte in
ihren Gesprächen dieses Vorfalls oft, wenn sie, wie
der Held von seinen Narben, von ihrem überstande-
nen Ungemach redete. Bald darauf wurde sie aus die-
ser Sklaverey erlöst, durch einen unvermutheten Be-
such ihres Stiefvaters, welcher ziemlich erstaunt war,
sie in einer so unverantwortlichen Lage zu finden. Die
Müllersfrau entschuldigte sich so gut sie konnte mit
List und Unwahrheiten, und die erlösete Dürbach fuhr
mit ihrem Stiefvater in ihr Elterliches Haus zurück.

Als sie hier angekommen war, eilte sie, sobald
sichs thun ließ, in die berauchte Hütte ihres Hirten;
diese Hütte und sein rostiges Bücherbrett waren für
sie ein wieder aufgeschloßnes Paradies; sie wühlte in
den Büchern wie der Reiche in seinen Schätzen, ob sie
etwas Neues darunter fände, und aus Bedürfniß zu
lesen, wurde ihr auch das neu, was sie schon zehnmal
gelesen hatte. Eines Tages fügte es der Zufall, daß

weil noch ein halber Scheffel Weitzen nach der Muͤhle
zu tragen war, welchen ſonſt Niemand Zeit hatte, fort-
zuſchaffen, als die Duͤrbach. Ihr wurde alſo ein Sack
mit dieſer Laſt gefuͤllt auf den Ruͤcken geladen, und ſie
mußte ihn drey Viertel Weges weit nach der Muͤhle
tragen. So ſehr die Laſt ihre ſchwachen Rippen
beugte, ſo eilte ſie doch ſo gut ſie konnte damit fort,
um wieder zuruͤck zu kommen, ehe die Kirche anginge,
welches auch geſchah. Die Dichterin erwaͤhnte in
ihren Geſpraͤchen dieſes Vorfalls oft, wenn ſie, wie
der Held von ſeinen Narben, von ihrem uͤberſtande-
nen Ungemach redete. Bald darauf wurde ſie aus die-
ſer Sklaverey erloͤſt, durch einen unvermutheten Be-
ſuch ihres Stiefvaters, welcher ziemlich erſtaunt war,
ſie in einer ſo unverantwortlichen Lage zu finden. Die
Muͤllersfrau entſchuldigte ſich ſo gut ſie konnte mit
Liſt und Unwahrheiten, und die erloͤſete Duͤrbach fuhr
mit ihrem Stiefvater in ihr Elterliches Haus zuruͤck.

Als ſie hier angekommen war, eilte ſie, ſobald
ſichs thun ließ, in die berauchte Huͤtte ihres Hirten;
dieſe Huͤtte und ſein roſtiges Buͤcherbrett waren fuͤr
ſie ein wieder aufgeſchloßnes Paradies; ſie wuͤhlte in
den Buͤchern wie der Reiche in ſeinen Schaͤtzen, ob ſie
etwas Neues darunter faͤnde, und aus Beduͤrfniß zu
leſen, wurde ihr auch das neu, was ſie ſchon zehnmal
geleſen hatte. Eines Tages fuͤgte es der Zufall, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0066" n="34"/>
weil noch ein halber Scheffel Weitzen nach der Mu&#x0364;hle<lb/>
zu tragen war, welchen &#x017F;on&#x017F;t Niemand Zeit hatte, fort-<lb/>
zu&#x017F;chaffen, als die Du&#x0364;rbach. Ihr wurde al&#x017F;o ein Sack<lb/>
mit die&#x017F;er La&#x017F;t gefu&#x0364;llt auf den Ru&#x0364;cken geladen, und &#x017F;ie<lb/>
mußte ihn drey Viertel Weges weit nach der Mu&#x0364;hle<lb/>
tragen. So &#x017F;ehr die La&#x017F;t ihre &#x017F;chwachen Rippen<lb/>
beugte, &#x017F;o eilte &#x017F;ie doch &#x017F;o gut &#x017F;ie konnte damit fort,<lb/>
um wieder zuru&#x0364;ck zu kommen, ehe die Kirche anginge,<lb/>
welches auch ge&#x017F;chah. Die Dichterin erwa&#x0364;hnte in<lb/>
ihren Ge&#x017F;pra&#x0364;chen die&#x017F;es Vorfalls oft, wenn &#x017F;ie, wie<lb/>
der Held von &#x017F;einen Narben, von ihrem u&#x0364;ber&#x017F;tande-<lb/>
nen Ungemach redete. Bald darauf wurde &#x017F;ie aus die-<lb/>
&#x017F;er Sklaverey erlo&#x0364;&#x017F;t, durch einen unvermutheten Be-<lb/>
&#x017F;uch ihres Stiefvaters, welcher ziemlich er&#x017F;taunt war,<lb/>
&#x017F;ie in einer &#x017F;o unverantwortlichen Lage zu finden. Die<lb/>
Mu&#x0364;llersfrau ent&#x017F;chuldigte &#x017F;ich &#x017F;o gut &#x017F;ie konnte mit<lb/>
Li&#x017F;t und Unwahrheiten, und die erlo&#x0364;&#x017F;ete Du&#x0364;rbach fuhr<lb/>
mit ihrem Stiefvater in ihr Elterliches Haus zuru&#x0364;ck.</p><lb/>
        <p>Als &#x017F;ie hier angekommen war, eilte &#x017F;ie, &#x017F;obald<lb/>
&#x017F;ichs thun ließ, in die berauchte Hu&#x0364;tte ihres Hirten;<lb/>
die&#x017F;e Hu&#x0364;tte und &#x017F;ein ro&#x017F;tiges Bu&#x0364;cherbrett waren fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ie ein wieder aufge&#x017F;chloßnes Paradies; &#x017F;ie wu&#x0364;hlte in<lb/>
den Bu&#x0364;chern wie der Reiche in &#x017F;einen Scha&#x0364;tzen, ob &#x017F;ie<lb/>
etwas Neues darunter fa&#x0364;nde, und aus Bedu&#x0364;rfniß zu<lb/>
le&#x017F;en, wurde ihr auch das neu, was &#x017F;ie &#x017F;chon zehnmal<lb/>
gele&#x017F;en hatte. Eines Tages fu&#x0364;gte es der Zufall, daß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0066] weil noch ein halber Scheffel Weitzen nach der Muͤhle zu tragen war, welchen ſonſt Niemand Zeit hatte, fort- zuſchaffen, als die Duͤrbach. Ihr wurde alſo ein Sack mit dieſer Laſt gefuͤllt auf den Ruͤcken geladen, und ſie mußte ihn drey Viertel Weges weit nach der Muͤhle tragen. So ſehr die Laſt ihre ſchwachen Rippen beugte, ſo eilte ſie doch ſo gut ſie konnte damit fort, um wieder zuruͤck zu kommen, ehe die Kirche anginge, welches auch geſchah. Die Dichterin erwaͤhnte in ihren Geſpraͤchen dieſes Vorfalls oft, wenn ſie, wie der Held von ſeinen Narben, von ihrem uͤberſtande- nen Ungemach redete. Bald darauf wurde ſie aus die- ſer Sklaverey erloͤſt, durch einen unvermutheten Be- ſuch ihres Stiefvaters, welcher ziemlich erſtaunt war, ſie in einer ſo unverantwortlichen Lage zu finden. Die Muͤllersfrau entſchuldigte ſich ſo gut ſie konnte mit Liſt und Unwahrheiten, und die erloͤſete Duͤrbach fuhr mit ihrem Stiefvater in ihr Elterliches Haus zuruͤck. Als ſie hier angekommen war, eilte ſie, ſobald ſichs thun ließ, in die berauchte Huͤtte ihres Hirten; dieſe Huͤtte und ſein roſtiges Buͤcherbrett waren fuͤr ſie ein wieder aufgeſchloßnes Paradies; ſie wuͤhlte in den Buͤchern wie der Reiche in ſeinen Schaͤtzen, ob ſie etwas Neues darunter faͤnde, und aus Beduͤrfniß zu leſen, wurde ihr auch das neu, was ſie ſchon zehnmal geleſen hatte. Eines Tages fuͤgte es der Zufall, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/66
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/66>, abgerufen am 21.11.2024.