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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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Anwesenden einen Vers aus dem Stegreife hersagte,
welches ihnen ein Wunder schien, so schlecht die Reime
auch waren. Nachdem sie beurlaubt worden, wurde
sie von der Dame des Hauses mit einigen Ellen halb-
seidenen Zeuge beschenkt, welches damals für sie eine
Königliche Aufmunterung war. Sie eilte mit dem
Geschenk nach Hause, und bekam dafür von ihrem
Manne das erste freundliche Ehestandsgesicht. Wenn
sie täglich oder auch nur wöchentlich solche Gewinn-
und Ehrenzeichen hätte aufweisen können, alsdenn
hätte sie den besten Mann gehabt. Aber leider! das
Ländchen Schwiebus war nicht der Ort, wo die Mor-
genröthe ihres Geistes benutzt werden konnte: der
Bürger unterschied sich hier nur von dem Bauer durch
Flüche, und der Adel von dem Bürger durch Trunk
und Unwissenheit. Indeß gab es doch politische Kan-
negießer unter den Bürgern, welche zuweilen in der
Feyerstunde nachbarlich herüber kamen, und mit ihrem
Manne von dem großen Wunderstern, dem Könige
von Preußen redeten, welcher gleich beim Antritt sei-
ner Regierung Schlesien eingenommen, und jezt Sou-
verain über das Ländchen Schwiebus war. Die Her-
ren wußten sich viel damit, daß sie von einem so sieg-
haften Monarchen beherrscht wurden, welchem sie ein-
stimmig die Ehre anthaten, ihn mit dem weisen Sa-
lomo zu vergleichen, weil sie kein höheres Lob für ihn

kannten.

Anweſenden einen Vers aus dem Stegreife herſagte,
welches ihnen ein Wunder ſchien, ſo ſchlecht die Reime
auch waren. Nachdem ſie beurlaubt worden, wurde
ſie von der Dame des Hauſes mit einigen Ellen halb-
ſeidenen Zeuge beſchenkt, welches damals fuͤr ſie eine
Koͤnigliche Aufmunterung war. Sie eilte mit dem
Geſchenk nach Hauſe, und bekam dafuͤr von ihrem
Manne das erſte freundliche Eheſtandsgeſicht. Wenn
ſie taͤglich oder auch nur woͤchentlich ſolche Gewinn-
und Ehrenzeichen haͤtte aufweiſen koͤnnen, alsdenn
haͤtte ſie den beſten Mann gehabt. Aber leider! das
Laͤndchen Schwiebus war nicht der Ort, wo die Mor-
genroͤthe ihres Geiſtes benutzt werden konnte: der
Buͤrger unterſchied ſich hier nur von dem Bauer durch
Fluͤche, und der Adel von dem Buͤrger durch Trunk
und Unwiſſenheit. Indeß gab es doch politiſche Kan-
negießer unter den Buͤrgern, welche zuweilen in der
Feyerſtunde nachbarlich heruͤber kamen, und mit ihrem
Manne von dem großen Wunderſtern, dem Koͤnige
von Preußen redeten, welcher gleich beim Antritt ſei-
ner Regierung Schleſien eingenommen, und jezt Sou-
verain uͤber das Laͤndchen Schwiebus war. Die Her-
ren wußten ſich viel damit, daß ſie von einem ſo ſieg-
haften Monarchen beherrſcht wurden, welchem ſie ein-
ſtimmig die Ehre anthaten, ihn mit dem weiſen Sa-
lomo zu vergleichen, weil ſie kein hoͤheres Lob fuͤr ihn

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[48/0080] Anweſenden einen Vers aus dem Stegreife herſagte, welches ihnen ein Wunder ſchien, ſo ſchlecht die Reime auch waren. Nachdem ſie beurlaubt worden, wurde ſie von der Dame des Hauſes mit einigen Ellen halb- ſeidenen Zeuge beſchenkt, welches damals fuͤr ſie eine Koͤnigliche Aufmunterung war. Sie eilte mit dem Geſchenk nach Hauſe, und bekam dafuͤr von ihrem Manne das erſte freundliche Eheſtandsgeſicht. Wenn ſie taͤglich oder auch nur woͤchentlich ſolche Gewinn- und Ehrenzeichen haͤtte aufweiſen koͤnnen, alsdenn haͤtte ſie den beſten Mann gehabt. Aber leider! das Laͤndchen Schwiebus war nicht der Ort, wo die Mor- genroͤthe ihres Geiſtes benutzt werden konnte: der Buͤrger unterſchied ſich hier nur von dem Bauer durch Fluͤche, und der Adel von dem Buͤrger durch Trunk und Unwiſſenheit. Indeß gab es doch politiſche Kan- negießer unter den Buͤrgern, welche zuweilen in der Feyerſtunde nachbarlich heruͤber kamen, und mit ihrem Manne von dem großen Wunderſtern, dem Koͤnige von Preußen redeten, welcher gleich beim Antritt ſei- ner Regierung Schleſien eingenommen, und jezt Sou- verain uͤber das Laͤndchen Schwiebus war. Die Her- ren wußten ſich viel damit, daß ſie von einem ſo ſieg- haften Monarchen beherrſcht wurden, welchem ſie ein- ſtimmig die Ehre anthaten, ihn mit dem weiſen Sa- lomo zu vergleichen, weil ſie kein hoͤheres Lob fuͤr ihn kannten.

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/80>, abgerufen am 21.11.2024.